Faszinierend. Irgendwie palavern alle und niemand weiß so richtig worüber überhaupt. Das Gerücht von der "Kreativpause" der Westbesuchorganisatoren ist jedenfalls schon länger in der Welt. Volly Tanner traf Steffen Balmer, den Vorstandsoberhäuptling des Vereins zur Klärung offener Fragen. Damit mal Suppe auf die Teller kommt.

Hallo Steffen. Du bist der Vorstandscheffe vom Westbesuch e.V., dem Veranstalter von Westpaket/Westbesuch. Mittlerweile pfeifen viele Spatzen auf den Dächern die Nachricht, Ihr würdet in die Kreativpause gehen – und den Leipziger Westen ein halbes Jahr ohne Westpaket/Westbesuch belassen. Was ist denn da dran?

Das ist richtig. So ist der nächste Westbesuch für den 22. Juni 2013 geplant – mit, wie wir hoffen, einem neuen Konzept, frischen Ideen für Realisierung eines Kultur- und Straßenfestes im Leipziger Westen. 2005 hatten sich 12 Vertreter kultureller Institutionen und Akteure auf der Karl-Heine-Straße in der Schaubühne Lindenfels zusammengesetzt und die Idee des Westbesuch mit dem Ziel entwickelt, einen lebendigen, kreativen und anziehenden Stadtteil entstehen zu lassen, in dem kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen ineinander greifen.

Teile dieser Projektidee sind realisiert und heute für jeden spürbar geworden, allein die Gewichtung, die Selbstwahrnehmung des Westbesuch und Wahrnehmung der Anwohner und Besucher hat sich von einer kreativen, kulturellen Plattform über die Jahre immer mehr zu einem, wenn auch sehr schönen Trödelmarkt gewandelt. Dem wollen wir mit dieser “kreativen Pause” entgegenwirken.

Auf der anderen Seite spüren wir natürlich auch die Schattenseite solch einer rasanten Entwicklung, in dem die Aspekte der behutsamen Stadtteilentwicklung und die Identifikation mit dem eigenen Quartier zum Teil nicht die notwendige Aufmerksamkeit bekommen haben. Der Westbesuch wünscht sich für 2013, dass möglichst viele Akteure, Kreative, Engagierte und alternative Initiativen und Projekte im Leipziger Westen miteinander ins Gespräch kommen und darüber diskutieren, wie der Westbesuch wieder zu einer Plattform für alle werden kann. Ich denke, nach 7 Jahren ist das einfach wichtig und notwendig.

Und wie soll es dann weitergehen? Gibt es eine anvisierte Ausrichtung fürs zweite Halbjahr 2013? Was soll sich verändern?

Natürlich ist die Antwort auf diese Frage noch ein offener Prozess. Und ich möchte dem Ergebnis einer gemeinsamen Diskussion, was sich verändern soll und wie es weitergeht, nicht vorgreifen. Aber ich wünsche mir, dass der Westbesuch wieder zu seinem Selbstverständnis als aktive, kulturelle Plattform zurück oder wenn notwendig auch neu findet. Dass das Kultur- und Straßenfest wieder ein lebendiger Ort der Kommunikation und Begegnung aller, die im Umfeld des Stadtgebiets leben und wirken, wird und vor allem möchten wir allen Interessierten die Gelegenheit bieten, mit ihren Angeboten, Idee und Utopien eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.

Aus meiner Sicht wird es notwendig werden, den Focus während des Straßenfestes wieder auf mehr Aktionen, spontane Events, natürlich viel Musik und besonders auf die Beteiligung von sozial und kulturell Engagierten und Kreativen zu lenken und dem Markttreiben dabei die Dominanz, zumindest auf der Straße, zu entziehen. Das muss nicht bedeuten, dass es in Zukunft keinen Trödelmarkt mehr gibt. Dafür ist die Nachfrage von privaten und gewerblichen Händlern, von Designern und Handwerkern die Altes, Neues und Selbstgestaltetes anbieten möchten, aber auch von Besuchern, die diese Dinge erwerben möchten, viel zu groß. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass der Trödelmarkt auch eine wichtige soziale Komponente ist, sein schmales Einkommen etwas aufzubessern. Wir sind mit dem Westwerk als alternativem Ort im Gespräch, und die Zukunft wird zeigen, wie sich diese Idee entwickelt.
Über das Westwerk hinaus, sind wir im Moment bemüht mit verschiedenen Akteuren, Vereinen, Kooperativen und Einzelpersonen, die im Leipziger Westen verortet sind, ins Gespräch zu kommen. Einige für uns wichtige Akteure haben eine Beteiligung schon zugesagt, so z.B. René Reinhardt, Peggy Diebler, Jan Apitz, Nadine Weise, Thilo Egenberger, Peter Sterzing und …. Das heißt konkret: Netzwerk-Arbeit.

