Die Piratenpartei versetzt nicht nur manchen Parteistrategen ins Grübeln. Auch beim Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) fühlt man sich von der Erfolgen der bunten Truppe herausgefordert. Über seine Vorstellungen von Netz- und Medienpolitik im Piraten-Zeitalter spricht VPRT-Präsident Jürgen Doetz im L-IZ-Interview.

Herr Doetz, in einem Vortrag jüngst in Leipzig zur Medienpolitik haben Sie den Wahlerfolgen der Piratenpartei breiten Raum gewidmet. Warum gerät diese neue Partei so in den Fokus der privaten Rundfunkanbieter?

Deshalb, weil sie bewährte Grundlagen unseres Rechtssystems im Urheberrecht in Frage stellt und es ihr gelingt, damit Kurskorrekturen bei Parteien und Institutionen zu provozieren, die dafür leider anfällig sind.

Der Freiheitsbegriff dient dabei vielen zur Negierung des geistigen Eigentums. Das halten wir gesamtgesellschaftlich für eine gefährliche Entwicklung, die nicht zuletzt auch die Geschäftsgrundlage für die Inhalteindustrie in Frage stellt. Deshalb setzen wir uns mit dieser Partei auseinander, treten dieser Anschauung entgegen. Aber natürlich suchen wir auch den Dialog mit ihren Vertretern.

Welche Lücke im gesellschaftlichen Diskurs und im Parteiensystem füllen die Piraten aus Ihrer Sicht aus?

Der Erfolg der Piraten zeigt vor allem, dass sich viele junge Menschen nicht mehr von den etablierten Parteien verstanden und vertreten fühlen. Das gilt insbesondere für die, die als Digital Natives in neuen sozialen Bezügen kommunizieren, ihre Meinung bilden und leben. Hier gibt es Versäumnisse der übrigen Parteien, die mit einer großen Logik zu dem Entstehen und dem Erfolg der Piratenpartei geführt haben. Die Piraten besetzen zunächst einmal diese Lücke. Inwieweit sie sie auf Strecke auch ausfüllen können, halte ich heute für noch vollkommen offen.

Sie plädieren für ein Überwinden alter Gräben zwischen den öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanbietern. Welchem Zweck dient in diesem Zusammenhang die jüngst erfolgte Gründung der “Deutschen Content Allianz”?

Die Deutsche Content Allianz ist eine Initiative pro Inhalte. Es geht der Allianz darum, auf den Wert von Inhalten aufmerksam zu machen und sie im Netz zu schützen. In der politischen wie öffentlichen Wahrnehmung ist das Koordinatensystem zwischen Netzen und Inhalten deutlich verrutscht. Es geht uns darum, dem etwas entgegenzusetzen.

Die Netzunternehmen und -politiker müssen endlich zur Kenntnis nehmen – um noch einmal das Bild meines Kollegen Gorny von der Musikwirtschaft zu bemühen – dass sie die Pipelines organisieren, die ohne unser Öl nichts wert sind, sondern hohl bleiben würden. In diesem Thema wollen wir der Position der Inhalteanbieter Gehör verschaffen und die Wahrung ihrer berechtigten Interessen wieder stärken. Bei allen Gegensätzen im täglichen Wettbewerb ist das für öffentlich-rechtliche wie private Rundfunkanbieter ein gemeinsames Zukunftsthema von existenzieller Wichtigkeit.Beim Stichwort Content liegt das Reizwort ACTA nicht fern. Inwieweit verstehen Sie das Unbehagen an dem Abkommen, das sich in der letzten Zeit in vielen Demonstrationen zeigte?

Es ist für mich nur schwer verständlich, vor allem aber bedauerlich. Die berechtigten Sorgen vieler Menschen sind zum Teil durch Intransparenz und durch das Kolportieren alter Verhandlungsstände noch zusätzlich geschürt worden. Und dass dies leider auch die Bundesregierung einbeziehen muss – das hat mich am meisten geärgert. Deshalb ist es uns ein großes Anliegen, nun auf der Basis dessen, was tatsächlich im Raum steht, wieder zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren.

Auf welcher Sachebene bewegen wir uns denn aus Ihrer Sicht?

Ziel von ACTA ist es lediglich, zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie weltweit in allen Ländern ein Mindestschutzniveau zu schaffen, das es möglich macht, geistiges Eigentum in allen Bereichen wirksam gegen Piraterie zu schützen – und zwar unter Achtung der Grundsätze von freier Meinungsäußerung, fairen Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre. Das, was in dem Abkommen vereinbart wurde, ist in Deutschland bereits lange gesetzlich verankert.

Eine Unterzeichnung des Abkommens, das Deutschland mit verhandelt und dessen Unterzeichnung die Bundesjustizministerin Ende vergangenen Jahres selbst empfohlen hatte, zeugt in unseren Augen zunächst einmal von einem grundlegenden Bekenntnis zum Schutz geistigen Eigentums. Gleichwohl entbindet ACTA uns alle – Gesellschaft, Wirtschaft und Politik – nicht davon, eine umfassende Debatte über eine Reform des Urheberrechts und über ein notwendiges Umdenken über Werte und Wertschöpfung zu führen.

