In der Zusammenfassung bringt es Dr. Robert Grimm, im Sozialforschungsinstitut Ipsos Direktor für Public Affairs, so auf den Punkt: „In den Daten wird eine Resignation vor der Komplexität der Lebenswelten und dem Datenüberfluss in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft ersichtlich, in der es schwerfällt, sich in verschiedene Expertensysteme in Politik und Wirtschaft hineinzudenken.“ Am 6. September hat Ipsos eine Umfrage dazu veröffentlicht, bei der 19.243 Personen in 27 Ländern befragt wurden.

Dabei ging es vor allem um die Frage: Können die Bürger dieser Länder Fakenews eigentlich noch erkennen? Und wie schätzen sie ihre Mitwelt ein, mit Informationen überhaupt noch souverän umgehen zu können?

Wobei Robert Grimm schon recht weit geht, wenn er die Ergebnisse so interpretiert: „Während sich Informationskanäle multiplizieren, verlieren Staat, Wissenschaft und traditionelle Medien die Informationshoheit. Sich emotionsgetriebenen Meinungsbildern hinzugeben, welche unmittelbare Erlebniswelten mittels leicht zugänglicher, bipolarer Gegenüberstellungen wie Opfer-Täter, Eliten-das Volk, Inländer-Ausländer gestalten, ist dabei eine einfachere Lösung als die Wahrheit unter vielen möglichen Wahrheiten zu finden. Dort setzt der Populismus an.“

Wobei er wahrscheinlich recht hat. Traditionelle Medien sind nicht mehr die Hauptinformationsquelle vieler Menschen. Sie haben ihre sogenannte „Gatekeeper“-Funktion verloren, sondern stehen für viele Nutzer in Konkurrenz zu andern Informationsquellen. Und die sind zwar manchmal bereichernd, oft aber nicht seriös.

Aber dass so vehement über Fakenews diskutiert wird, hat ja mit einem Mann auf dem amerikanischen Präsidentenstuhl zu tun, der ganz offen und nachweisbar lügt, Fakten verdreht, Fakenews produziert und fast tagtäglich gegen die seriösen Medien wettert. Also alle seine Macht dazu nutzt, das Vertrauen in die zentrale Säule demokratischer Meinungsbildung zu zerstören. Systematisch. Tag für Tag.

LIE LIE LIE – a Parody | Don Caron.

Das ist ein ganz zentraler Angriff auf eine der wichtigen stabilisierenden Institutionen der Demokratie. Denn wenn das Misstrauen in die klassischen Medien wächst, wächst auch die Orientierungslosigkeit der Bürger. Das hat nicht nur mit der Komplexität der Themen und Informationen zu tun, sondern auch mit Überforderung. Wenn der Mensch überfordert wird mit einer Flut nicht mehr verifizierbarer Nachrichten, steigt er aus, reduziert seine Aufmerksamkeit und folgt nur noch seinen Emotionen – bewertet Informationen also „aus dem Bauch heraus“.

Er differenziert nicht mehr, sondern reduziert für sich auch die Komplexität der Informationen, indem er nur noch Medien konsumiert, die ihn in seiner Haltung zu stärken scheinen. Das befördern die „social media“ ja geradezu: Die Menschen tauchen in ihren Filterblasen ab. Der Konsens einer Gesellschaft, die noch miteinander das Gespräch sucht, geht verloren. Sogar hochrangige Politiker sprechen auf einmal so, als gäbe es für sie 90 Prozent der Wirklichkeit nicht mehr, als wären sie auch nur noch in einer Filterblase unterwegs.

Wonach aber hat Ipsos wirklich gefragt?

In kurzer Ãœbersicht:

– Nur jeder dritte Bundesbürger (30 %) ist der Ãœberzeugung, häufig oder regelmäßig auf Nachrichtenberichte zu stoßen, in denen bewusst Falschmeldungen verbreitet werden.

– In allen anderen untersuchten Ländern werden vermeintliche Fake News deutlich öfter identifiziert, in Argentinien (82 %), Serbien (79 %) und der Türkei (79 %) gar von vier Fünfteln der Bevölkerung. Im Gegenzug geben vier von zehn Deutschen (42 %) an, eher selten oder nie Falschnachrichten in den Medien ausfindig zu machen. Nur in Südkorea (52 %) und China (47 %) werden Fake News somit noch seltener wahrgenommen als in Deutschland.

