Gern wird ja in dieser Zeit über die Medienkrise gejammert, wird das klägliche Bild beweint, das einstmals prägende Zeitungstitel heute abgeben, wird über Bezahl-Modi nachgedacht oder auch mal - aus Politikersicht - über die unerhörte "Macht der vierten Gewalt". Aber welche Macht hat eine "Gewalt", die immer weniger "Manpower" für echte Recherche hat?

So ein bisschen brachte das Wolfgang Tiefensee für seine Podiumsdiskussion am 12. Juni auf den Punkt: “Welche Macht haben die Medien heute, welche Macht sollten sie im Staat des Grundgesetzes besitzen, wie sollten sie die Macht, die sie besitzen, im demokratischen Staat ausüben? Ist der Pressekodex von 1973 als Grundlage einer journalistischen Ethik ausreichend? Aber auch umgekehrt gefragt: Welche Gefahren bestehen für die freien Medien, insbesondere in Zeiten des internationalen Terrorismus und vor dem Hintergrund des technischen/elektronischen Instrumentariums, das der öffentlichen Gewalt zur Verfügung steht?”

Ein Besuch am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften der Uni Leipzig hätte dem Bundestagsabgeordneten vielleicht gezeigt, dass die “4. Macht” von ganz anderer Seite noch viel stärker unter Druck kommt: die “5. Macht” übt den aus – mit richtig viel Geld und heftig aufmunitionierten PR- und Kommunikationsabteilungen, von denen einige nur eine Aufgabe haben: in der Medienlandschaft das Meinungsbild zu erzeugen, das das Unternehmen haben will.

Und in der Meldung der Uni Leipzig zu diesem Thema und einer kleinen Befragung von Verantwortlichen heißt es nun dazu: “Obwohl deutsche Unternehmen jährlich hohe Millionenbeträge für Public Relations, Mitarbeiterkommunikation und Investor Relations ausgeben, mangelt es in den Führungsetagen oft an zeitgemäßen Vorstellungen über die Dynamik der Meinungsbildung im Zeitalter des Social Web, die Rolle von Kommunikationsabteilungen und die Bedeutung einzelner Dialogpartner.”

Mal abgesehen davon, dass hier schon das übliche Zwie-Sprech der Marketing-Wirtschaft selbst verwendet wird – die Grundaussage stimmt: Die Unternehmen nehmen richtig viel Geld in die Hand, um ihr Außenbild auf allen Kanälen zu polieren.

Das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig habe jetzt gemeinsam mit dem Institut für Management der Humboldt-Universität zu Berlin und mit Unterstützung des F.A.Z.-Instituts die bislang weltweit größte Studie zur Unternehmenskommunikation aus der Perspektive des Top-Managements durchgeführt, meldet die Uni. Was auch wieder nicht ganz stimmt. Denn das Institut ist dabei eher die Verkleidung. Zu diesem Institut gehören neben den Buchwissenschaftlern (die die Studie natürlich nicht durchgeführt haben) auch die Medienwissenschaftler, Medienpädagogen und Journalisten, die damit auch nichts zu tun hatten. Federführend war allein die Abteilung Kommunikationsmanagement und Public Relations, die in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet wurde – unter anderem auf Kosten der Journalistik.

Was schon mit dem Grunddilemma zu tun hat: PR-Leute werden von den Unternehmen gesucht, Journalisten bekommen eher ihre Tarifverträge gekündigt. Da schwenken auch viele Journalisten lieber auf die Gegenseite um und werden Pressechefs und Chefs der PR-Abteilung.

In der jetzt vorgelegten Studie wurden 602 Entscheidungsträger im Top-Management deutscher Großunternehmen mit über 50 Millionen Euro Jahresumsatz über ihre Einstellungen und Erfahrungen zur strategischen Kommunikation im Zeitalter von globalen Medienmärkten, Internet und Social Web interviewt. Erstmals wurde mit Hilfe statistischer Analysen offengelegt, welche Rolle öffentliche Kommunikation und Reputationsmanagement im Alltag von Vorständen und Geschäftsführern spielen, meldet die Uni.
“Die Auswirkung auf die öffentliche Meinung wird bei unternehmerischen Entscheidungen heute stärker berücksichtigt als noch vor fünf Jahren”, sagt denn auch Ansgar Zerfaß, Professor für Kommunikationsmanagement in Politik und Wirtschaft. Das bestätigten sieben von zehn Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern. Für Unternehmen, die schwerpunktmäßig im Bereich Business-to-Consumer tätig sind, und für die umsatzstärksten Konzerne mit über 250 Millionen Euro Jahresumsatz sei die öffentliche Meinungsbildung signifikant wichtiger als für Wettbewerber in anderen Marktsegmenten.

Wobei schon an dieser Stelle eine deutliche Einschränkung genannt werden muss: 42 Prozent der befragten Unternehmen stammen aus der Finanzbranche. Der Handel ist hingegen nur mit 5 Prozent vertreten, Konsumgüterproduzenten sind es nur mit 6 Prozent, Grundstoffe & Energie mit 14 Prozent. Das verschiebt natürlich Gewichte.

Eine durchaus erhellende Erkenntnis: 66 Prozent der Befragten schreiben der Erhebung zufolge den klassischen Massenmedien einen sehr großen Einfluss auf die Unternehmensreputation zu. Aber nur 27 Prozent halten nach den Worten von Ansgar Zerfaß Facebook, Twitter und Co. für relevant.

Dies sei erstaunlich, da die Bedeutung sozialer Netzwerke mit dem daraus folgenden höheren Kommunikationsdruck sowie kritische Öffentlichkeiten als wichtigste Gründe für einen wachsenden Stellenwert der Kommunikationsfunktion genannt würden. Ein Viertel der Top-Manager gehe davon aus, dass die Unternehmenskommunikation bis 2015 deutlich an Gewicht gewinnen werde, weitere 43 Prozent prognostizieren einen leichten Machtzuwachs – für die Kommunikationsabteilung. Was die Gewichte weiter verschiebt. Bislang waren es meist die Geschäftsführungen, die das letzte Wort zum Außenauftritt des Unternehmens hatten.

Aber scheinbar ist das, was deutsche Politik mittlerweile auch schon ungenießbar macht, auch schon auf dem Vormarsch in die Unternehmen: Nicht mehr die Chefetage generiert die Inhalte, die nach draußen kommuniziert werden, sondern die eigenen Marketing- und PR-Abteilungen. Teilweise mischen sich die Chefs noch in diese Prozesse ein. Aber wenn sie den eigenen Kommunikationsleuten mehr Machtzuwachs zubilligen, bedeutet das auch, dass die “Performance” des Unternehmens gegenüber dem sogenannten “Kerngeschäft” künftig dominanter wird – oder in einigen Branchen auch jetzt schon dominiert.

Natürlich ist es komplexer. Diese Art Kommunikation kümmert sich nicht nur um Massenmedien und Kunden. “Top-Manager beurteilen die aktuelle Performance ihrer Unternehmen bei der internen Kommunikation, Marketingkommunikation und Finanzkommunikation leicht positiv”, heißt es in der Uni-Meldung. Aber es geht schon längst nicht mehr ums Produkt, sondern ums Image und um den Einfluss auf die Gesellschaft. Stichwort: “5. Macht”.

In der Formulierung der Uni-Meldung: “Für die politische Kommunikation mit Regierung, Behörden und Parteien sowie die gesellschaftsorientierte Kommunikation mit Nichtregierungsorganisationen, Kritikern, Anrainern und ähnlichen Bezugsgruppen fällt das Urteil nur mittelmäßig aus.” Da nämlich liegt der Hase im Pfeffer, der Hund begraben oder spielt in der Pfanne verrückt.

“Angesichts des sinkenden Vertrauens in die Wirtschaft und des steigenden Legitimationsbedarfs nicht nur bei Großprojekten besteht hier Nachholbedarf. Viele Befragte meinen, dass Kommunikation in diesen Bereichen weniger wichtig ist – das ist meiner Meinung nach ein Fehler. Soziale Verantwortung und politische Akzeptanz sind zentrale Reputationstreiber”, sagt Professor Joachim Schwalbach vom Institut für Management der Humboldt-Universität zu Berlin. Was dann auf die seit einem Jahr konsequent durchgeführten Studien der Leipziger Unternehmensberatung Hitschfeld zu “Akzeptanz von Großprojekten” verweist: Wenn den meisten Bossen die gesellschaftliche Kommunikation so piepegal ist, braucht man sich über die ignoranten Reaktionen auf Bürgerproteste nicht zu wundern.

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Nur 28 Prozent der befragten Unternehmenschefs halten die Kommunikation mit Anrainer, NGOs, Kritikern, Hochschulen, Vereinen usw. für wichtig. Marktkommunikation ist immerhin für 90 Prozent wichtig. Erstaunlich gering ist der Wert von 34 Prozent für “politische Kommunikation”, was in der Regel Lobby-Arbeit betrifft. Was aber auch darauf hindeutet, dass nur ein kleiner Teil der Unternehmen tatsächlich Einfluss auf die Politik nimmt. Mit den verheerenden Ergebnissen, die wir kennen.

Der Machtzuwachs für die Kommunkationsabteilungen hat aber genau hier seine Ursachen: in “höherem Kommunikationsdruck” und in einer “kritischeren Öffentlichkeit”. Darauf muss man reagieren. Manche reagieren dann mit dem Anwalt. Auch diese Unternehmen gibt es.

Auch den Effekt dazu zeigt die Befragung: Kommunikationsmanager drängen auf erheblich mehr strategische Mitwirkung im Unternehmen.

Noch ein schönes Ergebnis, das sichtbar wird, wenn man nach den Zielen der Unternehmenskommunikation fragt: Es sind gar nicht so sehr die Bosse, die das Vertrauen der Journalisten erschleichen, pardon: erreichen und die Meinungsbildung der Journalisten beeinflussen wollen – sondern die Kommunikationsmanager.

Die Studie zeigt auch, dass Vorstände und Geschäftsführer in deutschen Großunternehmen persönlich durchschnittlich 10 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit für strategisch geplante Unternehmenskommunikation aufwenden. Dies sei offenkundig deshalb der Fall, weil der Kommunikationsleistung des Top-Managements durchweg eine sehr hohe Bedeutung für den Unternehmenserfolg zugeschrieben wird.

Das Fazit der Mitteilung: “Die empirischen Daten verdeutlichen, dass die Relevanz strategischer Kommunikation in den Führungsetagen deutscher Großunternehmen heute bereits erkannt und künftig noch zunehmen wird. Einzelne Handlungsfelder und Kommunikationsinstrumente werden vom Top-Management allerdings sehr unterschiedlich bewertet. Auch ist das volle Potenzial der Unternehmenskommunikation noch lange nicht ausgeschöpft. Dies gilt insbesondere für die Beratungskompetenz der Kommunikationsabteilungen und die Herausforderungen der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken. Die Generierung eines umfassenden Verständnisses bezüglich des Stellenwerts von Reputationsmanagement erscheint ebenso notwendig wie eine engere Kopplung von Kommunikations- und Unternehmensstrategien in der deutschen Wirtschaft.”

So lesen es zumindest die Leipziger Kommunikationsausbilder heraus. Wäre ja auch ein Wunder, wenn sie ihre Arbeit als überflüssig einschätzen würden.

Aber wenn man das alle nüchtern liest, dann sind die ganzen “social media” auch zehn Jahre nach Beginn der großen Trommelei noch immer nicht da, wo sie einige Leute haben wollen. Sie spielen in der Unternehmenskommunikation eine untergeordnete Rolle. Dagegen wird Transparenz von den Geschäftsführern deutlicher als Wert erkannt als von ihren Kommuniationsverantwortlichen. Auch das merken wir uns (73 zu 53 %).

Man muss nur die Brille wechseln, und so eine hübsche Umfrage zeigt erstaunlich andere Facetten.

Der 46-seitige Ergebnisbericht der Studie “Unternehmenskommunikation aus der Perspektive des Top-Managements” ist online verfügbar unter:
www.slideshare.net/communicationmanagement

Der verantwortliche Lehrstuhl an der Uni Leipzig:
www.kmw.uni-leipzig.de/bereiche/komm-mgtpr.html

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