Dafür kann Leipzigs Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht zwar nichts. Aber am 6. Juni bekam er von Christian Bärwind (Google Deutschland) und René Arnold (Institut der Deutschen Wirtschaft Köln) den "eTown"-Award für die Stadt Leipzig überreicht. Warum nun ausgerechnet Leipzig das Ding bekam, hat sich Uwe Albrecht gar nicht erst erklären lassen. Klingt doch toll: "Nutzungsintensität digitaler Dienste".

“Eine schöne Ehrung für unsere Stadt, die kein Zufall ist”, meinte Uwe Albrecht, Bürgermeister für Wirtschaft und Arbeit der Stadt Leipzig, nachdem ihm der kleine Staubfänger überreicht worden war. “Leipzigs Internetwirtschaft verdient diesen Preis, denn ob große Unternehmen wie Unister, kleinere Firmen wie die Leipziger eCommerce Genossenschaft oder auch Netzwerke wie der Kreatives Leipzig e.V.: das Internet ist ein wichtiger Bestandteil der Wertschöpfungskette nahezu aller Branchen. Darin liegt eine Stärke Leipzigs.”

Man sieht: Er wirft alles, aber auch wirklich alles durcheinander. Die Internetwirtschaft, die Werbewirtschaft, die Kreativszene. Und hat sich nicht einmal erklären lassen, warum ausgerechnet Google Leipzig mit einem Award bedenkt. Mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat sich Google noch ein deutsches Feigenblättchen ins Boot geholt. Und zehn deutsche Kommunen und die jeweiligen Preisempfänger waren reineweg aus dem Häuschen.

Christian Bärwind, Industry Head Travel von Google Deutschland, ließ den erfreuten Wirtschaftsbürgermeister denn auch fröhlich lächelnd in der Welt stehen. “In Städten wie Leipzig setzen die ansässigen Unternehmen die Chancen des Internets besonders konsequent in die Praxis um”, behauptete er einfach mal so, obwohl das mit der Ermittlung des Preisträgers gar nichts zu tun hatte. Nicht die Zahl der Internet-Unternehmen, nicht ihre Geschäftserfolge, nicht ihre Netzaktivitäten. Nichts davon. “Leipzig hat damit eine wichtige Vorbildfunktion für andere Städte – darauf möchten wir mit der Verleihung des ?eTown’-Awards hinweisen”, sagte Bärwind.

Ähnliche Sprüche gab’s auch in den anderen neun Städten, wo die Wirtschaftsbürgermeister höchst überrascht in die Kameras blinzelten: Na hoppla, dachte ja gar nicht, dass wir so toll sind.

Denn während Google und das IW Köln die Stadt Leipzig zur “digitalsten Stadt” in der Postleitzahl-Region 0 erklärten (zu der neben sächsischen auch Kommunen in Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie Brandenburg gehören), wurde derselbe Titel Berlin (PLZ-Gebiet 1), Delmenhorst (PLZ-Gebiet 2), Gießen (PLZ-Gebiet 3), Mühlheim an der Ruhr (PLZ-Gebiet 4), Mainz (PLZ-Gebiet 5), Speyer (PLZ-Gebiet 6), Offenburg (PLZ-Gebiet 7), Erding (PLZ-Gebiet 8) und Nürnberg (PLZ-Gebiet 9) verliehen.Hinter der Kür steckt – wie die FAZ aus Anlass der Award-Übergabe in Berlin im Mai feststellte – einer von den berühmten Indizes, die diverse Unternehmen und Institute in Deutschland gern ausrechnen, um irgend ein Ranking zusammenzustellen, in dem einer oben der Sieger ist und einer die Rote Laterne verpasst bekommt. Das IW Köln ist bekannt dafür, dass es solche Listen gern fürs Institut für Neue Soziale Marktwirtschaft (ISNM) erstellt. Mal geht es um Schulden, mal um ein Bildungsranking, dann wieder um ein Zukunftspanel.

Auf FAZ-Anfrage zum “eTown-Index”, der der Kür der eTown-Vorzeige-Städte zu Grunde liegt, teilte Google mit, er setze “sich zusammen ‘aus dem Business Model Monitor Digital (BM²D)-Index’ und dem ‘Google AdWords-Index’.” Da passierte selbst Ursula Scheer, die den Artikel “Ab in die eTonne” schrieb, ein: “Ah ja. – Der ‘BM²D-Index’ bilde die ‘Internetaffinität’ ab und werde vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelt, basierend auf ‘Umfragewerten aus dem IW-Zukunftspanel’.”

Und was hat das IW Köln speziell über die Internet-Stadt Leipzig herausbekommen? – René Arnold, Fachreferent Research und Gutachten, Institut der deutschen Wirtschaft Köln: “Für unsere Untersuchung wurden erstmals Strukturdaten des IW Köln mit Nutzerdaten der Google-Plattform Adwords zusammengeführt. Sie belegen u.a., dass nicht nur bekannte Wirtschaftszentren wie Berlin oder Leipzig von hohem digitalen Wachstum geprägt sind, sondern ebenso kleinere Städte wie Speyer oder Mühlheim an der Ruhr.”

Ah ja.

Nüscht also. Oder um Ursula Scheer noch einmal zu zitieren: “Irgendwelche Daten vom IW in Köln plus Nutzerzahlen von Googles Online-Marketing-Plattform ‘AdWords’, die Anzeigen immer so hübsch passend zum Suchbegriff zusammenstellt, sagen: Berlin ist ein Innovationszentrum …”

Oder Leipzig. Oder Schilda. Das ist egal.Über die diversen Struktur-Rankings zu Leipzig braucht man wohl hier kein Wort zu verlieren. Und wenn es zutreffen sollte, dass Leipzig bei der Nutzung von Googles Marketing-Plattform “Adwords” besonders hervorsticht, dann bedeutet das einfach, dass Leipzigs Werbeagenturen hier das meiste Geld zum Google-Fenster rausschmeißen. Sehr zur Freude des Suchmaschinenbetreibers Google Inc., der mit einem Jahresumsatz von 37,9 Milliarden Dollar (2011) zu den größten Spielern auf dem Internet-Werbemarkt gehört.

Die Wertung kann auch einfach heißen, dass in Leipzig mehr Unternehmen ansässig sind, die auf “Adwords” werben, als etwa in Halle, Delitzsch oder Altenburg.

Mit Innovation oder einer besonders kreativen Digitalwirtschaft hat das nichts zu tun. Nicht einmal mit irgendwelchen Internetaktivitäten der Stadt, die ja sowieso nicht so richtig weiß, wo die Reise hingeht, sonst würde sie ihre eigenen wichtigen Netz-Akteure HL komm und Perdata nicht auf Teufel komm raus verkaufen.

Und einmal Googles Pressemeldung dazu selbst zitiert: “Der Google AdWords-Index bemisst die Zunahme von Online-Marketing in deutschen Städten auf Basis des Jahreswachstums der Nutzerzahlen von Google AdWords durch lokale Unternehmen. Während der Digitalisierungsindex des IW Köln zu dem Schluss kommt, dass speziell die klassischen Industrieregionen und die Zentren besonders stark digitalisiert sind, zeigen Googles Daten, dass es in allen deutschen Regionen Innovationszentren gibt, in denen Online-Marketing-Aktivitäten hohe Wachstumsraten verzeichnen. Um die Städte aller deutschen Regionen mit besonders internetbasiertem Wirtschaftswachstum auszuzeichnen, wurden daher im ‘eTown’-Index die Daten des IW Köln und Googles Daten zusammengeführt.”

Klartext: Was die drei Herren da bei der Award-Übergabe sagten, war Quatsch und hat mit dem Preis nichts zu tun. Wirklich ausschlaggebend sind am Ende die ganz speziellen “Nutzerzahlen von Google AdWords durch lokale Unternehmen”.

Was Google da – mit freundlicher Schützenhilfe der IW Köln gemacht hat – ist reiner Lobbyismus in eigener Sache. Es wäre sogar ehrlicher gewesen, Leipzig einen Google-Award zu verleihen.

Die Berliner Humboldt-Universität hat als Dreingabe für den Award noch ein von Google finanziertes “Institut für Internet und Gesellschaft” bekommen. Und die Preise, die die Award-Städte bekommen, sind auch nicht ohne Eigennutz: Sie bekommen “kostenlose Workshops speziell für kleine und mittelständische Betriebe aus der Region. Hier erfahren die Unternehmerinnen und Unternehmer, wie sie die Potenziale des Internets am besten für ihr Geschäft nutzen können.” So Google selbst.

Und wer gedacht hätte, auf der Website www.online-motor-deutschland.de, wo Google die eTowns promotet, würden dann irgendwelche Ergebnisse aus dem Wettbewerbsverfahren preisgegeben, läuft ins Leere, findet nur wieder den nächsten Promo-Clip, diesmal für Erding, das nicht wirklich irgendein kleines Nest in Bayern ist, sondern eine Kreisstadt im Einzugsgebiet von München. Ähnlich ist es mit Delmenhorst, das im Bremer Einzugsgebiet liegt.

Leipzig ist durch den Award noch längst keine e-Town. Nur eine Adwords-Town. Oder, um dafür eine hübsche Übersetzung ins Deutsche zu finden: Eine Stadt der digitalen Kleinanzeigen.

Das ist das Niveau, auf dem Leipzig spielt. Und wer noch denkt, e-Wolf, das die Workshops in den Award-Städten anbieten soll, sei ein kompetenter Berater für Online-Marketing, stolpert spätestens auf dessen Website über die schlichte Tatsache, dass es hier um “Google-Advertising” geht. Um nichts anderes. Das nennt man dann eine runde PR-Aktion in eigener Sache.

Der Beitrag auf FAZ online: www.faz.net

Die Google-Promotion: www.online-motor-deutschland.de/etown

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