Die Teaser, das sind die kurzen Zeilen auf einer Website, mit denen die Leser in den Text eingeladen werden, um dann in der Regel auf „Weiterlesen“ zu klicken. Sie sollen neugierig machen. Aber auch nicht zu viel verraten. Manchmal steht auch Quatsch da. Quatsch, der verrät, dass das Medium irgendwie gewaltig auf dem Holzweg ist. So wie jüngst auf „Spiegel Online“ zu lesen.

Da wurde ein Essay von Guido Mingels, in dem es um „Optimismus statt Schwarzmalerei“ ging, mit den Worten eingeleitet: „Das Publikum giert nach schlechten Nachrichten. Und so kritisieren sich Medien, Politik und Öffentlichkeit gegenseitig und verzerren die Wirklichkeit. Das ist falsch – und gefährlich.“

Da stutzt man und bekommt Kopfschmerzen. Wer bitteschön ist „das Publikum“? Welches Publikum meint er? Das Leserpublikum des „Spiegel“? Selbst der Blick auf die Lesehitliste an diesem Montagmorgen, 21. August, zeigt: Stimmt einfach nicht. An Top 1 ist eine Geschichte aus dem gedruckten Magazin: „Ökobilanz: Der große Schwindel mit den Elektroautos“.

Das klingt nach einer schlechten Nachricht, ist aber eher berechtigte Neugier, denn jetzt, mitten in der sich ausbreitenden Dieselaffäre, beschäftigen sich sichtlich immer mehr Menschen mit der Frage, ob der Umstieg auf ein Elektroauto Sinn macht und auch umweltfreundlich ist.

Gleichzeitig überschwemmen natürlich dutzende Kollegen die Kanäle mit Geschichten darüber, dass Elektroautos Schwachsinn sind. Und auch der „Spiegel“ kommt zu dem Schluss, dass die jetzigen E-Auto-Modelle noch nicht das Wahre sind.

Geschenkt. Wahrscheinlich werden sich da eher auch viele „Spiegel“-Leser fragen: „Und nun? Ihr schreibt das E-Auto runter, zeigt aber keine Alternative. Diskutiert auch keine. Wenn ihr etwas schlecht findet, findet ihr es schlecht. Und dann?“

Das hat aber nichts mit dem von Mingels geforderten „Optimismus“ zu tun, sondern mit dem, was immer gern behauptet wird, aber fast nie stattfindet: redaktioneller Ausgewogenheit. Oder für Liebhaber guter Teesorten: „Die Mischung macht’s“.

Die Mischung bei „Spiegel Online“ ist nun seit geraumer Zeit eine, die die von Mingels beklagten „bad news“ eifrig mischt mit – nein, nicht Optimismus – sondern „Wohlfühl-Journalismus“, an manchen Tagen reinstem Boulevard. Zwischendurch viel Wellness, Reisen, „Abenteuer“ – was einige Durchgeknallte so als „Abenteuer“ verstehen: mit Haien tauchen, auf Berggraten balancieren, mit Giftschlangen spielen und was der Themen in den letzten Tagen mehr waren. Augenscheinlich ist es das, was „das Publikum“ begehrt. Oder was die Verantwortlichen für den „Spiegel“-Auftritt für das halten, was „das Publikum“ will. Oft ist es derselbe Quark, der eh schon auf Facebook und Google abgefeiert wird und auch schon im richtigen Boulevard für Clicks sorgt. Um mehr geht es ja nicht. Es ist Fastfood für – zumindest eine Menge Leute. Genauso wie die kritisierten „schlechten Nachrichten“, nach denen „das Publikum“ nach Mingers’ Ansicht „giert“.

Tut es das? Tun das die Leser des „Spiegel“?

Dass schlechte Nachrichten die Aufmerksamkeit bannen, ist keine Erfindung der Neuzeit. Das war schon immer so und ist: menschlich. Und hat uns als Spezies wahrscheinlich den Arsch gerettet. Sorry, aber manchmal ist man nach solchen Unterstellungen ein bisschen wütend. Denn mit der Wortwahl fängt es an: Wer die Tatsache, dass Menschen auf Gefahrenmeldungen mit höchster Aufmerksamkeit reagieren, als „Gier“ bezeichnet, der weiß nichts über sich selbst. Der verhöhnt eine Eigenschaft, ohne die weder die Menschheit überleben kann, noch – die Medien.

Das Problem sind nämlich nicht die „sensationslüsternen“ Menschen, für die die Katastrophenberichte regelrecht zu hartem Stoff werden, einer Droge, so wie alles, was menschliche Hormonausschüttungen beeinflusst, zur Droge werden kann. Das Problem sind Medienmacher, die ihr Publikum genau deshalb fast nur noch mit Katastrophenmeldungen anfixen. Selbst dann, wenn die Dichte der realen katastrophalen Ereignisse statistisch nachweisbar abgenommen hat.

Die Mischung stimmt nicht.

Aber der Ausgleich für „schlechte Nachrichten“ sind nicht „good news“. Auch nicht Wellness, Urlaub, Friede, Eierkuchen. Der Ausgleich heißt: „good story“. Nicht nur vom Stoff her, sondern auch vom Stil, der Schwerpunktsetzung, der Realitätsnähe, der Dichte.

Denn wenn die Mischung nicht stimmt, passiert etwas für Medien Fatales: Die Aufmerksamkeit zerfasert. „Das Publikum“ zerstreut sich und bedient sich in einem überschäumenden Angebot an Sensationen und „bad news“ so, wie es gerade kommt. Das Schreiende buhlt um Aufmerksamkeit – und sorgt dafür, dass es richtige Aufmerksamkeit gar nicht mehr gibt. Die Nachricht von 09:01 Uhr ist um 09:02 schon wieder erledigt, abgeschossen von der nächsten schreienden Nachricht, die in der Regel nicht wichtiger, nicht besser, schon gar nicht wesentlicher ist als die davor.

Nicht die „schlechten Nachrichten“ zerstören die Medienqualität, sondern der Umgang mit ihnen.

Denn zur richtigen Mischung gehört nun einmal auch, dass man banale Ereignisse aussiebt und nicht jeden Tag zur Mega-Sensation aufbläst.

Gut. Der „Spiegel“ ist nicht allein im Land. Ringsum tun hunderte, tausende Medien nichts anderes, als mit sensationell aufgeblasenen Nachrichten nach Aufmerksamkeit, Clicks und Reichweite zu fischen. Was dazu führt, dass Menschen, die wirklich Wesentliches zu sagen haben, immer seltener Medienplatz eingeräumt bekommen. Den bekommen die Clowns, die das Spiel gut beherrschen und die genau wissen, dass der Brocken, den man ins Piranha-Becken schmeißt, nur ein bisschen „Fleisch“ haben muss, und schon stürzen sich alle drauf. Fast alle.

Aber zumindest alle, die diese wilde Hatz nach Reichweite nun seit Jahren mitmachen.

Es sind die Medienmacher selbst, die dafür sorgen, dass ihnen die Aufmerksamkeit der Leser verloren geht. Regelrecht zerfasert und sich zerstreut. So dass die Welt, in der „das Publikum“ lebt, immer mehr aus lauter bunten, lauten und aufdringlichen Meldungen über alles Mögliche besteht. Aber immer weniger aus klaren Erzählungen, richtig guten Geschichten, die das scheinbar Chaotische zusammenbinden.

Denn tatsächlich erscheint all das, was heute „die Medien“ beherrscht, nur noch wie Chaos – eine scheinbar unbeherrschbar verrückt gewordene Welt, wie es Mingels schreibt. Die großen Pulverfässer Facebook und Twitter tun ein Übriges dazu, um diesen Eindruck zu verstärken und Menschen, die das Rüstzeug nicht haben, in diesem Chaos einen roten Faden zu finden, regelrecht in Filterblasen von Chaos, Verschwörungstheorien und Lügen zu bannen.

Was umso leichter ist, wenn die klassischen Medien ihr Handwerk verlernen. Oder aufgeben, weil man mit Clicks Aufmerksamkeit generieren muss, weil man sonst keine Werbeumsätze macht …

Das ist eine echte Bärenfalle. Stimmt.

Aber warum glaubt jemand, man könnte in diesem Hasenrennen gewinnen? Irgendwie am Ende als Sieger dastehen oder auch nur überleben, wenn man selbst keinen Kern mehr hat? Jene brummigen Herren oder grimmigen Damen, die es sich mal zur Aufgabe gemacht haben, die Dinge „richtig“ zu erzählen?

