Nürnberg und Bach? - Das passt eigentlich nicht zusammen. Nürnberg ist keine Stadt, die mit Johann Sebastian Bach und seinem Wirken bisher irgendwie in Beziehung stand. Außer für Fachfrauen wie Dr. Christine Blanken. Über den Namen Leonhard Scholz stolperte sie schon in ihrer Forschungszeit in Göttingen, noch bevor die Sammlung Scholz 2006 ins Bacharchiv Leipzig kam. Scholz war eigentlich im Hauptberuf Spezereihändler in Nürnberg.

Ein Spezereihändler? Was hat der mit Bach zu tun? – Der Nürnberger Bürger Leonhard Scholz (1720?1798) fasziniert durch seine kuriose Biographie ebenso wie durch seine akribische Leidenschaft für das Sammeln. Der Spezereinenhändler und Organist hinterließ die größte private Tastenmusik-Sammlung des 18. Jahrhunderts. Heute wird diese im Bach-Archiv Leipzig verwahrt, denn Scholz kopierte mehr als 250 Werke Johann Sebastian Bachs, die er zum größten Teil auch selbst bearbeitete.

Bearbeitet heißt in diesem Fall wirklich: umschrieb. Denn Scholz verdiente zwar seinen Lebensunterhalt als Händler von Spezereien (Gewürzen, aber auch Papier und Käse), war aber ein richtiger Verehrer der Musik von Johann Sebastian Bach. In seinem Haus in der Schustergasse in Nürnberg – nahe bei der Kirche St. Sebald – hatte er auch eine für seine Zeit ungewöhnliche Sammlung von Musikinstrumenten, diverse Tasteninstrumente eingeschlossen.

Aber Bach-Werke spielte er wohl auch als Organist, als der er spätestens an 1738 nachweislich tätig war – zuerst in der Kirche St. Egidien, später in St. Lorenz und St. Sebald. Und während St. Egidien – so Christine Blanken – wohl die beste Orgel der Stadt zur Verfügung hatte, war die Orgel in St. Lorenz “eine echte Krücke” und nur noch in Teilen wirklich spielbar. Um trotzdem Bach darauf spielen zu können, musste Scholz die Partituren komplett umschreiben.

So das heute von ihm recht originalgetreue Abschriften Bachscher Tastenkompositionen vorliegen als auch solche “verfälschten” Abschriften, die aber einen tiefen Einblick in eine Musikpraxis erlauben, in der die Originalwerke der Komponisten oft erst dem verfügbaren Instrumentarium kreativ angepasst werden mussten.
So stand ihm in St. Egidien noch das beste Instrument zur Verfügung, eine 1709 erbaute, gleichschwebend gestimmte zweimanualige Orgel von Stadtorgelmacher Adam Ernst Reichardt. Die weiteren Nürnberger Orgeln waren teils noch aus der Renaissance stammende Instrumente, die ihre besten Tage bereits viele Jahrzehnte hinter sich hatten, und vom Tastenumfang der Manuale und des Pedals nie für die auch in dieser Hinsicht anspruchsvolle Orgelmusik eines Bachs konzipiert waren. Scholz wusste sich zu helfen und arrangierte sich seinen Bach so wie er ihn an den schlechten Instrumenten gerade noch spielen konnte. Viele seiner Manuskripte zeigen starke Eingriffe in den Notentext, die sich nur dadurch erklären lassen, dass Scholz hier bestimmte Handicaps seiner Instrumente gezielt umging. Somit kann man mit Fug und Recht von einem Bach “Nürnberger Art” sprechen.

Im Rahmen der Kabinettausstellung Bach “Nürnberger Art”. Die einzigartige Bach-Sammlung des Organisten Leonhard Scholz”, die vom 19. September 2013 bis zum 9. Februar 2014 im Kabinett des Bach-Museums gezeigt wird, werden die Zimelien dieser Sammlung nun erstmals öffentlich präsentiert. Exponate zu biographischen Aspekten lassen ergänzend zu den Dokumenten der Kollektion ein lebendiges Bild des außergewöhnlichen Menschen Leonhard Scholz entstehen.

Wer war Leonhard Scholz?

Die neue Kabinettausstellung im Bach-Museum Leipzig gibt Einblicke in die Lebenswelt eines außergewöhnlichen Nürnberger Bürgers. Scholz gehörte zu den Gassenhauptleuten des Weinmarktviertels und war überdies ein Genannter des Größeren Rates sowie einer der zwölf Vorgeher der Spezereihändler. Als solcher wurde er in einem zeitgenössischen Porträtbuch der Spezereihändler durch ein Ölgemälde verewigt. Doch das überdimensionierte Notenblatt in seiner Hand verweist auf eine Passion fern der Gewürze: Leonhard Scholz war Organist sowie Sammler und Bearbeiter zahlreicher Bach?scher Orgelkompositionen.

