Plötzlich sind sich alle Einwohner der Stadt Mahagonny einig und fiebern dem herannahenden Hurrikan entgegen. Doch der Wirbelsturm macht einen Bogen um die Stadt Mahagonny! Fortan beginnen alle Freuden neu und ein jeder lebt danach: "Du darfst!" bringt gute Laune und Stimmung für alle und jeden. So lange er seine Rechnungen bezahlen kann. Tierische Instinkte treiben die Menschen um, die sich gerade noch höflich und mit Sie anredeten.

Idyllisch-mystisch ist auch die Vorgeschichte. Ein Auto versagt in der Wüste und drei Menschen, wegen Gaunereien steckbrieflich gesucht, gründen als ideales Versteck eine Stadt namens Mahagonny. Eine sogenannte Netzestadt. Als der junge Dichter Bertolt Brecht und der Komponist Kurt Weill an die Arbeit zu ihrem Songspiel vom “Kleinen Mahagonny” gingen und dann die Oper schrieben, war an ein Internet nicht zu denken (Obwohl Bertolt Brecht in der “Radiotheorie” schon vom mitwirkenden und eingreifenden Hörer träumte).
Intendant/Generalmusikdirektor Ulf Schirmer hatte das Stück angesetzt. Vielleicht weil man bemerkt hat, dass der 80. Geburtstag nach der Uraufführung in Leipzigs Neuem Theater an Ort und Stelle des heutigen Opernhauses vor zwei Jahren vergessen wurde. Oder weil er mit Tenor Stefan Vinke eben mal unbedingt diese Art Oper machen wollte. Oder weil der Chor beschäftigt werden musste.

Dann kam ein Abenteuer hinter den Kulissen hinzu, das einen Normal-Theatergänger vielleicht gar nicht interessiert: Dirigent/Intendant und Regisseur gingen “einvernehmlich”, aber doch, auseinander.

Kerstin Polenske sprang ein, in Berlin geboren, einst Leipziger Choreografie-Studentin, war Regisseurin auch schon in Leipzig. Jedenfalls ging der Lappen hoch für “Mahagonny”, wie das im Bühnenjargon so heißt.
Als Bühnenbildner fungierte nun der Technik-Chef Steffen Böttcher gemeinsam mit der Regisseurin. Reden wir lieber vom Bühnenraum. Schwarze Vorhänge zu den Seiten und nach hinten machen den Raum optisch kleiner, der geöffnete Rückprospekt offenbart eine Tribüne für Zaungäste. Mittendrin eine Gerüstbau-Brücke mit neun Stufen hinauf und neun hinunter, spärliche Zutaten wie Autositze, rot oder grün gestrichene Tische, Stühle und die Knastzelle kommen aus der Versenkung und entschwinden wieder. Ach, hätte man doch die Sache gleich an die Rampe verlagert, wo sich die Sänger sowieso am liebsten aufhalten.

Als exorbitanter Farbtupfer wäre noch ein roter Spazierstock zu erwähnen. Ein Mehrzweck-Utensil zum Bedeuten, Platz Schaffen, Abwimmeln, Kämpfen…. Wotans Speer vergleichbar!

Fein farblich bunt arrangiert sind die Roben der Solisten, kreiert von Ingo Krügler, einem studiertem Modedesigner. Hat man öfters heutzutage, dass Modeschöpfungen im Milieus vorgeführt werden, wo eigentlich der arbeitende Mensch, oder auch nicht arbeitende und dennoch tätige Mensch, erzählen sollte. Beim Chor scheint es, dass mutmaßlich nicht zusammen passendes kombiniert wurde. Warum auch nicht. Laut Brecht/Weill spielt das Stück in der “Gegenwart”.
Nicht Brechts deutsche Personennamen werden gerufen, sondern die “internationale Version”, so wird aus Paul Ackermann Jim Mahoney, aus Jakob Schmidt eben Jack O’Brien…

Karin Lovelius als Leokadia Begbick, Martin Petzold als Prokurist Fatty, der Dreieinigkeitsmoses von Jürgen Kurth, die Jenny von Soula Parassidis und Stefan Vinke als Jim Mahoney arbeiten sich akurat an den Gesangs- und Sprechpartien ab, dass sie das ausgiebig und schön, wie eben in der Oper üblich, tun, war Brecht/Weills Kalkül. Der Textverständlichkeit hilft nun leider keine Übertitelung nach. Zwar werden allerhand Lichtstimmungen aufgeboten, die nicht immer die Darsteller im Visier haben, und Stefan Vinke scheint einen Extra-Solisten-Spot zu kriegen.
Wenn die Tribüne hinten verdeckt ist, flimmern da Videobilder: das fast baumlose Bäumchen mag noch Sinn machen, wenn aber dann von Haifischen gesungen wird, muss man sie nicht noch schwimmen sehen hinter den brav angelrutenschwenkenden Petrijüngern.

