In Plagwitz wirbt ein Gastwirt wortgewandt um neue Kundschaft, in Stötteritz fusioniert der zukünftige dreimalige Fußballmeister und in Wolks wird gemeckert. Wann kommt endlich die Straßenbahnanbindung? Mächtig was los Mitte Juli 1914 in Leipzig.

Bewegung in der Leipziger-Fußballwelt, die anno 1914 anders zerstritten ist als einhundert Jahre später. Lange ist Fußball nur eine Sportart der Bürgerlichen. Doch nach 1907 werden auch vermehrt Fußballabteilungen im Arbeitersport gegründet. Zwei Leipziger Abteilungen fusionieren im Juli 1914. Die LVZ meldet: “Die beiden Fußballabteilungen Hertha und Saxonia haben sich vereinigt und spielen in Zukunft unter dem Namen: Fußballabteilung des Turnerbunds Stötteritz. Der Verein verfügt dadurch über 8 Jugend- und 2 Alte-Herren-Mannschaften. Zuschriften sind zu richten an Walter Rühl, Stötteritz, Lange Reihe 40, II.” Die Fusion beschreibt die Wiege des Stötteritzer Fußballs. Der FC Saxonia wird nach der Fusion mit Hertha in Weimars Zeiten dreimal in Folge Bundesmeister im Arbeiterfußballsport. Das heute noch existente Südoststadion sieht vier Länderspiele des Arbeiterfußballs mit bis zu 25.000 Zuschauern. Heute heißt der Club SSV Stötteritz. Dass die Adresse des Vorsitzenden der Fußballabteilung wie damals mal in der Zeitung stehen wird, scheint heute undenkbar. Leiter der Fußballabteilung ist aktuell ein gewisser Steffen Kubald.

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Betreiberwechsel im Restaurant und Konzerthaus Kaufhalle Plagwitz, Ecke Ziegel- und Weißenfelser Straße. Und das liest sich so: “Einer geehrten Einwohnerschaft von L.-Plagwitz und Umgegend, werten Nachbarn, Freunden und Bekannten zur gefl. Kenntnis, dass wir obiges Restaurant übernommen haben. Unser ganzes Bestreben wird es sein, alle uns beehrenden Gäste aufs beste zu bewirten und in jeder Hinsicht zufriedenzustellen. Gleichzeitig empfehlen wir unsern vorzüglichen Mittagstisch. Zum Ausschank kommen die beliebten Biere von Nickau & Co. sowie echt Kulmbacher Rizzibräu. Um Gütige Unterstützung bittend, zeichnen Hochachtungsvoll Otto Mehnert u. Frau.”

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Postmodern geglaubte Ruhestörung in der Blücherstraße, wo sich kürzlich beim Hotel du Nord ein Motorradclub eingemietet hat. Die LVZ schreibt hierzu: “… und so prasseln dann so manche Nacht oder so manchen Morgen die Motoren der Räder, fünf, zehn Minuten, eine Viertelstunde lang, begleitet von lauten Unterhalten und Lachen der Fahrer und ihrer Bekannten, die eben vom Stammtisch aufgestanden.” Besonders pikant ist dabei, dass es offenbar keinen Schutzmann stört. “Noch nie ist aber beobachtet worden, dass gegen diesen wirklich groben Unfug ein Schutzmann eingeschritten wäre. Bei Streiks ist die Polizei außerordentlich wachsam und schnell zur Hand; da stört schon auf menschenleerer Straße ein einsamer Streik”. Die Welt ist ungerecht.
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Leipzig wächst weiter. Ausdruck dessen sind die Erweiterungen von Omnibus- und Tramlinien. Am 12. Juli wird die Streckenverlängerung der Kraftomnibuslinie 1 von Connewitz zum Hauptbahnhof und von dort neuerdings nach Gohlis-Nord gefeiert. Wer aufspringen will: “Die Wagen verkehren von 6 Uhr bis nachts 1 Uhr in Abständen von 5 bis 6 Minuten.” Aber Achtung: Noch in unserem Jahr 1914 wird der Kraftomnibusverkehr wieder eingestellt. Er hat erst 1913 begonnen, doch eine echte Konkurrenz zu den beiden damaligen Leipziger Straßenbahnbetrieben Große Leipziger Straßenbahn (GLSt) und Leipziger Elektrische Straßenbahn (LESt.) sind sie nicht. Eine Fahrt mit einer der insgesamt 25 Straßenbahnlinien ist preiswerter. Die Renaissance des Omnibusverkehrs beginnt 1925 unter dem Dach der GLSt.

