So langsam darf man sich wirklich fragen, was die Ministerialangestellten in Dresden eigentlich den lieben langen Tag machen. Denken sie sich neue Argumente dafür aus, warum sie ihre Arbeit nicht tun? Oder sind sie mit dem Feilen schöner Reden beschäftigt, die dem Volke verkünden, das alles bestens ist? Selbst Integration in Schulen bekommt doch der Freistaat hin wie kein zweiter, oder nicht? - Zumindest hat er jetzt ein wichtiges Förderprojekt völlig vergeigt.

Herausbekommen hat es Annekatrin Klepsch, Kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Landtag. Das Berichtswesen der aktuell regierenden Schwarz-Gelben Koalition ist so lückenhaft, dass die Abgeordneten ohne permanentes Nachfragen überhaupt kein Bild mehr davon hätten, was die sächsische Regierung eigentlich tut – oder schlicht verbasselt – wie im Fall der Übergangsfinanzierung von ESF-geförderten Projekten im Jugend- und Sozialbereich. Eigentlich ein elementarer Bereich. Seit Jahr und Tag leistet sich Sachsen eine Schulabgängerquote von 10 bis 15 Prozent ohne Abschluss. Gern auch als Schulabbrecherquote bezeichnet. Aber das ist falsch, denn die Jugendlichen sitzen ihre Zeit in der Regel bis zum Ende der regulären Schulzeit ab – schaffen aber nicht mal einen qualifizierten Hauptschulabschluss. Viele schon deshalb nicht, weil sie schon ab der 1. Klasse in eine Förderschule abgeschoben wurden. Viele auch deshalb nicht, weil in den Schulen qualifiziertes Betreuerpersonal fehlt. Um die Quote zu senken – und zwar deutlich unter die 10 Prozent – braucht es flankierende Programme und gut ausgebildetes Personal. Erst wenn es diese gibt, kann auch das Thema Inklusion ernst genommen werden.

Aber trotz aller Selbstbeweihräuchereien zum Thema Inklusion zeigt die Anfrage von Annekathrin Klepsch, dass die Landesregierung noch nicht begriffen hat, wie ernst das Thema ist.

“In ihrer Stellungnahme zum 4. Sächsischen Kinder- und Jugendbericht hat sich die Staatsregierung das Projekt ‘Soziale Schule’ als Schwerpunkt vorgenommen”, nimmt Klepsch eine dieser selbsterteilten Ruhmesblätter als Beispiel. “Angesichts der bekannten Probleme an den Schulen ist diese Schwerpunktsetzung folgerichtig. Jedoch lässt die finanzielle Untersetzung weiterhin zu wünschen übrig. Seit Monaten und Jahren war nun bekannt, dass die ESF-Periode 2007 bis 2013 ausläuft und im Jahr 2014 eine Übergangsfinanzierung unter anderem für Projekte in der schulbezogenen Jugendsozialarbeit und in der Jugendberufshilfe nötig ist. Freie Träger der Jugendhilfe mussten ihren Fachkräften bereits im Frühjahr kündigen, weil die Finanzierung nur bis zum Sommer gesichert war.”

Aber dafür müsste man aus der Tagespolitik aussteigen und wieder über Jahre hinaus denken und planen. Etwas, was in den Dresdner Ministerien scheinbar nicht mehr möglich ist.

Laut der Antwort auf Klepschs Kleine Anfrage (Landtags-Drucksache 5/14471) ist die Übergangsfinanzierung der Projekte zur Kompetenzentwicklung von Schülern bis zum Jahresende 2014 gesichert. “Ein nahtloser Übergang sieht jedoch anders aus, da die Schulen und die freien Träger erst monatelang verunsichert wurden, jetzt für ein halbes Jahr Aufschub haben und die Fortführung ab 2015 wieder eines positiv verlaufenden Antragsverfahren bedarf”, stellt sie fest. “Darüber hinaus hat das Fachgespräch der Liga der Freien Wohlfahrtspflege gestern in Dresden verdeutlicht, dass mit den geförderten Maßnahmen ein extrem hoher Verwaltungsaufwand seitens der Sächsischen Aufbaubank für die Träger verbunden ist, wie die Teilnehmerzahlen und die zum Teil geringen Fördersummen verdeutlichen.”

