Mit Alternativen zum neuen Rundfunkbeitrag sieht es nicht gut aus, sagt der grüne Medienexperte Karl-Heinz Gerstenberg im L-IZ Interview. "Da vor allem junge Leute Programmangebote vorzugsweise über das Internet nutzen, begrüße ich es, dass ARD und ZDF nun alle Kanäle als Livestream zur Verfügung stellen", so der Landtagsabgeordnete.

Herr Gerstenberg, der parlamentarische Konsens in Sachsen zum neuen Rundfunkbeitrag erreicht in etwa die Riesenspannweite der Zustimmung zum Verschuldungsverbot. Ist denn der Beitrag wirklich so alternativlos?

In der Regel ist in der Politik nichts alternativlos. Aber nicht nur in Sachsen, sondern in allen Landtagen hat die Zustimmung zum neuen Rundfunkbeitrag das gesamte demokratische Spektrum umfasst. Das zeigt, dass es mit Alternativen in diesem Fall nicht gut aussieht:

Pay-TV wäre eindeutig verfassungswidrig. Die Erhebung einer Steuer hingegen verstieße gegen die Staatsferne. Sie würde durch die Verteilung über die Parlamente die Sender unmittelbar von den Politikern abhängig machen. Zudem käme ihr Einzug über das Finanzamt teurer.

Einig waren und sind sich alle Medienpolitiker, dass die bisherige, auf das Vorhandensein bestimmter Geräte wie Fernseher oder Radio gestützte Rundfunkgebühr nicht länger haltbar ist. Rundfunk wird heute auch mit PC, Laptop, Smartphone oder Tablet empfangen – und ich wage keine Prognose, welche Geräte in den nächsten Jahren noch dazukommen. Der auf die Wohnung bezogene Rundfunkbeitrag ist deshalb richtig, weil er eine deutliche Vereinfachung schafft und weniger Kontrolle erfordert.

Seit Januar 2013 gilt zur Finanzierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks nun der Rundfunkbeitrag für alle Haushalte von aktuell 17,98 Euro monatlich. “Geräteunabhängig” wie es heißt, also auch dann, wenn sich gar kein Endgerät im Haushalt befindet. Wo bleibt bei dieser Art von Pauschalierung das Verursacherprinzip, das Grüne als ökologisches Steuerungsinstrument sonst so präferieren?

Das Verursacherprinzip des Umweltschutzes ist hier fehl am Platz, denn es verlangt, dass die sozialen oder volkswirtschaftlichen Kosten einer wirtschaftlichen Aktivität von deren Verursachern zu tragen sind. Diskutiert wird im Zusammenhang mit dem Rundfunkbeitrag ja eher das Nutzerprinzip, wonach eine Gebühr nur für das Inanspruchnehmen einer Leistung zu zahlen ist. Daran gemessen war auch die bisherige “Rundfunkgebühr” keine Gebühr, denn sie war unabhängig davon, ob mit dem vorhandenen Fernseher oder Radio die öffentlich-rechtlichen Sender gehört oder gesehen wurden.

Eine spannende Frage ist, in welchen Haushalten sich denn wirklich kein Endgerät aus dem großen genannten Spektrum befindet. Mir ist bisher noch keiner begegnet. Hingegen kenne ich etliche Menschen, die sich sehr bewusst nur für das Radiohören entschieden haben und die jetzt leider einer Mehrbelastung ausgesetzt sind. Da kann ich nur an deren Solidarität appellieren, denn jede Differenzierung würde den Abschied von der GEZ-Schnüffelei verhindern.
Sind also die Veränderungen durch den Beitrag gar nicht so tiefgreifend?

Wir sollten bei der Diskussion auch nicht vergessen, dass sich für etwa 90 Prozent der Haushalte nichts ändert. Für eine Reihe von Familien, für Lebens- und Wohngemeinschaften gibt es sogar Entlastungen.

Wenn das Statistische Bundesamt Recht hat, befand sich bereits 2011 in über 96 Prozent der Haushalte ein Fernsehgerät, für das gesetzlich 17,98 Euro fällig gewesen wären. Ob diese Gebühr immer gezahlt wurde, ist allerdings eine andere Frage.

Da vor allem junge Leute Programmangebote vorzugsweise über das Internet nutzen, begrüße ich es, dass ARD und ZDF nun alle Kanäle als Livestream zur Verfügung stellen. Wenn jetzt alle für das öffentlich-rechtliche Programm zahlen, dann dürfen aber auch Sendungen nicht mehr nach sieben Tagen aus den Mediatheken verschwinden. Dafür müssen die gesetzlichen Grundlagen geändert werden.

Inwieweit überzeugen Sie die juristischen Begründungen, wonach der Rundfunkbeitrag gerade keine Steuer ist, die ja unzulässig wäre?

Diese Einordnung im Spektrum der Abgaben liegt für mich auf der Hand: Steuern sind durch die Zahler ohne eine direkte Gegenleistung zu entrichten. Ein Beitrag dagegen basiert auf der Möglichkeit, eine öffentliche Leistung in Anspruch zu nehmen. Es geht also um das Angebot an Programmen, das überall und jederzeit zur Verfügung steht.

Ob es tatsächlich genutzt wird, liegt in der Freiheit des Einzelnen. Das entsprechende Gutachten zum Rundfunkbeitrag von Professor Paul Kirchhof, ehemaliger Bundesverfassungsrichter, hat mich überzeugt.

Nun zum Datenschutz als weiterem grünem Kernthema. Ihr Dresdner Parteifreund Torsten Schulze kritisiert die Datensammelwut des neuen Beitragsservices von ARD und ZDF. Weiß der GEZ-Nachfolger eigentlich besser über die individuellen Verhältnisse der Menschen in Deutschland Bescheid als die Meldebehörden?

Das ist schlecht möglich, da im Rahmen des einmaligen Meldedatenabgleichs von den Meldeämtern Name, Adresse, Familienstand und Geburtsdatum übermittelt werden. Diese Daten wurden auch bereits in der Vergangenheit regelmäßig übertragen.

Aus meiner Sicht ist es zunächst ein erheblicher Fortschritt beim Persönlichkeitsschutz, wenn kein Gebührenbeauftragter mehr an der Tür klingelt, um Empfangsgeräte in der Wohnung auszuforschen. Trotzdem gab es von grüner Seite während der Vorbereitung und Beratung des Staatsvertrages in den Jahren 2010 und 2011 deutliche Kritik, mit der wir auch die Landesdatenschützer unterstützt haben.

Die wichtigsten Punkte haben wir bei der Beratung des Staatsvertrages im Sächsischen Landtag in einem Entschließungsantrag festgehalten. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben im Nachhinein mit den Landesbeauftragten für den Datenschutz Konkretisierungen entwickelt und in ihre Musterbeitragssatzung aufgenommen. Diese Regelungen müssen künftig Eingang in das Gesetz finden.

Die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten dürfen werben und sehen sich bei den Programmformaten im Wettbewerb mit den Privatanstalten. Was macht aus Ihrer Sicht denn da den Unterschied, der einen Zwangsbeitrag von allen Haushalten rechtfertigt?

Die Öffentlich-Rechtlichen nehmen den Grundversorgungsauftrag wahr, sie müssen auch Programmangebote machen, die nicht so populär sind. Zugleich dürfen sie nicht in die Nische abrutschen, sondern sind zu Angeboten für die Allgemeinheit verpflichtet.

Diesen schwierigen Spagat bewältigen sie oft erstaunlich gut. Ich halte es für keinen Zufall, dass die Mehrzahl der renommierten Grimme-Preise an die öffentlich-rechtlichen Sender geht. Qualitätsjournalismus in der aktuellen Berichterstattung und bei Dokumentationen hat bei ihnen ebenso eine Heimat wie der große Fernsehfilm. Angesichts mancher Volksmusiksendungen und der Überflutung mit Krimis wünsche ich mir jedoch gerade wegen des Unterschiedes zu den Privaten, dass bei ihnen im Zweifelsfall Qualität vor Quote geht.

Werbung setzt auf Reichweite, also Quote. Wie passt denn beides, Werbetauglichkeit und Programmqualität, bei den Öffentlich-Rechtlichen zusammen?

Während sich die privaten Sender vollständig durch Werbung finanzieren, ist diese bei ARD und ZDF eng begrenzt. Sie darf im Durchschnitt 20 Minuten am Tag nicht überschreiten, die Stunden nach 20 Uhr sowie Sonn- und Feiertage sind vollständig ausgenommen. Falls künftig die Einnahmen durch die Beitragsumstellung tatsächlich steigen, wäre ein völliger Verzicht auf Werbung angebracht. Bisher hätte dies nur durch eine Beitragserhöhung um mehr als einen Euro aufgefangen werden können.

Angesichts des Kampfbegriffes “Zwangsbeitrag” frage ich mich immer, warum sich niemand an der Finanzierung der privaten Sender stört. Deren Werbung bezahlen die Käufer der beworbenen Produkte, ohne dass sich irgendjemand entziehen kann. Bei einem Umsatz der Privaten von 11,34 Milliarden im Jahr 2012 kostete das einen Durchschnittshaushalt 27 Euro im Monat.
Wie definieren Sie in kurzen Worten den “Auftrag zur Grundversorgung” der Öffentlich-Rechtlichen, der den Zwangsbeitrag rechtfertigt?

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sogenannten Niedersachsen-Urteil den Grundversorgungsauftrag definiert: “Die damit gestellte Aufgabe umfasst die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik. Darin finden der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine besondere Eigenart ihre Rechtfertigung. Die Aufgaben, welche ihm insoweit gestellt sind, machen es notwendig, die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen.”

Das heißt, dass die Öffentlich-Rechtlichen eine Vielfalt von Programmen anbieten müssen, die sowohl speziellen Interessen als auch dem breiten Geschmack Rechnung tragen müssen. Der “Tatort” gehört ebenso zur Grundversorgung wie das Kulturmagazin “aspekte”. Grundversorgung ist also keineswegs eine Beschränkung auf das unumgängliche Minimum, wie in Diskussionen gelegentlich behauptet wird, sondern umfasst das gesamte Spektrum von Information, Bildung und Unterhaltung.

Der Grundversorgungsauftrag ist dabei dynamisch zu verstehen und erstreckt sich auch auf neue Inhalte, Formen und Übertragungswege. Das Bundesverfassungsgericht hat ihn später eng mit der sogenannten Bestands- und Entwicklungsgarantie verbunden. Die Erfüllung dieses Auftrags ist Voraussetzung dafür, dass bei den Privaten Einschränkungen in Programmvielfalt hinnehmbar sind. Die Öffentlich-Rechtlichen sind also sozusagen die Basis unseres dualen Rundfunksystems.

Die letzte Bestellung eines Chefredakteurs beim ZDF im Jahre 2012 ließ Zweifel an der Staatsferne des Senders aufkommen. Der Skandal beim Kinderkanal Kika scheint noch immer nicht abschließend aufgearbeitet. Wie kann das System Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk hier Vertrauen wieder gewinnen?

Zum Genannten kommen noch Schleichwerbung und Beispiele von Ineffizienz, welche die Rechnungshöfe bei ihren Prüfungen immer wieder aufdecken. Nun scheint mir gerade der MDR unter seiner Intendantin Karola Wille ernsthaft bereit, die Skandale aus der Vergangenheit aufzuarbeiten.

Es fällt jedoch auf, dass alle Vorfälle von Außenstehenden oder durch Selbstanzeige ans Licht kamen. Die internen Kontrollgremien, die Rundfunkräte und Verwaltungsräte haben dabei keine Rolle gespielt. Das lässt an deren Qualifikation und Fähigkeit zur Kontrolle zweifeln. Ihre ständige Qualifizierung und professionelle Beratung ist deshalb Aufgabe der Stunde.

Vertrauen entsteht vor allem durch Transparenz. Die Sender können ihre Glaubwürdigkeit erhöhen, wenn sie Geldflüsse und Produktionskosten, aber beispielsweise auch Honorare für Starmoderatoren offenlegen. Natürlich ist damit stets die Gefahr der Skandalisierung verbunden. Aber wenn alle den Beitrag zahlen, dann haben auch alle das Recht, sich über die Verwendung ihres Geldes zu informieren. Dass seine Einführung die Diskussion über Qualität des Angebotes und Transparenz der Anstalten anheizt, das ist ein Vorteil des neuen Rundfunkbeitrags.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: Dr. Karl-Heinz Gerstenberg ist stellvertretender Vorsitzender und medienpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen im Sächsischen Landtag

Entschließungsantrag der Grünen Landtagsfraktion vom November 2011, Drs 5/7533:
http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=7533&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1

Gutachten von Prof. Paul Kirchhof zur Rundfunkfinanzierung:
www.ard.de/intern/standpunkte/-/id=1453944/property=download/nid=8236/g73vou/Kirchhof-Gutachten+zur+Rundfunkfinanzierung.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar