Die Diskussion um die massive Datensammelei der beiden Spionage-Programme "Prism" und "Tempora" hat kein gutes Licht auf die IT-Konzerne geworfen, die mit den us-amerikanischen und englischen Geheimdiensten aufs Engste zusammenarbeiten. Nun meldet sich Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. zu Wort, der in den letzten Jahren schon massiv für datenbasierte Geschäftsmodelle im Internet geworben hat. Jetzt versucht er sich von den geheimdienstlichen Datensammlern zu distanzieren.

Datenbasierte Geschäftsmodelle der Online-Werbewirtschaft haben nichts mit der unkontrollierten Datensammlung von Geheimdiensten gemein, stellt der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. in seinem aktuellen BVDW Standpunkt klar. Damit will sich der Verband von Überwachungsprogrammen wie “Prism” und “Rempora” abgrenzen und fordert eine international geführte Wertediskussion zum Thema Datennutzung. Denn hinsichtlich gemeinsamer internationaler Rechtsstandards in einer digitalen Welt, so der Verband, würden alle Neuland betreten.

“Prism” ist ein Programm zur Überwachung und Auswertung von elektronischen Medien und elektronisch gespeicherten Daten. Es wird von der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) geführt. “In der durch ‘Prism’ erneut ausgelösten Diskussion um die Erhebung und Nutzung von Online-Daten werden staatliches Handeln und das legitime Agieren privatwirtschaftlicher Unternehmen in einen Topf geworfen. Das ist fatal und falsch”, erklärt Thomas Schauf, Leiter Europa und Internationales im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

“Die digitale Wirtschaft arbeitet auf einer klaren rechtlichen Grundlage, die die personenbezogenen Daten und damit die Nutzer schützt”, versucht Schauf klarzustellen. “Eine Diskussion, die das zweifelhafte Vorgehen von NSA und GCHQ mit den Geschäftsmodellen der digitalen Wirtschaft in Verbindung bringt, schadet der Innovationsfähigkeit und der Zukunftsfähigkeit der digitalen Wirtschaft in Deutschland und Europa.”

Doch dummerweise haben Konzerne wie Facebook, Microsoft und Apple ihre festen Absprachen mit der NSA und im Juni auch erste Zahlen zu den NSA-Abfragen veröffentlicht. Zahlen, von denen netzpolitik.org wohl mit Recht annimmt, dass sie nur einen Teil der Wirklichkeit abbilden.
Die Analyse von Nutzungsdaten helfe bei der Weiterentwicklung von Online-Diensten und bei der Refinanzierung von Inhalten und Services über Werbung, versucht der BVDW das von ihm gepriesene Geschäftsmodell zu erklären. Außerdem würden so die digitalen Angebote verbessert und Werbung könnte relevanter für den Nutzer ausgespielt werden. Was übrigens einer der Haupthebel für die Verlagerung der Werbebudgets im deutschen Werbemarkt ist. Man nutzt die Möglichkeiten der kompletten Datenverknüpfung im Internet, um Online-Werbung immer mehr auf den Nutzer, seine Gewohnheiten und sein Nutzerprofil zuzuschneiden. Neuester Trend in dieser Ausschaltung aller Barrieren zwischen Werbe-Aussender und Nutzer ist das “Realtime Advertising”. Werbebudgets werden nicht mehr en bloc verkauft, sondern in “Echtzeit” gehandelt – wie Strom an der Strombörse. Wenn irgendwo im Netz der Traffic steigt, können Werbe-Broker ihre Werbe-Pakete “in Echtzeit” einstellen.

Man ahnt schon: Das hat mit Nachdenken oder einem nachhaltigen Arbeiten im Netz nichts mehr zu tun. Und es zeichnet sich eine Welt ab, in der sich immer mehr auf Geschwindigkeit getrimmte Portale um diesen Berg an “schneller Werbung” raufen werden.

Wann die Werbekunden merken, dass das mit Nachhaltigkeit oder gar Relevanz bei ihren Wunsch-Kunden nur noch wenig zu tun hat, ist eine völlig offene Frage.

Und ob man seine Plattform dabei auch noch regelrecht verheizt, weil das Geschäftsmodell nur noch aus der Jagd nach dem großen Traffic besteht, wird der ein oder andere erfahren, wenn die Karawane weiterzieht.

Über Inhalte diskutiert man beim BVWD ja nicht. Hier sitzen die Vermarkter zusammen und überlegen immer neue Möglichkeiten, den Online-Werbekuchen zu verteilen. 2012 wurden in Deutschland übrigens erstmals über 1 Milliarde Euro für Online-Werbung ausgegeben, genauer: 1,079 Milliarden Euro, 9 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Werbeumsatz in Tageszeitungen ging im selben Zeitraum von 3,5 auf 3,2 Milliarden zurück (9,1 %). Was ja bekanntlich eine Reihe Zeitungen schon an den Rand der Existenz brachte. Aber das Geld fließt eben nicht einfach ins Internet. Die Gesamt-Nettoeinnahmen mit Werbung gingen 2012 in Deutschland von 18,9 auf 18,4 Milliarden Euro zurück. Und den Hauptteil dabei nahm das Fernsehen ein mit 4 Milliarden Euro. Noch 2007 lagen die Werbe-Nettoeinnahmen bei 20 Milliarden Euro.

Verständlich, dass die Unternehmen, die sich als digitale Wirtschaft verstehen, sich als wichtigen Wachstumsmarkt verkaufen. Ist nur die Frage: Läuft die Herde in die richtige Richtung?

“Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts und man kann nicht jeden Informationsschnipsel mit personenbezogenen Daten wie E-Mail-Adresse oder Personalausweisnummer gleichsetzen”, meint Thomas Schauf. “Wir müssen in Europa erkennen, dass Datenschutz inzwischen ein standortpolitisches Thema geworden ist. Wir brauchen eine übergreifende Datenpolitik, sonst werden wir im Wettbewerb mit anderen Teilen der Welt das Nachsehen haben.”

Genau an dieser Stelle haben die Unternehmen im Bereich interaktives Marketing, digitale Inhalte und interaktive Wertschöpfung ein Problem. Eine öffentliche “Abgrenzung” ist schön und gut. Im Internet aber gibt es keine solche Grenze. Es sei denn, Websitebetreiber verzichten konsequent auf das Auslesen persönlicher Daten und ihre Verknüpfung, genau das, was die anglo-amerikanischen Geheimdienste (und wohl auch der BND) so toll finden: Die Komplexität der erfassten “Informationsschnipsel” ergeben eben doch eine recht erstaunliche digitale “Kopie” des Nutzers. Erst recht, wenn er sich regelmäßig auf Websites aufhält, die diese Daten in großem Ausmaß sammeln.

Es gilt tatsächlich: Was man nicht gesammelt hat, kann man auch nicht weitergeben. Auch nicht an arrogante Geheimdienste, denen nationale Gesetzte schnurzegal sind.

Wer will, findet den aktuellen BVDW-Standpunkt hier:
www.bvdw.org/medien/bvdw-standpunkt-zu-prism-und-tempora?media=5015

Netzpolitik zu den Abfragen bei Facebook & Co.:
https://netzpolitik.org/2013/prism-facebook-microsoft-und-apple-geben-zahlen-zu-nsa-anfragen-bekannt/

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