"Das kann man nicht begreifen", sagte ein bewegter Moshe Georgi am Mittwoch im Leipzig-Kolleg über die NS-Judenverfolgung. Der gebürtige Gaschwitzer überlebte den Holocaust, weil seine beiden Brüder und er von Herbst 1943 bis April 1945 von einem Onkel versteckt wurden. Seit 1948 lebt Moshe Georgi in dem Land, das alsbald Israel werden sollte.

Jom Kippur ist der höchste jüdische Fiertag. In diesem Jahr fiel er, nach christlich-gregorianischem Kalender, auf den 26. September. Jom Kippur steht für das Versöhnungsfest. An eben jenem Tag besuchte Moshe Albert Peter Georgi Leipzig. Die Stadt, in der er sich bis 1948 mehrfach aufhielt, in der Verwandte lebten und begraben sind.

An eben diesem 26. September 2012 diskutierte der gebürtige Gaschwitzer und heutige israelische Staatsbürger Mosche Georgi mit Leipziger Abiturienten. In dem Gespräch mit Studierenden des Leistungskurses Geschichte des Leipzig-Kollegs ging es um die Geschichte des Holocaust und die Lage des heutigen Israel. Organisiert hatten das Zeitzeugengespräch das Leipzig-Kolleg und das Friedenszentrum Leipzig.

Moshe Georgi: Man war glücklich, man konnte leben

Moshe Albert Peter Georgi wurde am 13.10.1934 in Gaschwitz geboren. Bis 1948 hat er in der Region gelebt. Wenn Moshe Georgi in Deutsch redet, klingt seine westsächsische Herkunft manchmal durch. Kinderjahre prägen eben.

Doch es war keine glückliche und unbeschwerte Kindheit, die Moshe Georgi in Gaschwitz verbrachte. Seine Mutter Anna Sarah Georgi war Jüdin. Sein Vater Albert Georgi war evangelischer Christ, wie der heute 77-Jährige betont. Der Vater hätte dem Druck des NS-Regimes widerstanden und sich nicht scheiden lassen. Dafür wurde er in ein Strafkommando gepresst. Nach der Erinnerung von Moshe Georgi war das im Jahre 1942.
Im Herbst 1943, noch vor Moshes neuntem Geburtstag, wurde die Mutter von der Gestapo in ein Leipziger “Judenhaus” verschleppt. Sie überlebte den Holocaust im Lager Theresienstadt auf besetztem tschechischen Boden. Viele jüdische Familienangehörige überlebten die Shoah nicht.

Es war Heinrich Müller, ein Onkel, ein Schwager des Vaters, der die drei Georgi-Brüder nach der Verschleppung ihrer Eltern versteckte. Dessen Klempnerei in der damaligen Adolf- Hitler-Straße 35 (der jetzigen Hauptstraße 272) lag abseits am Bahndamm und bot im Lagerbereich Platz zum Verstecken.

In der Nacht konnten die Jungs sich in dem Waldgebiet der Alten Harth aufhalten (das war weit vor der Überbaggerung der Gegend). Bei SA-Mitglied Müller obsiegten am Ende wohl doch die verwandtschaftlichen Verbindungen und der menschliche Anstand. Georgi berichtete von Ausgrenzung, von psychischer und der physischer Gewalt, die der Familie während der NS-Diktatur entgegenschlug. Was bleibt als Fazit: “Man war glücklich, man konnte leben.”

Nach dem Krieg lebten noch 60 Juden in Leipzig. Und mancher von ihnen verließ die Stadt erneut. Mutter und Brüder Georgi gingen 1948 über West-Berlin, Hamburg und München nach Palästina, wie das Land noch kurz vor der Gründung des Staates Israel hieß. Die Passage von West-Berlin nach Hamburg legten die vier übrigens in einem der “Rosinen-Bomber” zurück. Jenen US-Transportflugzeugen, die die Zwei-Millionen-Stadt West-Berlin zu Zeiten der sowjetischen Blockade der Stadt aus der Luft versorgten.

Seit 1993 gehört Gaschwitz zu Markkleeberg. Die dortige Stadtverwaltung lud Moshe Georgi zu einem Besuch der Stadt ein. Eine Geste, die viele deutsche Städte ihren ehemaligen jüdischen Mitbürgern erweisen. So auch Leipzig.
Disput um Lage in Nahost

“Was sind Sie schuldig für das, was damals war”, fragte Georgi die jungen Leipziger nach seinen Schilderungen der NS-Zeit. Natürlich rhetorisch, um die selbst gestellte Frage zu verneinen. An die jungen Deutschen habe er nur einen Wunsch. “Ich wünsche, dass Sie sich einsetzten gegen einen neuen Nationalsozialismus.” Denn der Nazismus in Deutschland, der existiere durchaus noch, ist sich Georgi sicher.

Der Konsens war an diesem Punkt im Raum zu spüren. An anderen Punkten wurden die Kontroversen deutlich ausgetragen. “Es wird Krieg geben”, so Georgi mehrfach zu den Perspektiven im Nahen Osten, gerade mit Blick auf den Iran. “Es gibt kein arabisches Land, das einverstanden ist mit Israel”, sagte er auf Fragen nach den Chancen von Ausgleich und Versöhnung, “die wollen uns wegputzen.”

In dem Zusammenhang ist im diplomatischen Politdeutsch immer von der Anerkenntnis des Existenzrechts Israels die Rede. Dabei sollte man meinen, dass unter UNO-Mitglieder die territoriale Integrität von Staaten wechselseitig anerkanntes Völkerrechtsprinzip sei. Doch im Nahost-Konflikt gelten bekanntermaßen andere Regeln.

“Kein Land will die Juden haben”, so die Lebenserkenntnis des 77-Jährigen. Da half auch der Hinweis von Studierenden auf seit Jahren wachsende jüdische Gemeinden in Deutschland nicht.

Nur Israel könne folglich Heimstatt aller Juden sein. Zudem habe sich das Land ständiger Bedrohung zu erwehren, Zwischen 1948 und 1982 habe er in allen Nahost-Kriegen als Soldat gekämpft, erzählt Georgi. Mittlerweile stünden die beiden jüngsten seiner Enkel vor der Einberufung zum Militär. Ein Denken in diesen Kategorien von Stärke und Militär ist den jungen Leipzigern überwiegend fremd.

Nun liegt Israel auch am Mittelmeer, ist zudem über die Sinai-Halbinsel auf dem Landweg mit dem afrikanischen Festland verbunden. So mag es nicht überraschen, dass das relativ wohlhabende Israel, ebenso wie Europa, Zielort von Flüchtlingen aus Schwarzafrika ist. Eine Situation, die sein Land überfordere, wie Georgi meinte. Auch hier traf er mit seinen Thesen auf Widerspruch.

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