Man kann solche notwendigen Unterstützungsprogramme nicht immer nur auf EU-Fördermittel aufsetzen.

Soziale Arbeit an Schulen und mit Jugendlichen ist Beziehungsarbeit zwischen Schülern, Lehrern und Eltern und kann nur erfolgreich sein, wenn sie langfristig gesichert ist”, sagt Klepsch. “Der ESF-Finanzierung der Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung muss deshalb eine grundlegende Landesfinanzierung für Schulsozialarbeit vorausgehen, wie es beispielsweise Thüringen vormacht. Schule als Lebensort ist kein temporäres Projekt, Schulsozialarbeit und die Kompetenzentwicklung von Schülern darf kein temporäres Projekt aus EU-Geldern bleiben.”

Welche Folgen das vor Ort hat, weiß Ute Köhler-Siegel, bildungspolitische Sprecherin der Leipziger SPD-Fraktion: “Der Freistaat Sachsen brüstet sich immer mit seinen Spitzenpositionen in nationalen Vergleichen. In 2013 haben 15,3 % der Schüler in Leipzig keinen Schulabschluss erlangt, bei den Förderschülern sind es schockierende 62,6 % der Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen. Ein Spitzenwert in Deutschland. Trotzdem bedroht der Freistaat Sachsen eines der wichtigsten Instrumente gegen die hohe Anzahl an Schulabbrechern, indem sie es verschlafen hat, eine Verordnung für Mittel des Europäischen Sozialfonds rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Dies bedeutet, dass die Lernwerkstatt für abschlussgefährdete Schülerinnen und Schüler des Trägers Zukunftswerkstatt für mindestens ein halbes Jahr nicht finanziert ist, das heißt nicht stattfinden kann. Dies ist ein Unding in unseren Augen”, so die SPD-Stadträtin und Lehrerin.

Die Zukunftswerkstatt arbeitet seit 1996 mit über 20 Ober- und Förderschulen in Leipzig zusammen. Pro Schuljahr werden hier etwa 150 Schüler der Risikogruppe Schulverweigerer betreut.
Ulrike Herold, Mitglied des Jugendhilfeausschusses der Stadt Leipzig, dazu: “Schulverweigererprojekte stellen zurecht einen Schwerpunkt der Jugendhilfe in Leipzig dar. Wir brauchen hier mehr Maßnahmen und nicht weniger. Für die Übergangsfinanzierung werden etwa 80.000 Euro benötigt. Dies ist viel Geld, aber die Folgekosten bei Wegfall der Maßnahme werden deutlich höher liegen”.

Die Zukunftswerkstatt ist ein praxisorientierter, außerschulischer Lernort für abschlussgefährdete Schüler. Die Förderung der Ausbildungsreife sowie die Entwicklung sozialer Kompetenzen und die Vermittlung eines positiven Selbstwertgefühls durch erfolgreiches Arbeiten in der Praxis als Grundlage für Lern- und Leistungsmotivation in der Schule stehen im Vordergrund.

“Auch wir sind es leid, der Ausfallbürge des Freistaates Sachsen zu sein, aber wir können es uns noch weniger leisten, diese Maßnahme wegbrechen zu lassen. Wir fordern die Stadtverwaltung auf, hier eine Lösung aufzuzeigen und den Kämmerer hier eine Übergangsfinanzierung zu finden”, fordert Köhler-Siegel. Womit man wieder da wäre, wo man jedes Mal landet, wenn das Land seine Hausaufgaben nicht gemacht hat: Die Kommune muss irgendwo zusätzliche Gelder auftreiben. Der Verteilungskampf um die verfügbaren Mittel verschärft sich weiter.

Die Anfrage von Annekathrin Klepsch: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=14471&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202

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