Die Deutsche Content Allianz und der VPRT werden die Debatte und den Dialog über dieses Thema deshalb in der politischen Arbeit wie auch öffentlich in diesem Jahr weiter vorantreiben. Es liegt uns sehr an einem konstruktiven Austausch mit allen Beteiligten, um damit wieder zur Versachlichung einer etwas verrutschten Debatte beizutragen.

Welche politischen Antworten erwarten Sie auf die neuen Herausforderungen in der Medien- und Netzpolitik sowie beim Schutz von Urheberrechten?Netzpolitik ist heute en vogue und ein Thema, mit dem sich politisch punkten lässt. Die Medienpolitik droht dabei leider zunehmend auf der Strecke zu bleiben. Das Problem ist zudem, dass die Netzpolitik zuvorderst ein Thema des Bundes ist und die Medienpolitik ein Länderthema. Beide Bereiche sind an sich thematisch untrennbar miteinander verbunden. Auf der Ebene von Politik und Regulierung allerdings sind Vernetzung und Koordinierung bislang noch völlig unzureichend. Das jedoch wäre ein erster wichtiger Schritt für eine kohärente Regulierung, für eine neue Medienordnung.

In der Praxis spüren wir schon heute die Auswirkungen: Nehmen Sie zum Beispiel einen neuen internettauglichen Hybridfernseher. Hier können Sie heute das gleiche Angebot, etwa einen Film, von einem klassischen Rundfunkanbieter oder einem reinen Onlineanbieter verfolgen. Der gleiche Inhalt ohne Unterschied für die Wahrnehmung der Nutzer – nur vollkommen unterschiedlich reguliert, was zum Beispiel die Werbemöglichkeiten anbelangt.

Was folgt für Sie aus dem unterschiedlichen Grad der Regulierung?

Wenn man dem Rundfunk eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zubilligt und ihn andererseits stärker reguliert, wie dieses Beispiel zeigt, muss man aber auch Anreize dafür schaffen, dass es sich überhaupt noch lohnt, Rundfunkanbieter zu sein. Beispiele für Anreize könnten etwa die Auffindbarkeit in EPGs oder Portalen sein oder anderes mehr. Da brauchen wir im Interesse dessen, was die heutige Rundfunkvielfalt gesellschaftlich leistet und leisten soll, einen Ausgleich, der nur in einer Zusammenwirkung von Bund und Ländern erreicht werden kann.

Was erwarten Sie noch von Bund und Ländern?

Ein weiteres großes Thema für uns ist die Debatte zur Netzneutralität. Mit dem Verweis auf steigende Datenraten und daraus angeblich resultierenden Kapazitätsengpässen sowie hohen Netzausbaukosten streben einige Netzbetreiber bzw. ISPs die Einführung von Diensteklassen anstelle des bisherigen Best-Effort-Prinzips im Internet an, das besagt, dass Netzbetreiber die Verbreitung aller Angebote in ihren Netzen im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen bestmöglich und gleichberechtigt bedienen sollen.

Dabei sind die Netzbetreiber den Beweis zukünftiger Netzengpässe bis heute schuldig geblieben. Nach unserer Überzeugung würde die Einführung von Diensteklassen die Attraktivität einer Mangelverwaltung oder gar künstlichen Verknappung noch einmal erhöhen, weil die Netzbetreiber mit Angeboten der Premium-Diensteklasse gut verdienen würden und sie damit keine Motivation mehr für einen weiteren Netzausbau hätten.

Infrastrukturbetreiber dürfen – im Interesse eines offenen Internets – jedoch nicht unter Verweis auf die Debatte zur Netzneutralität ihre Ausbaubemühungen reduzieren oder einstellen. Vielmehr müssen wir darauf drängen, dass auch im offenen Internet weiterhin ein bedarfsorientierter Ausbau erfolgt und am Best-Effort-Prinzip festgehalten wird. Ziel muss die Sicherstellung eines Netzes sein, das der gesellschaftlichen Funktion der medien- und kulturpolitischen Institutionen, zu denen auch der Rundfunk zählt, gerecht wird.

Das sind, kurz zusammengefasst, die Positionen des VPRT zur Netzpolitik. Im Urheberrecht liegt unsere Auffassung auf der Hand: Wir treten für einen hinreichenden Schutz vor Piraterie, für den Schutz unseres Sendesignals etwa vor Werbeüberblendungen als eigenständiges Geschäftsmodell Dritter und generell für den Schutz geistigen Eigentums ein.

Hier schließt sich der Kreis zu unserem Gesprächsbeginn: Wenn unter dem Begriff ?Freiheit? diese Spielregeln nicht mehr gelten sollen, wird sich die Entwicklung von kreativen Inhalten nicht mehr lohnen. Dann wäre am Ende alle Freiheit nicht mehr viel wert, weil es langfristig kaum noch vielfältige und attraktive Qualitäts-Angebote im Netz gäbe.

www.vprt.de

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