Alle Welt redet über Fakenews, per Gesetz sollen sie aus der Welt geschafft werden. Ein IT-Gigant glaubt, seine Nutzer würden ein Mittel dagegen finden: Putz und weg, oder was? Und jeder User von irgendetwas glaubt zu wissen, was und wie Journalismus auszusehen hat. DER Journalismus, der eine einzig richtige. Die gute Nachricht lautet: Es gibt ihn nicht. Alles, was Sie darüber gehört haben, ist Fakenews.

Verbreitet von Leuten, die ein ganz eigenes Interesse daran haben, dass (nur) das berichtet wird, was ihnen richtig erscheint. Das einzig Wahre und Richtige. Oder das Opportune. Wenn es diesen Journalismus gäbe, würde es keinen mehr brauchen.

Dann wäre die gesellschaftliche Kommunikation tot. So tot, wie es sich die Extremen unter unseren politischen Schwerdenkern wünschen – so wie die AfD. Den Fall hat ja – unter anderem – auch Sascha Lobo in seiner „Spiegel Kolumne“ untersucht, nachdem der Inhalt einer WhatsApp-Gruppe der AfD aus Sachsen-Anhalt geleakt wurde: „AfD-Leaks. Psychogramm einer Partei im Sinkflug“. Das mag man als Größenwahn einer extremistischen Partei betrachten, die sich nach einer (hypothetischen) Machtübernahme genauso in der Gleichschaltung einer ganzen Gesellschaft versuchen möchte, wie das einige deutsche Gleichschalter in der Vergangenheit schon getan haben.

Es ist auch die AfD, die immer wieder Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Lückenpresse“ in die Debatte wirft und suggeriert, es gäbe schon eine gleichgeschaltete Presselandschaft in Deutschland.

Gibt es zum Glück nicht, auch wenn der Herdentrieb vieler Medien nicht zu leugnen ist. Was aber andere Gründe hat, auf die wir sicher noch zu sprechen kommen. Die wir aber an anderer Stelle auch schon erwähnt haben. Denn um die vielfältige Medienlandschaft mit vielen Sichtweisen herzustellen, braucht man Leute. Das, was man so landläufig Journalisten nennt.

Das sind keine Wundertäter, keine Richter und keine unfehlbaren Menschen. Nur Menschen mit einem Beruf, dessen zentrale Aufgabe NICHT lautet, alles so darzustellen, wie es einzig wahr und richtig ist.

Das ist wohl der landläufigste Irrtum.

Das setzte etwas voraus, was nicht einmal die besten Wissenschaftler gefunden haben: Einen DIN-Standard für die einzig richtige Wahrheit.

Die es aber nicht gibt. Was ja ein Grunddilemma des menschlichen Daseins ist. Es gibt nur viele Bilder, Geschichten, Erklärungen, jede Menge Zahlen und Fakten, die, wenn man gut ist und fleißig und genug davon einsammelt, ein möglichst stimmiges Bild der Wirklichkeit ergeben. Es ist nie mit dem identisch, was „wirklich“ ist.

Der Job dieser seltsamen Leute ist tatsächlich: Herausbekommen, wie es wirklich sein könnte. So nah wie möglich drankommen.

Was nicht einfach ist. Denn eine Menge Menschen und Institutionen legen Wert auf allerhöchste Verschwiegenheit, halten Akten, Aussagen, ganze Sitzungen unter Verschluss und Ausschluss der Öffentlichkeit. Gespräche finden in Hinterzimmern oder geheim gehaltenen Hotels im sächsischen Wald statt. Dinge werden auch unterlassen. Öffentlich wird sehr oft geschwindelt, beschönigt, zurechtgebogen.

Und da beginnen schon die Schwierigkeiten.

Denn die emsigen Reporter leben nicht im luftleeren Raum. Sie leben in einer Gesellschaft, in der jeder einzelne Akteur darauf bedacht ist, seine Sicht der Dinge kundzutun. Manche dieser Sichten sind schräg, manche falsch, manche ganz bewusste Lüge. Und das betrifft nicht nur Politik oder einige pekuniär hochinteressierte Konzerne, das betrifft auch Vereine, Verbände, Initiativen, Kleinstgruppen und Individuen. Jeder Richter weiß das.

Der Mensch ist nicht interesselos.

Jede Gesellschaft ist ein fortwährendes Ringen um Einfluss, Macht und Geld. Oder einen guten Ruf.

