Ja, wie rechnet sich das eigentlich? Sind es 590 Lehrer plus 160, die Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth in diesem Jahr einstellt, oder sind es 590 minus 160? Da kam dann im Juni auch Eva-Maria Stange, die Sprecherin für Bildungs- und Kulturpolitik der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, nicht mehr mit, als Brunhild Kurth nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich verkündete, sie dürfe nun 160 Lehrer mehr einstellen.

Ob es tatsächlich reicht, den Unterricht in Sachsens Schulen ab September zu sichern, ist fraglich. Vieles deutet darauf hin, dass es nicht reichen wird. Noch immer ist die Klassenbildung in einigen Schulen nicht beendet.

Aber um zumindest die so hübsch gefeierten 160 zusätzlichen Lehrer irgendwie einordnen zu können, stellte Eva-Maria Stange im Juni eine Kleine Anfrage an Brunhild Kurth. Die Antwort, die sie jetzt bekam, ist so durchwachsen wie die Politik des Kultusministeriums. Das beginnt schon mit der Tatsache, die die reformfreudige Große Koalition in Berlin bei ihrem Beschluss zur “abschlagsfreien Rente mit 63” wohl überhaupt nicht bedacht hat: Es betrifft auch und gerade Lehrerinnen. Denn der Job ist nicht ohne, viele Lehrer erreichen dar Ende des 65. Lebensjahres nicht im Schuldienst, sondern scheiden vor allem aus gesundheitlichen Gründen vorher aus. Und siehe da: 49 Lehrkräfte in Sachsen nutzen das neue Gesetz, um vorzeitig und noch ohne die zu befürchtenden gesundheitlichen Folgen aus dem Schuldienst auszuscheiden. Oder besser: VZÄ – Vollzeitäquivalente, mit denen das Kultusministerium rechnet.

Womit sich die Zahl der Lehrkräfte, die 2014 aus dem Schuldienst gehen, von 494 Vollzeitäquivalenten auf 543 erhöht. Vollzeitäquivalente deshalb, weil nach wie vor viele Lehrerinnen und Lehrer in Teilzeit arbeiten. Heißt im Klartext: Tatsächlich verlassen – zahlenmäßig- noch viel mehr Lehrer den Schuldienst.

Wie sich die Zahl der Vollzeitäquivalente zu den tatsächlich existierenden Personen verhält, musste Brunhild Kurth ja schon im Mai aufblättern, als Eva-Maria Stange mal die ganzen Zahlen zum Lehrereinstellungsbedarf abfragte.

Im Mai ging die Kultusministerin noch von 521 Vollzeitäquivalenten aus, die den Schuldienst im Schuljahr 2014/2015 verlassen. Das sind aber tatsächlich 1.096 Lehrerinnen und Lehrer, die im nächsten Schuljahr ihre Brotbüchsen packen und das sächsische Schulwesen auf Nimmerwiedersehen verlassen werden, eine Zahl, die sehr deutlich macht, auf welch brüchigem Plateau Sachsens Bildungsministerin agiert. Denn sie will ja nur irgendwie und geradeso die Vollzeitäquivalente ersetzen.

Die Begründung ist dann wieder eine dieser durch nichts belegten Phrasen, mit der in Sachsen seit 2009 der blindwütige Personalabbau in allen Bereichen begründet wird: “Hinsichtlich des langfristigen Lehrerbedarfs erfolgt eine Orientierung an der dann in den westdeutschen Flächenländern geltenden Lehrerausstattung zuzüglich eines Qualitätszuschlages von 5 %.” So stehe es im Haushaltsplan, teilte Kurth mit. Doch nie werden die konkreten Zahlen und Namen der mysteriösen “westdeutschen Flächenländer” mitgeliefert. Von denen heute einige auch schon unter heftigem Lehrermangel leiden und in Sachsen ausgebildete Junglehrer abwerben.Eine Situation, die Brunhild Kurth nicht mal Angst zu machen scheint. Auch die Tatsache nicht, dass sie das Schuljahr 2012/2013 schon mit 1.000 bis 1.500 Lehrkräften zu wenig gefahren hat. Und wieviel will sie nun wirklich einstellen?

Unbefristet nimmt sie 2014 insgesamt 415 Vollzeitäquivalente unter Vertrag. Ob das nun ganze Personen oder wieder nur lauter Teilzeitverträge sind, teilt sie nicht mit. Aber der Blick auf ihre Tabelle zur Entwicklung bis 2020 zeigt, dass sich im Lauf der Zeit das Verhältnis zwischen Vollzeitäquivalenten und echten Personen angleicht. Was ja im Klartext heißt: Es sind vor allem die älteren Lehrer und Lehrerinnen, die noch mit den Ende der 1990er Jahre ausgehandelten Teilzeitverträgen herumlaufen.

Es liegt also nahe anzunehmen, dass die 415 Vollzeitäquivalente auch ungefähr den eingestellten neuen Lehrern und Lehrerinnen entsprechen. Dazu kamen dann in einem ersten Akt der Erkenntniss noch 175 befristete Einstellungen. Auch so ein Ding, das Eva-Maria Stange nicht versteht, denn die Zahl der Altersabgänge steigt doch jetzt jedes Jahr – da muss man die jungen Leute doch mit richtigen Verträgen binden.

Und wie ist das mit dem Mehrbedarf, wenn ab September 4.400 Schüler mehr in Sachsens Schulen gehen? – Das sei mit zusätzlichen 253 Stellen ab dem 1. August abgegolten, teilt Brunhild Kurth nun mit. Was nach Adam Ries heißt – neben 543 Vollzeitstellen, die durch reine Altersabgänge frei werden, müssen auch diese 253 zusätzlichen Stellen besetzt werden. Um dieses Minimalziel zu erreichen, müsste der Freistaat in diesem Jahr also 796 neue Lehrerinnen und Lehrer einstellen.

Im Juni – als Brunhild Kurth so in Panik verfiel – hatte sie aber nur die 415 unbefristeten und 175 befristeten Neueinstellungen – macht 590. Da fehlten selbst für Mäxchen, der in Mathematik nur ein klein bisschen aufgepasst hat, 203 Lehrerinnen und Lehrer. Und da sieht der Kompromiss, den Brunhild Kurth dann mit Finanzminister Georg Unland und Ministerpräsident Stanislaw Tillich abschloss, nicht nur mager aus, sondern nach einer Katastrophe: 160 zusätzliche Lehrkräfte? Da fehlen ja schon wieder 43.

Irgendwie wird hinter den Kulissen ja noch immer gebastelt.

In ihrer Juli-Auskunft spricht Brunhild Kurth nun von 185 zusätzlichen Stellen. Aber nach wie vor: alle befristet bis zum August 2015, ganz so, als wolle der Freistaat nun wie die Deutsche Post arbeiten und seine Lehrer mit Kettenverträgen bei Laune halten. Von diesen zusätzlichen Kräften sollen 54 in den Agenturbezirk Leipzig kommen.

Aber vielleicht ahnt man ja in Dresden doch, dass es jetzt langsam brisant wird mit der Lehrergewinnung und dass man irgendwann gar keine jungen Lehrer mehr bekommt, weil andere Bundesländer echte unbefristete Anstellungen und oft sogar noch das Beamtenverhältnis anbieten.

Das hätte schon zur Schuljahresplanung 2014/2015 mächtig in die Hose gehen können. Im letzten Moment hat das Kultusministerium die Arbeitsverträge von 380 (von insgesamt 532) Lehrern, die nur bis zum 31. Juli befristet waren, schnell entfristet und aus Zeitarbeitern jetzt fest angestellte Pädagogen gemacht. Wer freilich einen Zeitarbeitsvertrag bis 31. Dezember 2012 hatte, durfte sich nur auf eine Verlängerung bis Schuljahresende 2015 freuen.

Ein Gewurstel, das so auch das Kultusministerium nerven dürfte. Denn die richtig harten Brocken kommen ja erst mit den großen Altersabgängen der nächsten Jahre.

Die Kleine Anfrage von Eva-Maria Stange zu den Altersabgängen bis 2020 als PDF zum Download.

Die Kleine Anfrage von Eva-Maria Stange zu den zusätzlichen 160 Stellen als PDF zum Download.

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