"Wenn am 1. September 2014 in dem altehrwürdigen Haus die ersten 24 Kinder und mehr als zehn Pädagogen mit ihrem Unterricht beginnen, dann grenzt dies eigentlich an ein mittleres Wunder", seufzt Jens-Martin Peukert. "Denn: Nur ganze zwei Jahre zuvor, gab es noch nicht einmal die Idee für diese Schule." Im November vor zwei Jahren hat sich ein kleines Grüppchen nachdenklicher Eltern aus der Montessori Schule Zwenkau zusammengesetzt, angetrieben von der Frage: Was soll eigentlich mit unseren Kindern nach dem Ende der Grundschulzeit werden?

Weit und breit gibt es keine weiterführende Schule, die nach reformpädagogischem Konzept arbeitet, wo Kinder solidarisch in altersübergreifenden Klassen gemeinsam lernen. Also: Was tun?

“Wir müssen das selbst in die Hand nehmen”, so lautete der Entschluss der Gruppe um Andrea Billard, Jens-Martin Peukert und Martin Landgraf. Wagemutig stürzte man sich in ein Projekt, dessen Ausgang mehr als ungewiss war. Eltern gründen eine Schule … nur, wie geht das eigentlich?

Zunächst musste ein geeignetes Gebäude gefunden werden, das außerdem gepachtet werden kann. Denn die Bank hatte der Gruppe klar signalisiert: Der Kauf eines Gebäudes ist in der sogenannten “Schulgründungsphase” nicht möglich. Die Bank finanziert in den ersten vier Jahren nur Unterrichtsmittel, Löhne oder die Innen-Einrichtung.

Mehrere Besichtigungen erwiesen sich als aussichtslos oder nicht finanzierbar. Schließlich wurde man in Großdeuben bei Markkleeberg fündig: Ein schönes, gut erhaltenes Haus im Grünen – zudem noch eine alte Schule, die seit Jahren nicht mehr als solche genutzt wurde. Soweit so gut. Doch dann musste erst der Stadtrat von Böhlen für das Vorhaben gewonnen werden. Keine leichte Aufgabe für eine “Schar Eltern”. Unzählige Gespräche und Briefwechsel später gab der Stadtrat seine Einwilligung für ein neues Gymnasium in Großdeuben.

Zur gleichen Zeit arbeitete sich die Gruppe durch sämtliche Konzepte von reformpädagogischen Schulen, eigene Wünsche und Vorstellungen flossen mit ein. Schulvereins-Mitglied Jens-Martin Peukert beschreibt seine Motivation so: “Ich wollte eine Schule mitgestalten, in der meine Kinder nicht, wenn sie größer werden, das Lernen als MUSS empfinden, sondern als Geschenk. Ich wünsche mir eine Schule, in der das Fragen und Selber-Denken gefördert wird. Dass bei Kindern, ungeachtet von schulischen Leistungen, ihr Selbstwertgefühl erhalten bleibt und ihre Stärken gefördert werden.”
Für derlei Visionen bedarf es geschulter und motivierter Pädagogen. Ein Team, das solche Ideen mittragen und in die Realität umsetzen kann. Durch “Mund-zu-Mund-Propaganda” unter Eltern und Freunden wurde man fündig. Ebenso hilfreich erwies sich die Internet-Plattform vom “Bund Freier Alternativer Schulen in Deutschland”. Über eine Anzeige, stieß man dort auf Martin Seffner, den künftigen Direktor des Lernwelten Gymnasiums. Er ließ sich von dem Elan der Gruppe sofort anstecken. Der erfahrene Pädagoge, der unter anderem die Oberstufe der Deutschen Schule in Tokio, den Rahn-Schulen-Campus in Leipzig und das Evangelische Schulzentrum in Neubrandenburg geleitet hat, er brachte das nötige “Know-How” für alle zu stellende Anträge und Verfahren mit. “Er hat mit seiner Erfahrung unser Konzept wesentlich weiterentwickelt. Er wusste außerdem, was ist durchsetzbar, was ist überhaupt möglich. Wir hatten ja in erster Linie unsere Träume und Wünsche als Eltern. Und er hat uns dann, wenn es nötig war, auch schon mal geerdet”, erinnert sich Mitbegründerin Andrea Billard an die Zeit der inhaltlichen Vorbereitungen für die Schule.

