Am 6. Oktober preschte "Spiegel Online" eindeutig zu weit vor, als er vermeldete: "Linux auf Behörden-PC: München erwägt Rückkehr zu Windows". Basis seines Artikels war nichts anderes als eine Äußerung des Zweiten Bürgermeisters der Stadt München, Josef Schmid (CSU), der gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" verlautbart hatte: "Wenn die Experten eine Rückkehr zu Microsoft empfehlen, dann ist das für mich nicht ausgeschlossen."

“In den vergangenen Jahren habe es immer wieder Beschwerden von unzufriedenen Nutzern gegeben”, führte “Spiegel Online” weiter aus. Schmid: “Egal in welches Referat ich komme, überall kriege ich bestätigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darunter leiden. Das müssen wir ändern.”

Und dann wurde fleißig drauflos erzählt über Stadtverwaltungen, die eifrig und reuemütig zu Microsoft zurückkehrten. Auch ein Microsoft-Sprecher kam zu Wort. Nur scheint ausgerechnet in München nichts dran zu sein, an der für Microsoft so prestigeträchtigen Rückkehr. Und auch an den Klagen der Verwaltungsmitarbeiter nicht. Im Grunde war “Spiegel” sogar drei Monate zu spät mit der Geschichte. Schon im Juli hatte Heise.de vermeldet: “Linux in München: Stadtrat verteidigt LiMux gegen Bürgermeister”. Schon damals war klar, dass die Meldung lediglich auf der Äußerung der Münchner Verwaltungsspitze beruhte.

Doch nun reagierte auch der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mit fast dreiwöchiger Verspätung auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen, in der die Zukunft von GNU/Linux in der Stadt München thematisiert wird, meldet nun die Free Software Foundation Europe (FSFE). “In den Antworten zeigt sich, dass der Oberbürgermeister und der zweite Bürgermeister Münchens ihre Kritik an Freier Software nicht mit Fakten belegen können. Stattdessen sollen alle IT-Strukturen und Prozesse geprüft werden. Die FSFE fordert die Stadtverwaltung auf, auch die beim ursprünglichen Beschluss als zentral betrachteten Aspekte Herstellerunabhängigkeit- und Interoperabilität in diese Prüfung mit einzubeziehen.”

Wobei die Antwort Reiters an die Grünen schon einen ganz zentralen Fakt zu Tage brachte: Die Installation von Freier Software hat der Stadt München allein schon Lizenzgebühren in Höhe von 11 Millionen Euro erspart. Das ist kein Pappenstiel. Auch für München nicht.

Aber worauf beruhten dann die Äußerungen der Bürgermeister und die von Reiter in Auftrag gegebene Prüfung? Sollte damit wirklich ein mögliches Ende des beispielhaften Freien- Software-Kurses der Stadt eingeleitet werden? “Fakten dazu waren, trotz Bemühungen von Seiten der FSFE, nur schwer zu ermitteln. Die Antwort der Stadtspitze auf die Anfrage der Grünen im Stadtrat klärt nun einige Punkte”, stellt die FSFE fest. “So bezog sich die Mitarbeiterumfrage ‘Great Place to Work’ von Ende 2013 – auf die sich Reiter und Schmid in ihrer Kritik berufen hatten – laut Reiters neuen Aussagen auf diverse Facetten der IT-Struktur, wie z.B. Hardware, Support, oder Telearbeit. Die Umfrage lässt aber ungeklärt, ob und wie die Probleme der Nutzer überhaupt etwas mit Freier Software zu tun haben: Dies sei ‘zum aktuellen Zeitpunkt nicht erhoben’, so Reiter.”
Die oft zitierte Wartezeit auf die dienstlichen Mobiltelefone stehe “in keinem Zusammenhang” mit dem “Betriebssystem LiMux”, erklärt Reiter. Stattdessen sei der Hauptgrund, dass “bislang keine Smartphones mit iOS-Betriebssystem in der Verwaltung eingesetzt wurden”.