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Auch in Liebertwolkwitz verschleppt sich der Anschluss an Leipzig, wenn zunächst auch nur der Verkehrsanschluss. Schon lange sollte mit dem Straßenbahnbau bis nach “Wolks” begonnen worden sein, aber es gibt Verzögerungen, die laut Bericht im Liebertwolkwitzer Gemeinderat an der Stadt Leipzig lägen, “der die Bedingungen der Außenbahngesellschaft nicht herausgibt, oder die Herausgabe unbegründet in die Länge zieht. Man beschloß, eine Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zu richten und darin hervorzuheben, dass die Interessen der Gemeinde durch das Verhalten der Stadt Leipzig wesentlich gefährdet werden, wenn nicht in Bälde der Bau beginnt. Am 1. September werden die in Bau befindlichen Fabriken fertig und zu gleicher Zeit in Betrieb genommen. Schon deshalb ist es notwendig, dass mehr Verkehrgelegenheit geschaffen wird.” In diesem Fall ist allerdings Geduld gefragt: Einen Straßenbahnanschluss wird Liebertwolkwitz nicht vor 1925 erhalten.

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Die Bezirksschulinspektion informiert am 9. Juli: Die Kinder in konfessionell gemischten Ehen, deren Eltern die sächsische Staatsbürgerschaft inne haben, sind in der Religion des Vaters zu erziehen. Falls das Kind in einer anderen Religion erzogen werden soll, muß dies vor Ablauf des sechstens Lebensjahres des Kindes “durch einen besonderen, zwischen den Eltern vor dem Amtsgericht abgeschlossenen Vertrag festgelegt werden.”

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Tödliche Gefahr anno 1914. Die Polizei sucht ein einspänniges Kutschgeschirr, das am 2. Juli 1914 an der Ecke Dresdner Straße und Johannisplatz ein zwölfjähriges Mädchen umgefahren hat. Das Mädchen ist seinen Verletzungen wenig später erlegen. “Das Geschirr war bespannt mit einem Apfel- oder Blauschimmel mit langem Schweif. Der Wagen war ein braungestrichener Hinterlader. Der Geschirrführer war ein Mann im Alter von 30 Jahren, von kräftiger Statur, mit Schnurrbart.” Ob die Suche erfolgreich war, ist nicht bekannt.

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Die seit Mai auf dem Gelände der heutigen Alten Messe stattfindende “Welt-Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik Leipzig 1914” wirbt ausdauernd um Besucher. Jeden Tag soll ein anderes Programm Besucher anlocken. Sonder-Ausstellungen wie “Halle der Kultur”, “Graphische Kunstausstellung”, “Die Frau im Buchgewerbe”, “Deutschtum im Auslande” gehören zum dauerhaften Angebot der Veranstaltung, die nach Beginn des 1. Weltkriegs einen totalen Besucher-Einbruch erlebt und am Ende mit 500.000 Mark minus endet – und dieses Minus trägt die Stadt.

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Am Abend des 12. Juli soll sich auf dem Nonnenweg eine Rangelei zwischen einem Ausländer und einem Mann zugetragen haben. Der Mann wollte den Ausländer bestehlen und sei mit 150 Mark davongelaufen, berichtete die LVZ am Folgetag. Fast eine Woche später stellte sich heraus: Die komplette Geschichte war von dem ausländischen Kaufmann erlogen worden. Der 20-Jährige hatte nach einem Weg gesucht, seinen Vater zu überzeugen, ihm Geld zu schicken. “Um den Unfall als glaubhaft hinzustellen, hat er sich an einem Baume die beiden Handrücken aufgerieben und die Hosentasche aufgerissen. Wegen der falschen Anzeigeerstattung ist der Handlungsvolontär in eine Geldstrafe genommen worden.” Wie groß kann Verzweiflung sein?

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