Man kann sich ja mal ein bisschen naiv stellen, dachte sich Thomas W. und stellte im Oktober eine Bürgeranfrage an die Stadtverwaltung zu ihrem Facebook-Auftritt. Manche Leute halten ja Facebook für eine Art zweites Internet und glauben, jeder müsse da irgendwie repräsentativ vertreten sein. Die Stadt Leipzig ist es seit dem Sommer.

“Immer wieder fällt mir auf, das die Stadt Leipzig unzureichend und uneinheitlich auf der Social Media Plattform FACEBOOK präsent ist”, meint Thomas W.. “So gibt es die offizielle Verwaltungsseite: https://www.facebook.com/Portal.Stadt.Leipzig Hier kann ich noch eine Zielgruppe, den Leipziger Bürger, erkennen. – Darüber hinaus gibt es 2 semi-offizielle Seiten die beide vom LTM betreut werden: https://www.facebook.com/leipzigcity, https://www.facebook.com/NAEHERdran.Leipzig.”

Kann man natürlich gespannt sein, wie die Stadtverwaltung mit dem Wörtchen “semi-offiziell” umgeht. “Hier ist mir allerdings die Ausrichtung gänzlich unklar. Beide bedienen ausschließlich touristische und teilweise unternehmerisch bewerbende Themen. Ist dies eine gewollte Arbeit?”, fragt Thomas W., den einige Leipziger als Betreiber einer Agentur kennen, die auch die Erstellung und Betreuung von Social-Media-Auftritten anbietet.

“Warum werden keine ausländischen Gäste (zumindest in Englisch) angesprochen? Warum ist in die Arbeit die Stadt Leipzig nicht involviert? Gibt es konzeptionelle und inhaltliche Vorgaben? Wird Social Media in der Stadt Leipzig als notwendig wahrgenommen und vorhandene Plattformen beobachtet und analysiert?”, fragt er. Und stellt auch noch fest: “Weiterhin bestehen sehr viele Leipzig-Fanseiten. Diese haben teilweise fragwürdige Inhalte, treten aber nach Außen sehr offiziell auf. So sind dort auch Bilder aus den Archiven der Stadt zu sehen, die normalerweise kostenpflichtig sind. Wird hier seitens der Stadt auf Qualität und Image geachtet? Wird versucht mit diesen Betreibern Kontakt aufzunehmen um Imageschäden abzuwenden?”

Durchaus erstaunlich. Will da jemand Ordnung schaffen im Facebook-Urwald? Gar den Leipzig-Fans untersagen, derart chaotisch für ihre Heimatstadt zu werben?

“Auf anderen (gerade im Ausland beliebten) Plattformen ist Leipzig gar nicht sichtbar. Ich freue mich auf Ihre Antwort”, schreibt er noch. “Warum ich diese Fragen stelle? Weil ich immer wieder von verwirrten Freunden und Geschäftskunden aus dem In- und Ausland angesprochen werden. Diese können sich nur schlecht und unzureichend informieren. Da ich mich beruflich mit Social Media beschäftige, muss ich dann immer helfen und mich auch für die Unzulänglichkeiten rechtfertigen und entschuldigen.”

Muss er nicht wirklich. Es sei denn, er hat ganz seltsame Freunde, die davon ausgehen, dass Thomas W. für alle Facebook-Seiten aus Leipzig verantwortlich ist. Ist er aber nicht.Ein Blick ins Netz zeigt: So unbekannt und wirr kann der Facebook-Gemeinde da draußen der Auftritt des LTM nicht sein. Wenn man Leipzig in Zusammenhang mit Facebook sucht, taucht diese – natürlich auf Touristen und Veranstalter zielende Website – als erster Suchmaschinentreffer auf: 45.709 Leute mögen die Seite. Gleich dahinter kommt – sogar von 49.671 Leuten “gelikt” – der Facebook-Auftritt des Leipziger Zoos de-de.facebook.com/ZooLeipzig. Die Stadtverwaltung selbst – erst im Juli gestartet – wird nur von 1.201 Leuten gemocht, wenn man den “Gefällt mir”-Button von Facebook so werten möchte.

Aber die Frage ist gut: “Wird Social Media in der Stadt Leipzig als notwendig wahrgenommen und vorhandene Plattformen beobachtet und analysiert?”

Ja, wer beschäftigt sich mit so einer überflüssigen Beobachtung? Die sächsische Staatsregierung will ja extra ein teures technisches Programm einkaufen, um die Social Media Aktivitäten der Sachsen irgendwie zu filtern und auszuwerten. Allein für die Bundesrepublik Deutschland werden über 22 Millionen Facebook-Profile gezählt. Davon entfallen über 100.000 auf Leipzig und diverse Leipziger. Und viele davon sind mittlerweile recht vorsichtig geworden. Facebook hat ja nicht ohne Ursache 2011 den “Big Brother Award” bekommen. Denn – das vergisst man ja zuweilen bei all dem Übereifer, mit dem allerlei Leute einen Auftritt in Facebook anpreisen und für notwendig halten – es ist immer noch eine private Website, auf der der Eigentümer, die Facebook Inc., die Regeln vorgibt. Auch die zum Datenschutz.

Mal so gesagt: Wer für Facebook-Auftritte wirbt, besorgt die Werbung für ein Privatunternehmen.

Städte wie Leipzig stehen dann natürlich vor dem Problem: Was tun? Wenn es keine eigenen offiziellen Auftritte gibt, besetzten irgendwelche privaten “Fans” den Facebook-Auftritt der Stadt. Deswegen war der LTM die erste städtische Einrichtung, die für Leipzig – “semi-offiziell” – ganz offiziell zwei Facebook-Auftritte aufbaute.

Die nun auch fleißig mit Inhalt bestückt werden. Für alle, die so was mögen. Wenn sie davon erfahren. Denn ein simples “gefällt mir” reicht ja nicht, um dauerhaft mit den neuen Bildchen und Textchen, die täglich eingepflegt werden, beglückt zu werden. Man muss schon regelmäßig darauf reagieren, die Seite auch wieder besuchen. Sonst geht der Auftritt einfach unter im Meer all der “gelikten” Seiten. Manche Leute halten ihre Facebook-Welt sogar schon für die richtige und glauben, dass alles, was nicht drin ist, nicht wichtig ist.

Aber umgekehrt stimmt’s wohl eher.

Was der Facebook-Hype schafft, ist natürlich viel zusätzliche Arbeit. Denn wenn Druck gemacht wird auf Kommunen und kommunale Einrichtungen, sie müssten unbedingt bei Facebook mit eigenem Profil auftauchen, braucht es auch zusätzliche kleine Zwerge, die das Profil jeden Tag aktuell halten und neue Nachrichten einspeisen. Manche stellen dafür extra “Social-Media-Teams” ein.

Bleibt trotzdem die Frage: Muss es sein? – Schon im Juli fragte Thomas W. auf der Facebook-Seite der Stadt, ob der neue Auftritt nun in Konkurrenz stünde zu dem des LTM.

Wird jeder Leipziger mit den Schultern zucken. Wen interessiert das? – Vielleicht jene, die glauben, sie würden sich bei Facebook tatsächlich irgendwie “ausreichend informieren” können. Da sollte man vielleicht doch lieber auf die eigenen Websites von Stadt und LTM gehen. Facebook ist wirklich nicht das Internet. Aber das verraten wir hier keinem.

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