“Bezüglich der laut Schmid fehlenden einheitlichen Software zur E-Mail-und Kalender-Verwaltung stellte sich ferner heraus, dass die Einführung der Freie-Software-Lösung Kolab überhaupt erst Anfang 2014 in Auftrag gegeben wurde und diese frühestens 2015 in den produktiven Betrieb gehen soll”, stellt die FSFE fest. “Sowohl die städtische IT-Verwaltung, als auch der Stadtrat und die dritte Bürgermeisterin Christine Strobl stellen sich in ihren Äußerungen hinter die Münchner Freie Software-Strategie und distanzieren sich damit von den vorherigen Äußerungen von Reiter und Schmid. Bürgermeisterin Strobl ist ‘nach gründlicher Prüfung’ weiterhin der Ansicht, dass die Umstellung auf Freie Software richtig war.”

Also scheint auch Reiters Prüfauftrag eher nicht die Rückkehr zu Microsoft zum Ziel zu haben.

“Reiter beziffert die durch wegfallende Lizenzkosten entstandenen Einsparungen auf 11 Millionen Euro”, stellt auch die FSFE fest. “Allein die Hardware-Kosten bei einer Migration zu Windows 7 würden sich laut der Antwort auf ca. 3,15 Millionen Euro belaufen, und bei ‘einem Umstieg auf Windows 8 wären die Kosten noch wesentlich höher’. Dazu würden noch weitere Kosten anfallen, die derzeit nicht bezifferbar seien. Neben dem Kostenargument werden in der Antwort die Erfolge bei der Unterstützung Offener Standards durch die Umstellung erwähnt.”

Und was soll die dann so medienwirksam eingesetzte Arbeitsgruppe erreichen?

Die FSFE dazu: “In München soll nun eine Arbeitsgruppe die städtische IT-Strukturen und -Prozesse evaluieren und Vorschläge für deren Verbesserung erarbeiten. Die Kriterien hierfür sind aufgrund ihrer allgemein gehaltenen Formulierung schwer einzuschätzen. Für eine umfassende Bewertung muss München bei der anstehenden Überprüfungen der IT neben Benutzerfreundlichkeit und Kosten auch Herstellerunabhängigkeit- und Interoperabilitäts-Aspekte einbeziehen, letztendlich waren dies zentrale Argumente für die Entscheidung zugunsten Freie Software im Jahr 2002. Dies ermöglicht der Stadt die Hoheit über die eigenen Daten und stellt den diskriminierungsfreien Zugang zu städtischen IT-Diensten sicher.”

“Andere europäische Länder haben Freie Software und Offene Standards in den vergangenen Jahren zum Kernbestandteil ihrer IT-Strategien für den öffentlichen Sektor gemacht, so etwa Großbritannien, Frankreich, Italien und Schweden. In Deutschland hinkt der öffentliche Sektor in dieser Hinsicht hinterher. In Deutschland müssen Bund und Länder nachbessern, damit öffentliche Einrichtungen auch hier endlich in den Genuss der Vorteile Freier Software kommen”, sagt Karsten Gerloff, Präsident der Free Software Foundation Europe.

Die Grünen-Anfrage im Münchner Ratsinfo-System:
www.ris-muenchen.de/RII2/RII/DOK/ANTRAG/3456728.pdf

Die Heise-Meldung aus dem Juli:
www.heise.de/newsticker/meldung/Linux-in-Muenchen-Stadtrat-verteidigt-LiMux-gegen-Buergermeister-2262506.html

Was “Spiegel Online” draus gemacht hat:
www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/linux-auf-behoerden-pc-muenchen-vor-umstieg-auf-windows-a-995546.html

LIMUX-Informationen auf der Website der Stadt München:
www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Direktorium/LiMux.html

Die Free Software Foundation Europe:
http://fsfe.org

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar