Den Wissenschaftsbeziehungen im 19. Jahrhundert zwischen Deutschland und Russland auf den Gebieten Chemie, Pharmazie und Medizin gehen seit 2007 Forscherinnen und Forscher in einem Projekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig nach. Das Datenmaterial verdeutlicht die Enge der Beziehungen. Große Namen finden sich darunter.

Wissenschaft sei damals ein offenes Diskussionsforum jenseits nationaler Grenzen gewesen, sagt Dr. Elena Roussanova. So beschreibt die Chemikerin die Debattenkultur unter den Immunologen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Dabei ging es damals um Grundsätzliches. Die Grundlage der menschlichen Infektionsabwehr liege in den Substanzen des Blutserums, waren die Humoralimmonulogen überzeugt. Zu ihnen zählten deutsche Forscher wie Robert Koch (1843 – 1910), Paul Ehrlich (1854 – 1915) und Emil Adolf von Behring (1854 – 1917).

Die Zellularimmunologen schrieben die Funktion der Infektionsabwehr den weißen Blutkörperchen zu. Grundlegend für diese Theorie waren die Forschungen des Russen Ilja Iljitsch Metschnikow (1845 – 1916). Beide Theorien leisteten ihren Beitrag zur Mehrung menschlichen Wissens und zur Minderung menschlichen Leids.

Diese Erkenntnisse halfen bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Krankheiten wie Cholera und Tuberkulose stellten für Europa damals eine existenzielle Bedrohung dar.
“Es gab keinen Krieg zwischen den Wissenschaftlern”, unterstrich Dr. Elena Roussanova jüngst auf einem Kolloquium der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig weiter. Sie beschrieb die damalige Kommunikation als Streit der Meinungen, fruchtbare Diskussionen und das Entwickeln neuer Erkenntnisse.

Erkenntnisse, die die Anerkennung der Fachwelt fanden. Der erste Nobelpreis für Medizin überhaupt ging 1901 an Emil von Behring. Dessen wissenschaftlicher Lehrer Robert Koch empfing diese Auszeichnung 1905. “Als Anerkennung ihrer Arbeit über die Immunität” wurden Ilja Iljitsch Metschnikow und Paul Ehrlich 1908 gemeinsam mit dem Nobelpreis geehrt.
Es war eine Zeit intensiven wissenschaftlichen Austauschs zwischen Deutschland und Russland mit Spitzenleistungen auf beiden Seiten. Den Wissenschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern im “langen” 19. Jahrhundert auf den Gebieten Chemie, Pharmazie und Medizin widmet sich seit Mai 2007 ein Forschungsprojekt der sächsischen Akademie.

Dieser Austausch wird von Experten aus beiden Ländern analysiert und dokumentiert. In der eigens aufgelegten Schriftenreihe “Relationes” erschien gerade der zwölfte Band: ein Bibliographisches Lexikon der Biochemiker zwischen Deutschland und Russland im 19. Jahrhundert, herausgegeben von der Germanistin Marta Fischer. Parallel entsteht unter http://drw.saw-leipzig.de/personendatenbank.html eine Personendatenbank.

Die Wechselseitigkeit des Wissenschaftsaustauschs betonte Projektleiterin Professor Ortrun Riha, Professorin für Geschichte der Medizin und Direktorin des Karl-Sudhoff-Instituts für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften an der Universität Leipzig, während des Kolloquiums. Als “Aushänger” aus russischer Seite bezeichnete sie den Mediziner und Verhaltensforscher Iwan Petrowitsch Pawlow (1849 – 1936). Zu dem Nobelpreisträger von 1904 seien Studenten aus Deutschland geströmt, “um beim Meister zu hören”, so Riha.

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Die große Mehrzahl der in Russland tätigen Wissenschaftler seien Bürger des russischen Kaiserreichs gewesen, und zwar unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem Geburtsort, argumentierte Professor Ortrun Riha. Dabei kam dem Baltikum als Kontaktraum eine große Rolle zu. Hier sei das Bürgertum als Bildungsträger in besonderer Zahl vorhanden gewesen.

Namentlich erwähnte sie den Zoologen und Embryologen Karl Ernst von Baer (1792 – 1896). Der Entdecker der menschlichen Eizelle wirkte ab 1834 an der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg und an der dortigen Universität als Professor.

An die besondere Mittlerfunktion der Universität Dorpat, heute Tartu, erinnerte Riha darüber hinaus. Bis in die 1880er Jahre sei die Unterrichtssprache in Dorpat Deutsch gewesen, so dass die Universität für viele deutsche Wissenschaftler ein gutes Sprungbrett für eine spätere wissenschaftliche Karriere in Deutschland gewesen sei.

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