Und das ist wohl eine der gravierendsten Veränderungen der letzten Zeit: Klassische Medien sind nicht mehr allein, wenn es darum geht, den Menschen ein Bild von dem zu geben, was „gerade passiert“ und wie es einzuordnen ist. Die „Meinungsmacht“ hat sich gravierend verschoben – weg von jenen Medien, die noch journalistisch arbeiten, hin zu Medien, die so tun, als hätten sie damit gar nichts zu tun und würden nur Unterhaltung produzieren.

Auch „Unterhaltung“ formt Meinungen. Meistens unterschwellig, meistens beabsichtigt. Die Werte zur tatsächlichen Meinungsmacht in Deutschland erhebt regelmäßig der Bayerische Rundfunk. Danach liegen 55 Prozent der „Meinungsbildungsmacht“ bei Fernsehen und Radio.

Wenn man die Zahlen der ARD-ZDF-Online-Erhebung zugrunde legt, sind es sogar 90 Prozent. Denn 90 Prozent ihrer Freizeit verbringen die Deutschen mit diesen beiden Medien, heute auch oft noch parallel mit dem „Internet“, auch wenn auch dort wieder 90 Prozent der Nutzung nichts mit Nachrichten oder journalistischem Informationsangebot zu tun haben.

Wir haben es also immer mit Lesern zu tun, die durch andere Kanäle anders informiert oder emotional angeregt sind. Und dann mit Erwartungen aufschlagen, dass die verbliebenen journalistischen Angebote die Lücken und Löcher stopfen, die die anderen gelassen haben. Also quasi im Auftrag der Bürger. Was sicher Sinn machen würde. Aber ergäbe das spannende, aufregende und zum Gespräch anregende Medien? Medien, die Bestand hätten in einer Welt, in die die meinungsmachenden Medien fortwährend die Aufmerksamkeit abziehen? Die Zuschauer und Zuhörer mit immer neuen Panikmeldungen und schockierenden Bildern zu sich herüberziehen? Medien, die einfach durch ihre permanente (Markt-)Penetration die Menschen auf ihre Themen und Taktfrequenzen einstimmen, regelrecht hineinzwingen? Denn ein Panikmodus macht Menschen schon von Natur aus fokussiert auf alle Nachrichten, die die Gefahr bestätigen.

Die moderne Aufmerksamkeitsökonomie basiert direkt auf all den Alarmprogrammierungen, die wir aus Zeiten mitgebracht haben, als unsere Vorfahren in der freien Natur permanent um ihr Leben und Überleben kämpfen mussten.

Sie müssen nicht lange überlegen, um die Medien aufzuzählen, die so Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die alles dafür tun, das möglichst viele Menschen möglichst immerzu in diesem Getrommel der hochemotionalen Nachrichten unterwegs sind. Vielleicht hin und her zappen. Aber so richtig angefixt sind und das Gefühl bekommen, sie würden „etwas Wichtiges“ verpassen, wenn sie nicht ständig die Nachrichten-Streams verfolgen würden.

Wenn Sie einen kleinen Schritt beiseite gehen, merken sie schon, was da vor sich geht. Wie mit unseren uralten Reflexen gespielt wird und Aufmerksamkeit ganz massiv umgelenkt wird – und dabei auch permanent falsche, richtig falsche Weltbilder produziert werden.

DEN Journalismus gibt es also nicht.

Aber die Frage gibt es: Wie kann man gegen eine solche Dominanz überhaupt noch kritischen, suchenden, in der lokalen Wirklichkeit verankerten Journalismus machen, der seine Leser tatsächlich meint und mitnimmt? Und sich nicht – mit der Behauptung, er sei objektiv, die Weltlage „sei nun einmal so“ – über die Dinge stellt?

Das Ergebnis ist ja in Wirklichkeit eine zwar schrille, aber sichtlich sehr homogene und von denselben Schlagzeilen und „Aufregern“ dominierte Medien-Vielzahl, die aber bei genauerem Hinsehen keine Vielfalt mehr ist. Eher eine bunte Einfalt, in der die störende, weil immer unruhige und misstrauische Arbeit von Journalisten eher nicht gewollt ist.

Ein Hinterfragen der schönen einfachen Behauptungen auch nicht.

Aber gerade da wird der schöne neue Unterhaltungsjournalismus für unsere Gesellschaft brandgefährlich. Denn da er mit seinen Aufregern alle Aufmerksamkeit okkupiert, verschwindet der Raum, der eigentlich mal der der Medien war: die (Selbst-)Verständigung der Gesellschaft über sich selbst, ihre Probleme und die möglichen Lösungen.

Realität löst sich in Infotainment auf.

Die Vielfalt aber verschwindet vor unseren Augen. Eine Demokratie ohne Vielfalt? Ohne wirklich ernsthafte Streitgespräche?

Undenkbar.

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