Denn (das lernen die Meisten in ihrem Journalistikstudium nie) beim Journalismus geht es um eine Tugend, die gerade in Zeiten der News-Schwemme immer wichtiger wird: Lesern (und Zuschauern) eine gute und begründete Geschichte zu erzählen, die die Dinge verständlich macht. Begreifbar. Fassbar. Egal, was für Worte man dazu benutzt. Es geht nicht darum, immerzu zu werten, dass jenes gut sei und das andere deshalb schlecht. So ist die Welt nicht. Und die Menschen sind es schon gar nicht. Und „das Publikum“ ist es auch nicht.

Manchmal sind die Dinge verzwickt, verknoten sich Interessen, Zwänge und falsche Erwartungen. Menschen können sich irren, Projekte können schiefgehen. Aber dadurch verlieren Ereignisse nicht ihre Logik.

Die aber liegt selten einfach auf der Hand. Auf der Hand liegen nur Interessen, Emotionen, Erscheinungen. Journalisten sollen nicht deshalb nachfragen, um jemanden plattzumachen, zu entlarven oder gleich öffentlich zu richten. Sie sollen nachfragen, um herauszubekommen, wie die Geschichte wahrscheinlich wirklich stattgefunden hat. Es geht um ein gutes Bild für das, was eben nicht auf der Hand liegt. Eine gute und stimmige Erzählung einer komplexen Wirklichkeit.

Kurz Atemholen: Die Hatz nach Reichweite zerstört nicht nur die Aufmerksamkeit, sie vermüllt auch jede Sicht auf die Strukturen unserer Gegenwart. Sie sorgt dafür, dass alle nur noch an der Oberfläche planschen – zwischen lauter angeschwemmtem Plastikmüll. Und das, was wirklich wichtig ist, weil es unser Leben und unsere Wirklichkeit wirklich beeinflusst und verändert, das bleibt verborgen. Und es wird immer seltener von Journalisten erzählt. Und wenn, dann meist nicht gut. Weil alle so schrecklich in Eile sind und die „News“ immer schneller hereinprasseln und wieder raus müssen.

Das Gegenteil von (vielen) „schlechten Nachrichten“ ist nicht Optimismus, sondern der grimmige Ernst ordentlicher handwerklicher Arbeit. Wobei ja noch die Frage offen ist: Wofür will Mingels eigentlich schreiben, wenn er das „gierige Publikum“ so verachtet?

Man schreibt doch nur, wenn man die Leser achtet und wertschätzt und ihnen mehr zutraut als Mingels der grimmigen Karikatur, mit der er in seinen Text einführt, so einen griesgrämigen Bürger, der sich augenscheinlich auf allen Kanälen diese ganze trübe Brühe reinzieht. Mingels: „Kein Wunder, ist doch die Gegenwart stark von Ängsten geprägt: der Angst vor politischen Umwälzungen, vor Migranten, vor dem sozialen Abstieg, vor Anschlägen, vor neuen Kriegen, vor der Klimaerwärmung.“

Nö. Nicht wirklich. Tatsächlich erzählt seine Karikatur vom Menschen in der Filterblase. Und das Erstaunliche ist: In so einer Filterblase landet man nicht nur bei Facebook, sondern auch im deutschen Fernsehen und bei etlichen früher mal ernsthaften Nachrichtenkanälen.

Es sind Journalisten, die auswählen, Schwerpunkte schaffen und die Aufmerksamkeit auf Themen lenken. Die aber auch darüber entscheiden, wie sie Geschichten erzählen. Ob sie dem Griesgrämigen da im Regen wieder das Tütchen Snuff füllen, mit dem er seine traurige Sucht bedient (die ihn sichtlich nicht glücklich macht), oder ob sie bereit sind, ihm wieder die großen Geschichten zu erzählen, die zumindest einen Teil von dem erklären, was gerade passiert. Und was das mit ihm zu tun hat.

Die Mischung macht’s.

Aber besonders schön fand ich, dass die stille und beharrliche Fragerei der L-IZ augenscheinlich ihren Widerhall findet und nun auch die Kollegen und Kolleginnen in anderen Medien sachte anfangen, wieder Fragen zu stellen. Deswegen klingt der Link zu Mingels’ Geschichte so, als könnte er auch auf die L-IZ führen: „warum-die-schwarzmaler-in-medien-und-politik-unrecht-haben“.

Das hätte ich nun fast auch so ähnlich geschrieben. Aber ich bin ja zu einem anderen Schluss gekommen. So ein Pech aber auch.

Die Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

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