Wie viele E-Mails haben Sie schon gelรถscht, wenn Sie um 10 Uhr aufs Ziffernblatt der Computer-Uhr schauen? 20, 50, 100? Vielleicht sind es in einer Redaktion ein paar mehr, weil viele Leute da drauรŸen glauben, sie mรผssten uns unbedingt als Weiterverbreiter ihrer Nachrichten gebrauchen, die keine Nachrichten sind. Die meisten Leute kรถnnen Wichtiges nicht von Unwichtigem unterscheiden. Und Werbung schon lange nicht mehr von Nachricht. Aber manche Mails haben noch ein grausameres Schicksal: Sie werden ungeรถffnet expediert.

Und das einfach deshalb, weil die Absender von Kommunikation keine Ahnung haben und die Empfรคnger der Meldung entweder fรผr bekloppt oder fรผr bescheuert halten. Andererseits ist es natรผrlich eine Masche: Jeder versucht auf die lauteste Art auf sich aufmerksam zu machen. Irgendwelche Marketing-Experten werden das schon so erklรคren und lehren.

SCHREIBEN SIE ALLES IN VERSALIEN! DAS ERZEUGT AUFMERKSAMKEIT! Verwenden sie Ausrufezeichen!!! Machen Sie sich wichtig: WICHTIG! Verwenden Sie Kรถder in der Betreffzeile: billig! Nur noch heute! AUSVERKAUFT!

Machen Sie sich noch wichtiger, indem sie Anglizismen verwenden. Das klingt smart und cool: Media Alert. Oder: Out now. Safe the date! (Besonders beliebt bei diversen Marketingagenturen, die uns ihre brandheiรŸen Kรผnstler (hot stars) und ihre Super-Werke offerieren wollen. Vielleicht halten sie uns ja fรผr eins dieser Veranstaltungsmagazine. Oder so einen Young-and-happy-Blog, auf dem Blogger Produkte gegen Geld anpreisen, die vielleicht die Welt nicht, aber so ein medienbesessenes Sternchen retten.

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Ja, sorry. Da wird einem schlecht. Tut mir leid, dass ich Ihnen das antun wollte.

Aber sie merken selbst: Leute, die uns solche Mails mit solchen Betreffs schicken, die verachten uns. Die kรคmen auch nie auf die Idee, uns die Fรคhigkeit zuzugestehen, selbst โ€“ aus eigener Sachkenntnis oder gar eigenem Interesse โ€“ wichtige von unwichtigen Nachrichten unterscheiden zu kรถnnen. So, wie sie das von den meisten Menschen da drauรŸen glauben.

Meine Erfahrung ist: Gerade diese um Aufmerksamkeit schreienden Meldungen sind meist vรถllig รผberflรผssig. Sie wurden nicht mal von Leuten geschrieben, die man frรผher mal Presseverantwortliche nannte oder so รคhnlich. Obwohl sie oft genug โ€žirgendwas mit Medienโ€œ studiert haben. Und nichts gelernt dabei.

Medienplattformen kรถnnen zwar viel Aufmerksamkeit schaffen fรผr jedes Thema. Aber sie mรผssen nicht. Im Gegenteil: Redakteure sind gut beraten, wirklich nach den Dingen Ausschau zu halten, die wirklich so wichtig sind, dass sie Aufmerksamkeit verdienen. Dazu reicht ein ganz normaler Schreibstil mit GroรŸ- und Kleinschreibung und unaufgeregter Interpunktion. Das Wichtige versteckt sich fast immer im Bescheidenen. Das Wichtige mรถchte nรคmlich gar nicht so viel Aufmerksamkeit wie der Clown im Zirkus. Eigentlich mรถchte es seine Probleme ganz ruhig auf normale Weise lรถsen. Was nicht immer geht. Dann braucht man die Medien, die dabei helfen, die nรถtige Aufmerksamkeit herzustellen.

Und der Rest?

Wandert ratzfatz in den Papierkorb, das neue Ballerspiel fรผr den PC genauso wie die EINLADUNG und wie der ICIT Alert (Fragen Sie mich nicht, was das ist), die Mail mit den drei +++ und das new interview mit einem Burschen, dessen Namen ich noch nie gehรถrt habe. Was soll mir ein neues Interview mit so einem Burschen bringen, zumal ja nicht wir mit ihm gespreochen haben? Oder die ganzen World Conferences, zu denen wir eingeladen werden, was zumindest Sinn macht, weil wir รผber die dort behandelten Themen mal berichtet haben.

Aber in der Regel arbeitet der komplette press room dort nur noch auf Englisch, die Homepage ist englisch, die Vortrรคge sind englisch. Was fรผr die Spezialisten okay ist. Aber warum erwarten diese hochbezahlten communication teams, dass ich das Anliegen ihrer Konferenz jetzt auch noch ins Deutsche รผbersetze, bloรŸ weil sie zu faul sind, eine wissenschaftliche รœbersetzung bereitzustellen?

Wie viel Arroganz steckt eigentlich in diesen ganzen PR-Spezialisten, die glauben, sie kรถnnten die Presse alleweil dazu benutzen, ihre Arbeit zu machen und ihnen die ganze Vermittlertรคtigkeit zum Publikum herzustellen โ€“ das nun einmal meist Deutsch liest, Englisch wahrscheinlich beherrscht โ€“ aber ich werde mich hรผten, einen wissenschaftlichen Fachbeitrag einfach mal so aus der Hรผfte ins Deutsche zu รผbersetzen. Und gleichzeitig noch ins Normalsprech.

Denn die Experten leben ja bekanntlich in ihrer eigenen Sprachwelt und werden stinksauer, wenn man den Normalsterblichen ihr hochheiliges Forschungsgebiet derart lutherisch unqualifiziert erklรคrt.

Geht zwar nicht ohne uns. Wir mรผssen aus beiden Sprachen รผbersetzen โ€“ aus dem Englischen und dem Experten-Sprech. Aber wenn mir schon der Input auf Englisch angedreht wird, wandert die Mail in den Papierkorb. Das mache ich sonst in aller Stille. Aber heute war mir mal so, es wenigstens mal zu erwรคhnen.

Das Schlimmste sind am Ende dann die รผberbezahlten Agenturen, die mir eine Mail auf Englisch und in VERSALIEN geschickt haben und dann kackfrech gleich anrufen und fragen, ob die Mail angekommen ist und wann wir darรผber berichten, MAN HABE AUF UNSERER WEBSITE DAZU NOCH NICHTS GEFUNDEN.

Das nenne ich arrogant, verรคchtlich, ignorant.

Aber das animiert mich nur noch mehr dazu, solche Mails gar nicht erst zu รถffnen, sondern ungeรถffnet in den Speicher des Vergessens zu senden. Mรถge sich der Digitalteufel darum kรผmmern. Oder der Verfassungsschutz, wenn er sich fรผr den ganzen Informationsmรผll interessieren sollte, mit dem Redaktionen in diesem Land von ihrer Arbeit abgehalten werden sollen.

Die Serie โ€žMedien machen in Fakenews-Zeitenโ€œ.

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10:02
Lieber Ralf Julke,
da habe ich jahrelang an meinen Spam-Aussortier-Filter-Regeln gebastelt..und du machst das einfach รถffentlich ;((
Aber naja, bei dir wird der Spam dann ja auch ab jetzt eher nach 10 Uhr ankommen.. falls die Exklamatoren deutsch lesen kรถnnen.. ;)))

Dankeschรถn fรผrs lesenswert nachvollziehbare Dampfabblasen und sowieso
Punkt (, das ๐Ÿ™‚

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