Ab Montag, 17. September, feiert die Thomasschule ihre Festwoche im Rahmen der 800 Jahre "Thomana". Und ein Höhepunkt wird ganz bestimmt am 18. September um 19.30 Uhr in der Lutherkirche die Premiere des historischen Musiktheaterstücks "Morungen". Geschrieben hat's Wilhelm Bartsch. Der Held: der älteste bekannte Leipziger Dichter, Heinrich von Morungen.

Eigentlich Thüringer von Geburt. Morungen ist heute ein Ortsteil von Sangerhausen am Südharz. Es gab eine alte Burg Morungen und eine neue, die erstmals Mitte des 13. Jahrhunderts erwähnt wird, also 100 Jahre nach der Geburt Heinrichs von Morungen. Trotzdem wird die Burg Neu-Morungen mit ihm in Verbindung gebracht. Geboren wurde Heinrich, der niedrigem Adel entstammte, um 1150. Sein Leben verliert sich eigentlich in der Geschichte. Die Hälfte dessen, was über ihn erzählt wird, ist Legende.

Keine Legende ist, dass er einer der berühmtesten Minnesänger seiner Zeit war, ein wenig älter als Walther von der Vogelweide, so dass die Literaturhistoriker annehmen, er könnte dem Jüngeren Vorbild gewesen sein. Nur wann und wo, das lässt sich urkundlich nicht belegen, auch die überlieferten Texte verraten nichts über ihre Autoren. 35 Lieder sind überliefert von Heinrich von Morungen. Wer freilich durch Leipziger Buchläden geht und den Gedichtband sucht, findet nichts. Er ist nicht präsent. Obwohl sich das leicht ändern ließe. Es gibt von Reclam eine handliche Ausgabe seiner Texte. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. Zwischen der Sprache des 12. Jahrhunderts und unserer heutigen liegen Welten.

Irgendwann muss Heinrich in die Dienste von Dietrich, Markgraf von Meißen, gekommen sein. Minnesänger – auch wenn sie von niederem Adel waren – mussten nach Lohn und Brot suchen. In der Regel als Dienstmannen eines Fürsten. Man nimmt auch an, dass Dietrich die Lieder von Heinrich gefielen und er ihm deshalb eine Geldrente aussetzte von 10 Talenten mit Zinsen. Hört sich nicht nach viel an. Aber Doris Mundus hat es in “800 Jahre Thomana” mal ausgerechnet: Ein Talent entsprach zwischen 20 und 36 Kilogramm Silber.

Da braucht man schon ein großes Fuhrwerk, um die Lebensrente von Heinrich von Morungen fortzuschleppen.

Ist natürlich die Frage: Wie kam der geborene Thüringer in die Dienste des Wettiners? Vielleicht durch eine Heirat. Denn Dietrich von Wettin (1162 – 1221) hatte Jutta, die Tochter des Landgrafen Hermann I. von Thüringen, geheiratet. Und der ist in der Geschichte des Minnesanges berühmt. In Frankreich erzogen, kannte er die aktuelle französische Literatur und die Troubadour-Lyrik. Er lockte die großen Minnesänger aus ganz Deutschland an seinen Hof. Heinrich von Veldeke gehörte dazu. 1206 fand auf Hermanns Burg, der Wartburg, der so genannte Sängerkrieg mit Walter von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach statt.Offen die Frage: Wo war Heinrich von Morungen?

Möglich ist, so vermuten die Forscher, dass er Dietrich schon 1197 bei dessen Teilnahme am Kreuzzug Heinrich IV. begleitete. Ein Kreuzzug, der in diesem Fall durch den frühen Tod des Kaisers endete.