Die berufliche Doppelkarriere als Gewürzhändler und Organist mutet auf den ersten Blick eigentümlich an. Vergleicht man jedoch Leonhard Scholz? Vita mit der anderer Nürnberger Organisten der Hauptkirchen, so zeigt sich bei den meisten, dass auch sie einem weiteren Beruf nachgingen. Erstaunlich ist jedoch die Tatsache, dass der vielbeschäftigte Leonhard Scholz im Laufe seines Lebens 250 Werke Johann Sebastian Bachs, 70 Werke Carl Philipp Emanuel Bachs und daneben weitere Musikalien anderer Komponisten in seinen Besitz brachte. Es handelt sich dabei um die größte Sammlung von Tastenmusik Johann Sebastian Bachs, die von einer einzelnen Person im 18. Jahrhundert zusammengetragen wurde. Auch ihre süddeutsche Provenienz ist etwas besonderes, da aus dieser Region kaum Bachquellen überliefert sind.
Die Sammlung ist Zeugnis einer tiefen Verehrung für das Werk Bachs. Leonhard Scholz hatte – nach Bachs Tod – offenbar zu Bachschen Originalquellen Zugang und konnte sich das ein oder andere daraus kopieren. Die Kompositionen dienten Scholz als Quell, aus dem er im Rahmen seiner Organistentätigkeit schöpfen konnte. Doch damit allein lässt sich der außergewöhnliche Umfang der Kollektion nicht erklären, zumal sich die Sammelleidenschaft auch auf weitere Bereiche ausdehnte, auf Musikinstrumente und mechanische Apparaturen. Kuriositäten wie ein “Vogel-Wasserwerk” und ein “Nürnberger Geigenwerk” (Streichklavier) fanden sich in seinem Nachlass.

In den Fokus rückt, bei der genauen Betrachtung der Biografie, schnell auch das private Schicksal des Leonhard Scholz. Ratsakten berichten, dass sowohl die Ehefrau als auch zwei Töchter des angesehenen Bürgers Scholz wegen Unzuchts in Gefängnistürme eingesperrt wurden. Die Arretierung seiner Frau und mindestens einer Tochter veranlasste Scholz selbst. Die Probleme bzw. auch die Gerichtsverfahren bis hin zur Scheidung und Ausbürgerung der Gattin zogen sich über Jahre hin. Vielleicht war gerade dieses häusliche Unglück einer der Gründe für seine unbändige Sammelleidenschaft…

Die Sammlung Scholz wurde erst 1968 bekannt, als das Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen einen Großteil des Bestandes erwarb, der sich bis dahin in Privatbesitz befunden hatte. Hier wurde sie – nach Auswertung der Quellen für die Neue Bach-Ausgabe – 2003 digital katalogisiert sowie umfassend untersucht. Nach Auflösung des Instituts im Jahr 2006 ging die Sammlung in den Besitz des Bach-Archivs Leipzig über, das 2003 bereits weitere Scholz-Quellen aus demselben Privatbesitz erworben hatte.

Ab Donnerstag, 19. September, wird die Sammlung Scholz im Bach-Museum Leipzig nun erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. In Ergänzung der ausgewählten Dokumente lassen Exponate zu biographischen Aspekten wie eine Kopie eines seltenen Nürnberger Geigenwerks oder Gestaltungselemente wie der Turm, in dem er sein untreues Weib auf seine Kosten einsperren ließ, ein lebendiges Bild des außergewöhnlichen Menschen Leonhard Scholz entstehen. Ein Modell eines Orgelspieltischs verdeutlicht, wie Scholz mit den Werken Bachs experimentierte und sie auf die Besonderheiten der Nürnberger Orgeln zuschnitt.

Die Kabinettausstellung Bach “Nürnberger Art. Die einzigartige Bach-Sammlung des Organisten Leonhard Scholz” wurde von Dr. Christine Blanken und Kerstin Wiese konzipiert und wird vom 19. September 2013 bis zum 9. Februar 2014 im Bach-Museum Leipzig gezeigt. Für die Gestaltung zeichnen Claudia Siegel und Jens Volz verantwortlich. Gefördert wird die Ausstellung vom Packard Humanities Institute (Los Altos, California) und der Vereinigung der Freunde des Bach-Archivs Leipzig e. V..

www.bachmuseumleipzig.de

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