– Gleichzeitig fühlen sich die Menschen in Deutschland aber besonders selten dazu in der Lage, beim Medienkonsum gezielt zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden zu können. Nicht einmal jeder zweite Deutsche (47 %) ist davon überzeugt, Falschnachrichten auch als solche zu erkennen. Nur in Japan (30 %), Spanien (39 %) und Südkorea (45 %) trauen sich noch weniger Bürger diese Fähigkeit zu. Im globalen Durchschnitt sind immerhin zwei Drittel aller Befragten (63 %) von ihrer Medienkompetenz in Bezug auf Fake News überzeugt, in der Türkei sogar beinahe acht von zehn Personen (77 %).

– Deutliche Unterschiede zeichnen sich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung ab: Jeder zweite Befragte weltweit (48 %) denkt, dass der Durchschnittsbürger des eigenen Landes nicht imstande ist, wahre Begebenheiten und Unwahrheiten voneinander zu unterscheiden. Gerade in den westlichen Demokratien wie Schweden (64 %), den USA (62 %), Italien (61 %), Großbritannien (59 %) und Deutschland (53 %) überwiegt der Anteil derer, die an der Einschätzungs- und Differenzierungsfähigkeit ihrer Landsleute zweifeln. In Ungarn ist das Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitbürger hingegen besonders groß (69 %).

– Mehr als jeder Zweite weltweit (52 %) ist der Meinung, dass die Menschen häufig falschen Informationen Glauben schenken, weil sie von Politikern getäuscht und in die Irre geführt werden. In Deutschland stimmen immerhin vier von zehn Personen (40 %) dieser Aussage zu. Doch auch die Medien sowie der stetig wachsende Einfluss sozialer Netzwerke befördern aus Sicht der Bevölkerung die Distribution von Falschnachrichten. Fast die Hälfte aller Befragten weltweit (49 %) sehen eine Mitschuld bei den Medien (35 % in Deutschland). Vier von zehn Personen (41 %) betonen zudem den wachsenden Einfluss von Social Media auf gesellschaftliche Aushandlungsprozesse (40 % in Deutschland).

***

Wobei zwei Aussagen besonders spannend sind. Denn ausgerechnet Menschen in mehr oder weniger autokratischen Ländern (Ungarn, Malaysia, Saudi-Arabien, China) sind sich deutlich sicherer, Fakenews in den Medien erkennen zu können als solche aus liberalen Ländern wie Deutschland, den USA, Japan oder Schweden. Was nur auf den ersten Blick verblüfft. Auf den zweiten schon weniger. Denn gerade die mehr oder weniger versteckte Zensur in autokratischen Ländern zwingt die Bürger ja geradezu, die offiziellen Verlautbarungen sehr kritisch zu lesen und ein Gespür dafür zu entwickeln, wann Informationen wieder einmal manipuliert wurden. Die Quelle der Manipulation ist zumeist bekannt und die Medien- und Meinungsvielfalt deutlich reduziert.

 

Glauben Sie, das normale Menschen in Ihrem Land reale Fakten von Fakenews unterscheiden können? Grafik: Ipsos
Glauben Sie, dass normale Menschen in Ihrem Land reale Fakten von Fakenews unterscheiden können? Grafik: Ipsos

Was in Gesellschaften mit großer Medienvielfalt natürlich anders ist. Pressefreiheit heißt hier eben auch, dass auch die wildesten Nachrichten gestreut werden können. Klassische Medien konkurrieren direkt mit einer zunehmenden Zahl von Angeboten, von denen viele vor allem um Aufmerksamkeit buhlen und lieber Sensationsgeschichten verbreiten als seriös zu berichten.

Und dazu kommt die Masche, mit der gerade Rechtsradikale versuchen, klassische Medienberichterstattung zu diskreditieren. Die Masche wirkt. Auch in Deutschland glauben heute 46 Prozent der Befragten, dass mehr gelogen wird und Fakten in Medien und Politik öfter missbraucht werden als vor 30 Jahren.

Wobei die Vermengung von Politik und Medien in dieser Frage ein wenig befremdet – denn gerade klassische Medien haben ja auch jede Menge Arbeit, Lüge und Faktenverdrehung in der Politik aufzuklären.

Aber die Botschaft ist deutlich: Immer mehr Mediennutzer fühlen sich verunsichert. Auch weil viele annehmen, dass ein Großteil ihrer Mitmenschen in Filterblasen lebt und also nur noch gefilterte Nachrichten aufnimmt.

Als in Deutschland glauben mehr Menschen, die anderen Leute würden in Filterblasen leben, als es sich selbst zuschreiben. Grafik: Ipsos
Auch in Deutschland glauben mehr Menschen, die anderen Leute würden in Filterblasen leben, als sie es sich selbst zuschreiben. Grafik: Ipsos

Das verblüffende: Deutlich mehr Menschen glauben, dass die anderen in Filterblasen leben, als sie es von sich selbst sagen würden.

In Deutschland beträgt die Differenz satte 33 Prozent, in Schweden sogar 48 Prozent.

Ob das tatsächlich so ist, kann so eine Umfrage natürlich nicht klären. Aber es gibt natürlich zu denken. Nicht weil „die Medien“ nun auf einmal unglaubwürdig werden. Sondern weil sie zunehmend mit medialen Angeboten konkurrieren, die nur noch auf die Emotionen der Nutzer zielen. Das erreicht sehr große Nutzergruppen, die komplexere Berichterstattung schon als Überforderung sehen und bereitwillig dem folgen, was Grimm „emotionsgetriebene Meinungsbilder“ nennt.

Natürlich lassen sich so Gesellschaften leichter manipulieren. Einige Leute haben das sehr gut erkannt. Es passiert nicht wirklich „einfach so“. Einige Leute sind sehr wohl daran interessiert, dass die Vernunft unter die Räder kommt und Menschen wieder emotionsgesteuert handeln.

Was Georg Dietz in seiner „Spiegel“-Kolumne auch so nebenbei feststellt, wenn er über die „Krise des Konservatismus“ schreibt: „Und wenn sich dann auch noch jemand wie der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen in die Diskussion einschaltet, selbst in der Kritik wegen Kontakten zur AfD, und auf seine Art dem Lügenpressevorwurf Futter gibt, die Medien pauschal schwächt und damit die Demokratie – dann zeigt das alles zusammen den existenziellen Kampf um die Seele der Konservativen, der leider auch ein Kampf um den Bestand der liberalen Demokratie ist.“

Was zumindest eine Aufgabe für ernst zu nehmende Medien wieder etwas deutlicher macht: Aufklärung und Faktensuche bleiben ihr Job. Sonst funktioniert Demokratie nicht mehr.

Medien machen in Fakenews-Zeiten

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Es gibt 5 Kommentare

Weil man den Bedarf an Bildungsvorlauf nur erkennt, wenn man aus seiner Blase mal rausschaut. Innerhalb der Blase ist ja alles easy.

@MF 🙂
OffTopic:
“Bildungsvorlauf” war mir bis dato unbekannt und musste ich erstmal googeln. Hab das in etwa so verstanden:
Beilspielsweise Chef will etwas machen, wovon bislang keiner einen blassen Schimmer hat, also muss zu allererst entsprechend Personal ausgebildet werden, das es dann richten soll = Bildungsvorlauf.
Richtig? Wenn ja, was hat das dann mit der Blase zu tun?

Deckt sich ja mit dem Befund der Studie, dass viele Menschen davon ausgehen, dass immer der jeweils Andere in einer Filterblase lebt. Warum sollten dann also Journalisten von dem Vorwurf verschont bleiben?

Ob er dann allgemein jeweils stimmt, lässt sich wohl nur durch Neugier auf Neues in der Welt erfahren. Je mehr davon, um so besser entflieht man hoffentlich selbst der eigenen immer auch natürlich vorhandenen Blase (Sozialisation, Umfeld, Bildungsvorlauf). Je länger ich so drüber nachdenke: halt eine stetige fröhliche Konfrontation mit der Realität. Am Besten noch dazu mit der Realität anderer Menschen.

Leserkommentar bei Welt-online:
“…ich habe den Eindruck, dass es weniger die Zuschauer und Leser sind, sondern eher die Journalisten, die sich in einer ideologischen Filterblase bewegen.”

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