Noch am 4. April musste die Oper Leipzig mitteilen: "Die Oper Leipzig gibt bekannt, dass sie und Tobias Kratzer, Regisseur der Produktion 'Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny' von Kurt Weill, ihre Zusammenarbeit aus künstlerischen Gründen in beiderseitigem Einvernehmen beendet haben.". Aber fest stand auch: "Der Termin der Premiere zur Produktion 'Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny' am 28. April 2012 bleibt davon unberührt."

Für die kurzfristige Übernahme der Produktion konnte die Regisseurin Kerstin Polenske verpflichten, die im Sommer vergangenen Jahres bereits mit Kurt Weills “One Touch of Venus” am Leipziger Opernhaus reüssierte.

So kann der Brecht/Weill-Klassiker wieder dahin zurückkehren, wo er einst seinen weltweiten Erfolg begann. Denn die Oper wurde 1930 in Leipzig am damaligen Neuen Theater uraufgeführt. Und zwar mit heftiger Begleitmusik. Um einmal den damaligen LVZ-Feuilletonisten Heinrich Wiegand zu zitieren aus seinem Beitrag “Sturm auf Mahagonny” (12. März 1930): “Das Spiel der Abwürgung, das wir von ‘Baal’, vom ‘Fröhlichen Weinberg’ und von ‘Im Namen des Volkes’ her kennen, wiederholt sich bei ‘Mahagonny’. Nachdem die Presse vom Peterssteinweg in einer beispiellosen unsachlichen und verständnislosen Weise das Stück und den Generalmusikdirektor Brecher der kommunistischen Propaganda bezichtigt hat, soll heute in der Stadtverordnetensitzung ein Antrag auf sofortige Absetzung behandelt werden.”

Mit der “Presse vom Peterssteinweg” waren die stockkonservativen “Leipziger Neuesten Nachrichten” gemeint, nicht Wiegands LVZ. Die hatte ihnen Sitz noch bei der SPD in der Tauchaer Straße.
Wiegand selbst hatte die Brecht/Weill-Oper zuvor kritisiert. Er hielt Brecht schlicht nicht für einen Opernlibrettisten und Weills Musik für einen vergeblichen Versuch, die Sache zu retten. Bei späteren Aufführungen der Oper änderte er freilich auch diese Sichtweise, sah dann sogar in der Kürzung der Oper, die nach der Stadtratsverhandlung gespielt wurde, eine Schwächung des Stücks.

Dass die Kampagnen, die die LNN seinerzeit führten, nahtlos in die Kulturrandale der aufkommenden Nazis mündeten, ahnte er wohl – und wusste doch kein Rezept gegen diese mediale Stimmungsmache.
“Von ihrer Aktualität hat sie bis heute nichts verloren”, schreibt das Opernhaus zur Neuinszenierung. “Freuen Sie sich auf ein augenzwinkernde Spiel um Geld und Macht.”

Oder um noch einmal Wiegand zu zitieren – und diese Worte sind noch viel deutlicher als die Einladung der Oper: “Wir haben gestern ausgeführt, daß das Stück mit Kommunismus nichts zu tun hat, überhaupt nichts mit einer politischen Partei. Es enthüllt nur den Egoismus der menschlichen Beziehungen und die Verlassenheit der Geldlosen. Das können die nicht vertragen, denen der falsche Schein dieser Bürgerwelt um ihrer satten Bequemlichkeit willen über alles geht.”

Das sind Worte, die glänzen auch noch nach 82 Jahren. “Mahagonny” ist ein schönes Wort für einen großen falschen Traum.

“Mahagonny” heißt die paradiesische Stadt, welche die Witwe Begbick mit ihren Kumpanen mitten im Nirgendwo errichtet. Hierher sollen Menschen kommen und ihr Geld ausgeben, um das zu finden, was sie Glück nennen. Jim Mahoney ist einer von ihnen. Vermutlich würde das Unternehmen der Begbick sofort scheitern, wenn Jim nicht ein neues Gesetz der “menschlichen Glückseligkeit” finden würde: Dem Menschen sollen keine Grenzen gesetzt werden. Jim aber hat das wichtigste Gesetz übersehen: Man darf nun zwar alles, muss es aber bezahlen können. Das kann Jim nicht…

Als politische Parabel und opernästhetischer Diskurs nach der Weltwirtschaftskrise entstanden, ist “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” noch immer eine genaue Studie der Funktionsmechanismen menschlicher Zivilisation und eine entlarvende Bestandsaufnahme des Zustands menschlicher Beziehungen unter der Herrschaft des Marktes. Doch das Werk ist noch viel mehr: eine der erfolgreichsten Opern des 20. Jahrhunderts und ein unterhaltsamer Theaterabend von verblüffender Kraft und Aktualität und grandioser Musik.

Für die musikalische Leitung bei diesem traditionsbehafteten Werk zeichnet der Intendant und Generalmusikdirektor der Oper Leipzig, Prof. Ulf Schirmer, verantwortlich. Kerstin Polenske, die in Leipzig schon das Gershwin-Musical “Crazy for you” an der MuKo und das Kurt-Weill-Musical “One touch of Venus” auf die Bühne brachte, hat die Inszenierung übernommen.

Die Premiere für die Oper “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” ist am 28. April, 19 Uhr im Opernhaus.

www.oper-leipzig.de

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