Dabei versuchen wir die praktischen Voraussetzungen für eine Diskussion zu schaffen, und das beginnt schon mal bei einem Raum, der groß genug ist um allen Interessierten Platz zu bieten. Darüber hinaus müssen wir uns natürlich informieren welche Initiativen und Arbeitsprojekte sich in den letzten Jahren im Umfeld der KH-Straße gebildet haben und an einer gemeinsamen Diskussion interessiert sind, trotz unterschiedlicher Standpunkte, Mittel und Wege. Da haben wir ein echtes Defizit, aber wir arbeiten daran und Berührungsängste haben wir glaube ich nicht.

Im Januar steht erstmal unsere zweijährige Westbesuch-Mitgliederversammlung ins Haus und ich hoffe, schon da werden sich wichtige Kontakte und Positionen bilden.

Wie viele Leute stemmen eigentlich den ganzen Berg Arbeit – und kannst Du mal bitte zusammenfügen, was alles im Vor- & Nachfeld des Westpaket/Westbesuch so an Arbeit anfällt?

In den letzten zwei Jahren hat sich ein kleines, aber engagiertes Team gebildet, ohne dessen ehrenamtliche Tätigkeit die Vorbereitung und die Realisierung der Westpakete und des Westbesuchs nicht zu stemmen wäre. Das Westbesuch-Team setzt sich im besonderen aus Studenten, Künstlern, Hartz-IV-Empfängern und Anwohnern zusammen, insgesamt ungefähr 10 Personen. Und weil es zuweilen missverständliche Vorstellungen über die Motivation des Westbesuch und dessen Team gibt, möchte ich hier wirklich betonen, das wir kein kommerzielles Unternehmen sind, keiner erhält einen finanziellen Lohn für seine Arbeit und NUR durch kleine Spenden, die minimalen Standgebühren und die großzügige ideelle Unterstützung von Förderern und Gewerbetreibenden, wie dem Westwerk (Peter Sterzing), dem Underground Music Service (Michael Quade), allen Mitarbeitern des Stadtteiladens (QM) und vielen mehr, kann der Westbesuch als Verein seine laufenden Kosten, Mieten und Gebühren decken oder kostenlos Technik und Infrastruktur nutzen.

Die konkrete Arbeit an einem Kultur- und Straßenfest beginnt etwa zwei Monate vor einem nächsten Termin. Das beginnt im Vorfeld mit den notwendigen Genehmigungen beim Ordnungsamt und Marktamt, mit Gesprächen über die Teilnahme der Musiker, Bands und anderen Kreativen, die Ausschreibung, Auslosung und Organisation der Trödelplätze und nicht zuletzt müssen Plakate, Flyer und die Webseite gestaltet und aktualisiert werden. Es werden unzählige Mails geschrieben und Telefonate geführt und natürlich gibt es immer Fragen und Probleme die gelöst werden müssen.

Darüber hinaus muss der Westbesuch auch immer sich selbst organisieren, Treffen einberufen und Arbeits-Protokolle verteilen und seinen Info-Stand planen. Im Nachfeld haben wir zumeist mit dem Müll auf der Straße und den Fußwegen zu kämpfen, obwohl die Händler und Besucher im Dezember vorbildlich waren. So richtig entspannt sind wir dann erst, wenn alles vorbei ist, wenn wir abends auf eine Party im Leipziger Westen gehen können. Insofern sind wir natürlich für jeden Mit-Gestalter und jede helfende Hand dankbar.

Und Du selber? Du bist ja nicht nur Westbesucher, sondern auch ein Kulturschaffender in eigener Mission. Was machst Du neben dem Westbesuch, um den Kühlschrank zu füllen?

Ich habe vor 15 Jahren ein Studium an der HGB als Medienkünstler und 2010 eine Ausbildung zum Programmierer und Softwareentwickler abgeschlossen. Zuweilen kann man sich Ausstellungen meiner Arbeiten ansehen oder Vorträge und Lehrveranstaltungen im Medien-Informatik-Bereich anhören. Eine zeitlang hat die Arbeit als Informatiker und Kreativer meinen Kühlschrank ganz gut gefüllt, aber es gibt auch Durststrecken, die ich aber immer als positiv und erholsam empfinde, und als Zeit für neue Ideen nutze.

Wie und wer kann sich eigentlich in den Veränderungsprozess mit einbringen?

Wie schon gesagt, jeder ist eingeladen sich an der Diskussion, an diesem Prozess zu beteiligen, diesen mit-zu-gestalten. Ein gemeinsames Konzept für das nächste Kultur- und Straßenfest kann und möchte der Westbesuch nicht alleine leisten. Wir meinen, das kann nur mit konstruktiven Ideen, eigenverantwortlichen und konkreten Projekten sowie kritischen Botschaften aller Akteure, Vereine, Kooperativen und Einzelpersonen des Leipziger Westens gelingen. In diesem Sinne werden wir in den nächsten Wochen auf interessierte Akteure zugehen, persönliche Gespräche führen und Einladungen zum mitgestalten verschicken und auch ein Forum auf unserer Webseite einrichten (www.westbesuch.com). Darüber hinaus sind wir über jeden Kontakt und jede konkrete Anregung per Mail erfreut: info@westbesuch.com.

Danke, Steffen.

Volly, ich danke Dir.

www.westbesuch.com

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