Am Montag, 16. Juli, ist der 50. Todestag von Lene Voigt. Die Lene-Voigt-Gesellschaft veranstaltet dazu ein Kolloquium. Die Mitglieder der Gesellschaft haben dazu schon ein kleines Geschenk erhalten: ihre Jahresgabe. Jahresgaben der Lene-Voigt-Gesellschaften sind Kostbarkeiten. Auch diese. Sie widmet sich den Texten, die Lene Voigt ab 1924 in "Die Lustige Kiste" veröffentlichte. Ein Stück Leipziger Verlagsgeschichte.

“Die Lustige Kiste” gehörte zu einem ganzen Reigen von Humormagazinen, die in den 1920er Jahren in Deutschland erschienen. Die Konkurrenz war groß, die Magazine aber auch vergleichsweise begehrt. Das später in der DDR entwickelt “Das Magazin” knüpfte ein wenig an die Tradition dieser Unterhaltungs-Publikationen an, wenn natürlich auch nicht in direkter Tradition.

Die “Jahresgabe” enthält auf über 60 Seiten diverse Texte von Lene Voigt, die sie bis 1933 in “Die Lustige Kiste” veröffentlichen konnte. Das in Nummer 3/1933 veröffentlichte “Friehlingslied” war ihr letzter dort veröffentlichter Text. Nicht nur Lene Voigt bekam im Nazi-Reich Publikationsverbot. Frühzeitig wurden auch verschiedene Humor-Zeitschriften untersagt. “Die Lustige Kiste” erwischte es mit ihrer Nr. 4/1933.

Fungierte für die ersten Hefte noch Emil Herrmann als Verleger, so steht später der A. Bergmann-Verlag auf dem Umschlag. Lene-Voigt-Freunden ist der Verlag bekannt: Hier erschienen auch einige ihrer Bücher wie die “Säk’schen Glassiger”.

Und dann? – Immer, wenn man etwas genauer in die Leipziger Verlagsgeschichte hineinleuchten will, tut sich ein Loch auf. Zu einigen Verlagen gibt es mittlerweile dicke Kompendien, sie erscheinen in jeder Früher-war-alles-schöner-Eloge. Aber 1930, bevor die Kulturtrottel in Braun ihr Zerstörungswerk begannen, gab es allein in Leipzig 436 Verlage. Heute sind es ungefähr 70, manche wagen auch die Zahl 90 zu nennen. Der A. Bergmann-Verlag ist nicht mehr darunter. Der zog gleich nach dem 2. Weltkrieg Richtung München, verlegte dort noch ein Weilchen Lene Voigt, als die Dichterin in Leipzig noch längst nicht wieder verlegt werden durfte.

In den üblichen Übersichten zur Verlagsstadt Leipzig fehlt der Verlag A. Bergmann. Er wird nicht ernst genommen. Wo war das Verlagshaus? Immerhin war es doch kein unbekannter Verlag. Er machte auch nicht nur mit Humor Furore.Aber da ist man bei einem der vielen deutschen Probleme mit der Teilung der Welt in wichtig und unwichtig, schwer und leicht, klassisch und unterhaltsam. Würden Verleger nur Klassisches drucken, wären sie alle bald pleite. Selbst die klassischsten Verlage haben ihr Geld mit leichter Lektüre verdient. Nicht mit leichtem Publikum. Auch das, was man so verschämt gern als Unterhaltung versteckt, wird von Leuten gelesen, die an der Kaffeetafel gern von Thomas Mann und Goethe reden. Auch der klügste Kopf braucht Unterhaltung. Auch in den 1920er und 1930er Jahren holte er sie sich am Kiosk.

Und verzichten auf eine Heftreihe wie “Die Lustige Kiste” konnte der A.-Bergmann-Verlag 1933 auch, weil er ab 1932 auch noch eine andere Heftreihe im Programm hatte, die bei einem ganz anderen Publikum den Sammeleifer weckte: “Sun Koh” hieß sie und war eine der ersten erfolgreichen SF-Heft-Serien in Deutschland, Vorbild für eine später in der Bundesrepublik entstandene Heftserie, die noch berühmter wurde: “Perry Rhodan”. Was auch daran lag, dass der Autor von “Sun Koh” 1960 mit dabei war, als die “Perry Rhodan”-Serie entwickelt wurde. Paul Alfred Müller hieß der Mann.

Wer ihn in Leipziger Autorenlexika sucht, sucht ihn dort in der Regel vergeblich. 1901 in Halle geboren, arbeitete er ab 1923 als Volksschullehrer, studierte später an der Uni Leipzig, arbeitete 1927 bis 1930 als Berufsschullehrer und war ab 1930 leitender Direktor der Abteilung Bau an der Meisterschule des Deutschen Handwerks in Leipzig. Ein Artikel über das versunkene Atlantis entfachte seine Begeisterung für eine SF-Idee. Die unterbreitete er dem A. Bergmann-Verlag und am 7. Oktober 1932 unterschrieb er eine Abmachung, mit der er die Rechte an den Verlag abtrat. Der plante 1933 mit einer Auflage von 20.000 Heften – aber die Serie löste so eine starke Nachfrage aus, dass in der Regel 60.000 bis 90.000 Hefte gedruckt werden mussten.Heftpreis: 20 Pfennige. “Die Lustige Kiste” kostete 50 Pfennige. Müller schrieb nicht unter seinem Namen. Er nannte sich Lok Myler. Bis 1936 erschienen 150 Titel von “Sun Koh”. Müller hatte sich nachträglich noch das Recht gesichert, die Geschichten drei Jahre nach Erscheinen in Buchform veröffentlichen zu dürfen. Auch diese Bücher konnten noch erscheinen. Doch ab 1935 mussten alle Hefte der Reichsschrifttumskammer zur Zensur vorgelegt werden. Was 1936 das Ende der Serie bedeutete.

Die Romane erschienen übrigens 1937/1938 auch bei A. Bergmann. SF-Liebhaber sind heute stolz darauf, wenn sie einen Band Lok Myler “Blaue Kugel. Roman eines phantastischen Abenteuers”, Leipzig 1938, A. Bergmann Verlag, in ihrem Besitz haben. Oder Lok Myler “Ein Mann fällt vom Himmel. Eine unwahrscheinliche Geschichte”, Leipzig 1937, A. Bergmann Verlag.

Wobei das Pseudonym natürlich zu denken gibt: Wohnte Müller vielleicht in der Eisenbahnstraße? – Eine kleine Forschungsaufgabe.

Im Anschluss an “Sun Koh” veröffentlichte Müller im A. Bergmann-Verlag noch eine andere SF-Serie: “Jan Mayen, der Herr der Atomkraft”. Sie erschien von 1936 bis 1938. Aber nicht nur der Verlag verließ nach dem Krieg die Stadt, auch Müller verlegte seinen Wohnsitz in den Westen, verstarb 1970 in Murnau. Da sich aber seiner die SF-Gemeinde angenommen hat, ist über ihn und sein Werk heute deutlich mehr bekannt als über den Verlag, mit dem er berühmt wurde und wo auch Lene Voigt einst veröffentlichte.

Dabei ist das Verlagsspektrum, das heute noch in manchen Antiquariaten seine Spuren hinterlassen hat, durchaus bunt. So heißen einige Titel, die wohl das jüngere Publikum ansprachen, “Stückels Abenteuer”, “Nuckels Abenteuer” (1927) oder “Kuddelmuddel” (1930).

www.lene-voigt-gesellschaft.de

Wikipedia über Paul Alfred Müller: http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Alfred_M%C3%BCller

Wissenswertes über “Sun Koh”: www.sunkoh.de

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