Daheim hatte Dietrich eh genug Ärger. Besonders mit der Stadt Leipzig. Er ließ sich zwar 1212 die Gründung eines Kloster in Leipzig mit dem Heiligen Thomas als Namenspatron bestätigen. Aber die Leipziger sträubten sich, plünderten die Baustelle und verrammelten die Stadt gegen den Landesherrn. Nur durch ein falsches Versprechen konnte sich Dietrich 1216 Einlass verschaffen in die Stadt, die Bürger niederwerfen und 1217 tatsächlich mit dem Bau des Thomasklosters beginnen. Das ungefähr muss auch der Zeitpunkt gewesen sein, als Heinrich von Morungen seine Leibrente dem Kloster überschrieb und wahrscheinlich auch nach Leipzig zog, um hier seinen Lebensabend zu verbringen.

1221 erlebte er noch mit, wie Dietrich der Bedrängte – möglicherweise auch auf Anstiftung der Leipziger – vergiftet wurde. Gestorben ist Heinrich von Morungen 1222. Bestattet in der Thomaskirche, schreibt Doris Mundus. “Im Kreuzgang des Klosters”, schreibt Otto Werner Förster. Bis ins 15. Jahrhundert soll sein Grabstein noch erhalten gewesen sein.

Als 2002 Teile des Klosters auf der Nordseite der Thomaskirche ausgegraben wurden, gab es auch Spekulationen, ob eines der gefundenen Skelette das des Minnesängers hätte sein können. Aber man weiß ja nicht einmal, wie Heinrich von Morungen aussah. Die Bilder aus der Manessischen Liederhandschrift, die um 1320 entstand, sind idealisierte Figurinen, der versuchen, die bekanntesten Texte der abgebildeten Dichter zu interpretieren. Das Wappen mit dem Halbmond und den Sternen war bei den Herren von Morungen auch später noch nachweisbar.

Was wohl wirklich Legende ist, ist die sagenhafte Reise Heinrichs nach Indien. Das 12. und 13. Jahrhundert waren durchaus fabulierfreudige Jahrhunderte. Aber in einer Zeit, in der das christliche Europa mit den Arabern in dauerhafter Kriegsfehde lag, waren Pilgerfahrten nach Indien wirklich nur Legende. Indien spielt aber deshalb eine Rolle, weil man dem Apostel Thomas eine Missionsreise bis ins ferne Indien zuschrieb. Und zur Gründung des Thomasklosters sollen Reliquien des Hl. Thomas nach Leipzig gekommen sein.

Wer die überlieferten Lieder Heinrichs von Morungen liest, findet darin natürlich den neuen, sehr persönlichen Ton, der wohl über die Troubadour-Lyrik nach Deutschland kam. Es sind nicht einfach nur höfische Loblieder auf die besungene Herrin. Hier vermag es einer, Emotionen in seine Strophen zu bringen und ein ganz persönliches Verhältnis zur besungenen Schönen aufzubauen. Manche Interpreten vermuten auch einen starken, vom Marienkult geprägten Impetus in diesen Strophen zu entdecken, so dass die besungene vrouwe dann die Jungfrau Maria wäre.

Aber die Texte lassen sich auch ganz ohne religiöse Deutung lesen – als wirklich innige Liebeslieder. Manchmal sogar etwas frech. “Vrouwe, ich wil mit hulden / reden ein wênic wider dich. / daz solt dû verdulden. / zürnest dû, sô swîge aber ich.”

Das ist irgendwie wie eine Botschaft über die Jahrhunderte: Die Sache mit den Frauen ist noch immer genauso kompliziert wie zu Heinrichs Zeiten. “Si hât mich verwunt / rehte aldurch mîn sêle / in den vil toetlîchen grunt, / dô ich ir tet kunt, / daz ich tobte unde quêle / umb ir vil güetlîchen munt.”

Da kann man sich das Fräulein schon richtig vorstellen, wie es mit den Gefühlen des verletzten Dichters spielt. Liebe kann richtig weh tun. Der Mann, der da um 1217 in Leipzig in seinen Ruhesitz zog, wusste das. Heute picken die Spatzen auf dem steingepflasterten Thomaskirchhof. Das Grab des Minnesängers ist verschwunden.

Liedtexte von Heinrich von Morungen: http://texte.mediaevum.de/texte/morungen.htm#l33b

Die belastbaren Daten zu seinem Leben: www.deutsche-biographie.de/sfz29293.html

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