Hat es die Regisseurin nicht hören wollen, oder sollte tatsächlich niemand aus dem Haus ihr gesagt haben, dass das Foto einer Plattenbaufassade überflüssig ist, weil derlei auf Leipzigs Opernbühne groß oder en miniature schon längst Standard ist.

Klar, sind es Erinnerungen von vorgestern, etwa an die Anfang der 1990er Jahre auch in Leipzig gezeigte Koproduktion der Opernhäuser von Frankfurt/Main und Tel Aviv mit opulenten Bildern glorreicher Zeiten, mit Luftschiff und Eisbär – und großer Abstürze.

Joachim Herz hatte das Stück an der Komischen Oper Berlin, und noch einmal an den Landesbühnen Sachsen einstudiert. In Berlin saß Willi Schwabe in der Loge und parlierte die Zwischentitel, in Chemnitz kamen via TV Karl-Eduard von Schnitzler mit den schlechten Nachrichten und Ulrich Wickert mit den guten Nachrichten zu Wort.

Brecht mochte Schrifttafeln, Ansagen von Zeit und Ort und Kommentare. Manchmal wurden die auch auf Vorhänge projiziert oder gesungen. So was kann Spannung erzeugen, Blickwinkel kurzzeitig ändern, ablenken, umstimmen und Umbauten überbrücken. In Leipzig nun läuft Bert Franzke im schwarzen Anzug über die schwarz ausgehängte Bühne, das dauert seine Zeit, und ruft in den Saal. Das dehnt gewaltig. Brecht hätte vermutlich die Übertitelung sowieso gut gefunden, für alle, die nicht so schnell dem Text nachhören können, wie er gesungen und gesprochen wird.
Leipzig hatte einst risikobewusste Theaterintendanten. Obwohl da sicher war, dass Theaterstücke eines jungen Mannes namens Bertolt Brecht Unmut und Krawall hervorrufen könnten! Man brachte sie heraus.

Im Neuen Theater am Augustusplatz gab es bei der Uraufführung von “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” einen Theaterskandal. Schon am Premierenabend musste die Polizei einschreiten und Leute festnehmen. Auf der Polizeiwache sollen dann Streit und Zoff weiter gegangen sein. Dr. Jürgen Schebera und Dr. Fritz Hennenberg haben Bücher darüber geschrieben, und ein Leipziger Zeitzeuge, Erich Einenkel, lange Zeit Chef der Anrechtsabteilung der Leipziger Theater, erzählte noch vor ein paar Jahren im Interview vom Tumult.

Im längst nicht ausverkauften Saal applaudierte das Publikum premierenfreundlich. Am Ende holt Dirigent Ulf Schirmer das Orchester samt Instrumenten auf die Bühne. Für die Regisseurin gibt’s ein paar Buh-Rufe, wie sich das bei Premieren gehört. Für’s Theater ist ja alles gut gegangen: Der Lappen ging hoch und wieder runter.

Insider könnte nun gerade die Diskrepanzen interessieren zwischen dem von Intendant und Dirigent Ulf Schirmer gewünschten, dem vom Regisseur beabsichtigten Stück – und dem Resultat. So wie kürzlich nahtlos eine “Hänsel und Gretel”-Inszenierung die andere abgelöst hat, könnte das ja nun vielleicht noch bei “Mahagonny” der Fall sein.
An Leipzigs Opernhaus stehen in den nächsten Wochen grundhafte Veränderungen und Erneuerungen an. Abwasserleitungen für Schmutz- und Regenwasser vom Haus bis zu einem Sammelschacht sollen bis zum August 2012 erneuert werden.

Meinungen: “Eine gute Schulaufführung.”, “Text schwer zu verstehen.”, “Der Aktienkurs der MSE Mahagonny Stock Exchange hat mir gefallen.” – “Heute nicht in Halle?” – “Man muss eine Entscheidung treffen. Manchmal ist es die falsche.”, “Arg zusammengemährt.”

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar