Schon wieder so eine Diätwerbung? Oder geht es um eine neue Abnehmpille? Oder einen neuen Fitnesskurs? - Seit ein paar Tagen erfreuen ein paar neue Plakate das Leipziger Stadtbild: Eine junge Blondine im weißen T-Shirt zeigt auf den Betrachter. "Leipzig feiert Geburtstag" steht drunter. Hat also das Fitnesscenter sein Fünfjähriges erreicht. Oder ist es ein Möbeldiscounter, der sich spritzig gibt?

Weder noch. Es ist der Verein Leipzig 2015 e. V., der hier zum ersten Mal Wäsche zeigt. „Mit neuem Motiv läuten dann ab Jahresbeginn 260 City-Light-Poster in Leipzig den 999. Stadtgeburtstag ein“, teilte der Verein im Dezember seinen Newsletter-Abonnenten mit. Das Motiv baut auf einem Corporate Design auf, dem optischen Erscheinungsbild des Vereins, das sich der Verein im Dezember zugelegt hat. Entwickelt wurde es von den Werbespezialisten von Minnemedia. Es definiert Farben, Schriften und weitere Gestaltungsmerkmale für alle Kommunikations- und Werbemittel, mit denen der Verein künftig nach außen tritt.

Dass die Leipziger Farben Blau und Gelb nicht wirklich gute Werbefarben sind, hat sich ja mittlerweile herumgesprochen. Selbst die Leipziger Verkehrsbetriebe sind ja vor 15 Jahren auf die Farben Königsblau und Butter umgestiegen (was gut aussehen kann, wenn man es nicht gerade mit Stahlgrau kombiniert). Im Logo zum 1.000-jährigen Geburtstag Leipzigs vermischen sich dann Blau und Gelb noch ganz sinnhaft zu Grün, einer der beiden sächsischen Landesfarben.

Und wie bewirbt man das so frisch zum Jahreswechsel? – Natürlich mit frischer Wäsche. Auf der dann unüberlesbar steht: Das ist eine Leipzigerin … Nee, doch nicht. „Du bist Leipziggg“ steht da zu lesen. Wie selbst gemalt. Ist es auch. Beinah. Eigentlich heißt es „Du bist Leipzi999“.

Auch das kommt aus dem Hause Minnemedia, das als Werbeagentur in Dresden und Leipzig zu Hause ist. „Pünktlich zum 1. Januar erinnert Leipzig auf CityLight-Plakaten an seine 999 Jahre verbriefte Geschichte. Im ersten Halbjahr 2014 sollen die Leipziger angesprochen werden, sich gemeinsam auf das 1000-jährige Stadtjubiläum vorzubereiten. MinneMedia verkündet das mit der Botschaft ‘Du bist Leipzi999’“, erläutert die Agentur ihre Jahres-Aufweck-Botschaft. „Leipzig hat sich für das 1000-jährige Stadtjubiläum einen selbstbewussten Claim ‘Wir sind die Stadt’ gegeben.

Um das auch tatsächlich einzulösen, wurde der Bürgerverein Leipzig 2015 e. V. gegründet, der alle Aktivitäten im Jubiläumsjahr koordiniert und in den jeder eintreten kann. Mit der Kampagne ‘Du bist Leipzi999’ werden die Leipziger direkt angesprochen: Wir sind erst die Stadt, wenn Du dabei bist.

Wer sich von der Leipziger Diät-Werbung angesprochen fühlt, kann sie auch selbst auf der Brust tragen. „Begleitend zur Kampagne bietet ein (noch im Aufbau befindlicher) Online-Shop das adäquate Outfit“, teilte Minnemedia mit. Es ist der bekannte Selbstmach-Shop im Leipziger Westen, wo man sich den Slogan aufs T-Shirt oder Sweatshirt zaubern kann – Spreadshirt in Plagwitz.

Wobei der Spruch für eine gewisse Gespaltenheit beim Träger oder bei der Trägerin sorgen dürfte: Wer rennt denn mit so einer Aufforderung an die Anderen durch die Stadt, als ginge es um die Rekrutierung für ein neues hippes Unternehmen?

Oder sollte man sich da nicht an eine ganz ähnliche Kampagne einer anderen Stadt erinnern, über die sich sogar ein Leipziger Gastronom lustig gemacht hat mit dem Spruch „Leipzig – the better Berlin“? Der zwar auch nicht stimmt, was Sachsen und Preußen ja nur zu genau wissen.

„Be Berlin“ hieß die Kampagne, die die Bundeshauptstadt von 2008 bis 2012 in Aufregung und Belustigung versetzte. Dabei konnte man sich immerhin noch auf einen US-amerikanischen Präsidenten berufen, der mal laut verlas, auch er sei ein Berliner. Ein Spruch, der sich 2013 zum 50. Mal jährte und den die Berliner in bewusstem Stolz plakatierten mit „Berlin hat der Freiheit ein Gesicht gegeben.“

Vielleicht wollte man die Berliner Kampagne so einfach nicht kopieren. Dafür schuf Minnemedia – wohl sogar unbewusst – eine knallige Parodie auf das Selbstverständnis der Leipziger Verwaltung, die so gern handelt im Sinne von „Wir sind die Stadt“. Als der Verein Leipzig 2015 e.V. sich den Slogan schnappte, wurde die Diskrepanz nur zu deutlich. Wer ein Wir definiert, der braucht auch ein Ihr. Es sei denn, er erzeugt dieses spaßige Wir-Gefühl einer Walmart-Belegschaft, die sich für die acht Stunden an Kasse und Warenregal als Team begreift – und dann schleunigst nach Hause fährt in ein anderes Leben.

Werbebotschaften können so entlarvend sein.

Und dass dem verkündeten Wir so schnell das Ihr folgt, das sich hier gar noch als Du jugendlich gibt, spricht Bände. Unhöflich ist es sowieso. Auch wenn man sich von einer kessen Blondine das Du noch eher sagen lässt als von einem halbbetrunkenen Bettler am Hauptbahnhof. Natürlich ist es eine faule Geste. Leipzig ist nicht hipp, weil hier jeder mit Du angehauen werden darf wie auf der Bühne eines Öffentlichen Radiosenders.

Es ist der Versuch, eine bunte Stadtgesellschaft in eine Community zu verwandeln und genauso zu behandeln wie die Radio-Spaß-Moderatoren ihre Morgen-Community. Und es bewegt sich irgendwo auf dem Level der einstigen Leipziger Olympia-Bewerbung: „Spiele mit uns.“ Da ist das Wir wieder. Nur dass damals keiner mit Leipzig spielen wollte. Also sind wir jetzt Stadt. Die Stadt, damit das keiner verwechselt. Etwa mit Taucha oder Halle. Oder Diät-Margarine.

Nachtrag der Redaktion: Natürlich hat Kommentator „Dabeigewesen“ recht. „Spiele mit uns“ war der Slogan für die nationale Bewerbung, „One Family“ der für die internationale Runde. Aber der ist nicht mal für Späße gut, finden wir.

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