Er schrieb den ersten Weltbestseller der DDR: der 1900 in Leipzig geborene Bruno Apitz. Sein Roman "Nackt unter Wölfen" wurde weltweit über 3 Millionen Mal verkauft. In der DDR galt er als Vorzeigeschriftsteller. Doch einen vergleichbaren Bucherfolg konnte er nicht wieder erlangen. Nach 1990 geriet er fast sofort in Vergessenheit. Eine fundierte Biografie fehlt bis heute. Auch mit den zugehörigen Schattenseiten. Ein junger Dresdner Historiker hat auch in MfS-Archiven nachgeforscht.

Im “Doktorand_innen Jahrbuch 2012” der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat Lars Förster, der an der TU Chemnitz Europäische Geschichte studiert hat, derzeit in Dresden lebt und eine Doktorarbeit unter dem Thema “Bruno Apitz (1900-1979). Die Biografie eines deutschen Kommunisten” schreibt, das Kapitel “Bruno Apitz und das MfS Zum Selbstverständnis eines deutschen Kommunisten” besonders beleuchtet.

“Bruno Apitz stand für eine relativ kurze Zeit, von August 1957 bis Oktober 1959, in Verbindung mit dem MfS und wurde als ‘DA Brendel’ für den Postempfang eingesetzt. Seine Aufgabe als DA (Deckadresse) bestand darin, die an ihn gerichtete Post an das MfS weiterzuleiten, sofern sie von politischem Interesse war”, schreibt Förster. “Zusätzlich fertigte er für das Ministerium Berichte an. (…) Der Werbungsbericht vom 23. August 1957 vermerkt, dass Apitz ohne Probleme als DA angeworben wurde. Ebenfalls in der Akte enthalten ist eine handschriftliche Schweigeverpflichtung, die auf den 21. August 1957 datiert ist. Etwa zur selben Zeit befand sich Apitz vor dem Abschluss von ‘Nackt unter Wölfen’. Der Führungsoffizier Heinz Wegner (Hauptabteilung II) traf sich anschließend mehrfach mit Apitz in dessen Berliner Wohnung oder im Café ‘Praha’ und erkundigte sich zu seinem Arbeits- und Bekanntenkreis.”

Förster beleuchtet natürlich auch den Lebensweg des Leipzigers, der aus einer Arbeiterfamilie stammte und auch nie studierte. Er war zwar vielfach begabt – als Autor, Kabarettist, Bildhauer, sogar Musiker – doch er hatte zeitlebens nie die Gelegenheit, seine Talente auszubilden. Schon als 17jähriger wurde er – nach einer öffentlichen Anti-Kriegs-Rede – erstmals verhaftet. In den 1920er und 1930er Jahren beteiligte er sich aktiv an der Arbeit der KPD. Als er 1945 aus dem KZ Buchenwald befreit wurde, hatte Apitz schon 12 Jahre seines Lebens in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbracht. Noch in den 1950er Jahren war er von seiner KZ-Zeit körperlich gezeichnet.

Aus heutiger Perspektive war er ein Hardliner – und ein echter Idealist. Und damit selbst in der DDR etwas Exotisches. Was ihm sogar selbst in den 1960er Jahren deutlich bewusst wurde. “Die Dazugehörigkeit zu ‘seiner’ Partei hatte ihm stets etwas bedeutet, überschnitt sich aber ab den 1960er Jahren mit der Traurigkeit, sich in ihr nicht mehr heimisch zu fühlen”, schreibt Lars Förster. “Ein zunehmender Ausspruch von ihm war: ‘Die Partei ist nicht mehr meine Heimat.’ Apitz litt zusehends darunter, mit ansehen zu müssen, wie die Partei von Karrieristen benutzt wurde.”

Und es war wohl dieser unerschütterliche Idealismus, der ihn auch für zwei Jahre zum Zuträger des MfS werden ließ. Zwei entscheidende Jahre. “In den Unterlagen wird ersichtlich, warum ausgerechnet Bruno Apitz angeworben wurde”, berichtet Förster. “Die Staatssicherheit interessierte sich für dessen Korrespondenz mit Martin Gustav Schmidt (1926?1988), seinem damaligen Lektor von ‘Nackt unter Wölfen’ vom Mitteldeutschen Verlag Halle (MDV). Das MfS hatte aus seiner Sicht allen Grund, Schmidt mit besonderem Misstrauen zu beobachten.”
Und wahrscheinlich gibt es noch ganze Meter von Akten zur Beobachtung von Schmidt, den die Literaturgeschichte heute unter einem anderen Namen viel besser kennt: Martin Gregor-Dellin. Ohne diesen begabten Lektor wäre “Nackt unter Wölfen” nie ein Bestseller geworden. In jüngster Zeit wurde zwar immer wieder harsch kritisiert, wie sehr Apitz in seinem Buch von der tatsächlichen Geschichte des “Buchenwaldkindes” Stefan Jerzy Zweig abwich. Aber das ist in der Regel die Besserwisserei der Nachgeborenen. Für Apitz war “Nackt unter Wölfen” vor allem ein Versuch, das Trauma seiner KZ-Zeit zu verarbeiten, ihr auch einen (moralischen) Sinn zu geben. Doch das Material, das er dem Mitteldeutschen Verlag vorlegte, war durchaus heterogen. Das brauchte einen Lektor wie Schmidt alias Gregor-Dellin, der ordnend eingriff und den Autor anregte, am Material zu arbeiten, bis es ein spannendes und lesenswertes Buch wurde. In der DDR übrigens das erste, das sich dieser Thematik widmete.

Und eine Vermutung ist bestimmt nicht falsch: Einen vergleichbar einfühlsamen Lektor hat Apitz nicht wieder gefunden, nachdem Schmidt ausgerechnet 1958, als “Nackt unter Wölfen” erschien, in den Westen flüchtete. In diesem Fall wirklich: flüchtete. Denn einiges deutet darauf hin, dass das MfS ihn und den MDV schon länger unter der Kuratel hatte. Der MDV erwarb sich gerade in dieser Zeit einen Ruf, wie ihn nie wieder ein Verlag in der DDR hatte. Förster: “Der MDV war zu jener Zeit ein beherzter und entwicklungsfreudiger Verlag, der vor allem jungen, talentierten, manchmal problematischen Autoren eine Chance gab. Deswegen geriet er zunehmend mit der Staatsmacht in Konflikt. Im November 1957 wurde der MDV-Autor Erich Loest verhaftet, nachdem man in seinem Haus ein Manuskript aus dem Jahre 1956 gefunden hatte, das die Machenschaften der Abteilung K5 der Kriminalpolizei, dem Vorläufer des MfS, beschrieb.”

Dass das MfS von Apitz ausgerechnet die Briefe von Schmidt alias Gregor-Dellin haben wollte, wird verständlich, wenn man das weiß. Doch mit dem Weggang von Gregor-Dellin riss für Apitz augenscheinlich auch eine menschliche Verbindung. Bis 1959 blieb Apitz mit dem MfS in Kontakt. “Im Juni 1959 fertigte Apitz einen vierseitigen Bericht für das MfS an, in dem er Heym als arrogant und überheblich beurteilte.”

Was im Grunde die ganze Perfidie des Spiels deutlich macht, das vom MfS gespielt wurde. Denn auch Stefan Heym war ein überzeugter Kommunist, blieb der DDR bis zum Ende treu und saß später auch aus Überzeugung für die PDS im Bundestag. Nur nahm er sich – wie andere überzeugte Kommunisten vom Schlage eines Bloch oder Mayer (die ebenfalls in dieser Zeit bedrängt und vertrieben wurden) heraus, das Experiment “Sozialismus” kritisieren zu dürfen. Und nicht nur der MDV geriet nach dem gescheiterten Ungarn-Aufstand von 1956 ins Visier des Staatsapparates. 1956 war auch schon der Chef des Aufbau-Verlages, Walter Janka, unter Anklage einer “konterrevolutionären Verschwörung” verhaftet worden.

Den intellektuell und auch scharfzüngig agierenden Stefan Heym empfand Apitz zwar als überheblich und zwiegesichtig und schrieb einen entsprechend bösartigen Bericht. Doch 1959 kündigte er die Zusammenarbeit mit dem MfS. Später begrüßte er als überzeugter Kommunist den Bau der Mauer und die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Aber welche Persönlichkeit steckte dahinter? Lars Förster will es herausbekommen.

“Nichtsdestotrotz muss die ausführliche Biografie über sein Leben und Wirken erst noch geschrieben werden”, sagt er. “Das laufende Dissertationsprojekt verfolgt das Ziel, diese empfindliche Forschungslücke zu schließen.”

Die Zusammenarbeit mit dem MfS – rekonstruiert aus den Akten des Sicherheitsdienstes – ist nur ein Teilaspekt. Der auch nur vage Apitz’ Haltung gegenüber DDR-Dissidenten und regimekritischen Künstlern sichtbar macht. Man kann gespannt sein auf diese Doktorarbeit.

Martin Gregor-Dellin auf Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gregor-Dellin

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