Angelehnt an reformpädagogische Konzepte wie Montessori, Jenaplan oder Freinet ist das gemeinschaftliche Lernen in altersübergreifenden Klassen ein zentraler Punkt im Konzept der Lernwelten Schule. So werden beispielsweise die Kinder der 5. und 6. Klasse zusammen lernen – nur die zehnte Klasse soll in Vorbereitung auf das Abitur altershomogen gestaltet werden.

“Uns ist es wichtig, dass der Unterricht fachübergreifend gestaltet wird. Das heißt, dass zum Beispiel Elemente der Mathematik sich auch im Physikunterricht wiederfinden sollen, um so größere naturwissenschaftliche Zusammenhänge deutlicher zu machen”, erklärt Andrea Billard das ganzheitlich angelegte Lernkonzept. Religionsunterricht ist an der christlich geprägten Schule zwar Pflichtfach, aber die Schule sei absolut offen für konfessions-ungebundene Schüler oder Schüler mit einer anderen Religions-Zugehörigkeit, betont Peukert.

Bis zum 30. November 2013 wurde binnen kürzester Zeit der Genehmigungsantrag für die Sächsische Bildungsagentur erarbeitet: Hunderte von Seiten. Mehr als 30 umfasste allein das pädagogische Konzept. Ein wahnsinniger Kraftakt für alle beteiligten Eltern. Sie alle sind berufstätig und haben Kinder. Doch das gemeinsame Ziel spornte sie an: Alle Kräfte und Freunde wurden mobilisiert für unzählige Arbeits-Einsätze, Möbel-Transporte und Vorbereitungsarbeiten an dem sanierungsbedürftigen Gebäude. In diesem gelebten Zusammenhalt liegt für Jens-Martin Peukert der eigentliche Grundstein für das Projekt: “Die gegenseitige Unterstützung und Inspiration war enorm. Nur weil so viele Leute freiwillig mitgeholfen haben, uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, mitangepackt haben – nur so war das Ganze überhaupt möglich.”

Am 30. April ist der Vertrag mit der Stadt Böhlen unterzeichnet worden. Die sächsische Bildungsagentur signalisiert “grünes Licht” für den Schulstart im kommenden September, bis zum August soll das Genehmigungsverfahren abgeschlossen sein. Dann profitiert auch Leipzig von dem neuen Gymnasium, denn es ist mit dem Bus 107 oder der S-Bahn S4 (bis Haltestelle Gaschwitz) auch von Leipzig aus schnell erreichbar.

Weil das Lernwelten Gymnasium neu an den Start geht, können hier übrigens noch Anmeldungen für Schüler der 5. und 6. Klassenstufe entgegengenommen werden. Ein paar Plätze sind noch frei.

Nach der Riesen-Anstrengung macht sich nun bei den Eltern der Gründungs-Initiative langsam auch Vorfreude breit und ein bisschen Stolz über das Geleistete: “Das Wichtigste für mich war, dass wir die Möglichkeit hatten, am Konzept einer Schule mitzuwirken. Wir, als Eltern, haben tatsächlich eine Schule selbst mitgestaltet. So etwas war bei unseren Eltern noch nicht möglich. Wir wollen Lernräume schaffen, wo Kinder neugierig bleiben dürfen, wo ihre individuellen Stärken erkannt und gefördert werden. Wir wollen, dass an unserer Schule die Beziehung zwischen Lehrern – Eltern – Kindern durch einen offenen Austausch geprägt ist.”

Am 14. Juni gab es den ersten Tag der offenen Tür im Lernwelten Gymnasiums Großdeuben (Schulstr. 6, 04564 Großdeuben).

www.lernwelten-schule.de

Online besichtigen kann man das Schulgebäude hier:
www.db-ware.de/panorama/schule

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