Bürger, hört auf eure Stadt! - Manchmal sollte man es wirklich tun. Es lohnt sich. Im Rahmen des diesjährigen Hörspielsommers gibt es nicht nur im Wagner-Hain etwas Staunenswertes zu hören, sondern auch andernorts: in Lößnig im Nibelungenring, von den meisten Leipzigern einfach Rundling genannt. Für die Gruppe "friendly fire" wird die Nibelungensiedlung einfach zum Imaginationsraum. Titel des performativen Audiowalks: "Nibelungen: Ring".

Ob im Werk Friedrich Hebbels, den Opern Richard Wagners, den Stummfilmen Fritz Langs, der Musik der Ex-Velvet Underground Sängerin Nico oder in den Stücken Heiner Müllers – die Nibelungen sind ein deutscher Nationalmythos: “Deutschland spielt immer noch die Nibelungen.” (Heiner Müller) Die “Nibelungen” und der”Ring” sind ein Faszinosum der deutschen Geschichte, insbesondere dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erscheinen sie als nationaler Gründungsmythos.

Der Nibelungenring (was hat sich Stadtbaurat Hubert Ritter da nur gedacht?) ist ein ganz konkreter Ort in Leipzig: 1929/1930 wurde hier im Stadtteil Lößnig unter der Leitung des Architekten und Stadtbaurats Hubert Ritter eine aus 24 Häusern bestehende Siedlung gebaut. In Form dreier konzentrischer Ringe angelegt, bilden die 624 Wohnungen der Siedlung ein “Fadenkreuz der Moderne” (Christian Geinitz) im Stil der “Neuen Sachlichkeit” rund um den zentralen “Siegfried”-Platz und den “Nibelungenring”.

Die heute auch als “Nibelungensiedlung” oder “Rundling” bezeichnete Anlage ist zugleich modernistische Wohnutopie wie auch eine panoptische Schauanordnung unter dem Vorzeichen eines deutschen Nationalmythos. In der Figur der Nibelungen vereinen sich somit auf engstem Raum Architektur-, Literatur-, Film- und Theatergeschichte sowie ein politischer Mythos des 19. und 20. Jahrhunderts.
“Nibelungen: Ring” greift in Form eines Audiowalks die Splitter und Bruchstücke deutscher Geschichte im Medium des Hörens auf und lädt die TeilnehmerInnen zu einer Wanderung durch ihre akustischen Echos ein. Denn schon von Wagner stammt der Wunsch nach einem Theater der Vorstellung: “[…] nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich auch das unsichtbare Theater erfinden!”

Dabei ist die Leipziger “Nibelungensiedlung” selbst Schauplatz wie Gegenstand der Aufführung: als ein dichter Erinnerungs- und Assoziationsraum, welcher sich mit dem Realraum der Anlage sowie den Entwürfen Wagners, Langs, Hebbels und anderem überlagert. In der begehbaren Performance zwischen Audioinstallation und Audiowalk begeben sich die BesucherInnen auf eine Expedition durch die unsichtbaren Imaginationsräume eines modernen Mythos und die Entwürfe eines anderen, modernen Lebens. Während die Architektur selbst als Projektionsfläche erscheint, wird der Nibelungen-Mythos zugleich als Medium der Ängste und Wünsche, der Phantasmen und des Begehrens der Moderne erfahrbar.

Die Hör-Spaziergang “Nibelungen: Ring” nutzt das Medium Internet sowie die Anlage der Leipziger Nibelungensiedlung als Assoziations- und Imaginationsraum. Die archivierten Erinnerungen, Fragmente und Bruchstücke bilden ein dichtes Datennetz über dem Lößniger Rundling. Schon von Wagner stammt der Wunsch nach einem Theater der Vorstellung: “[…] nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich auch das unsichtbare Theater erfinden!” – so notiert Cosima Wagner einen Ausbruch ihres Mannes. Dieses unsichtbare Theater ist nicht zuletzt eines der Vorstellungen: ein akustisches Archiv zwischen Imagination des Kollektiven und kollektiver Imagination. Erstere inszenieren einmal jährlich die Bayreuther Festspiele.
Mit den Aufführungen vom 17.bis zum 29. Juli beginnt die Gruppe “friendly fire” die Arbeit an den Archiven der kollektiven Imagination der Nibelungen. “Nibelungen: Ring” ist im doppelten Sinne ein Assoziationsraum. A) Die Aufführung reproduziert dokumentierte Assoziationen und Vorstellungen. B) Die Aufführung selbst ist eine Matrix zur Generierung von Assoziationen und Vorstellungen.

Zentral für das Modell ist hierbei, dass die generierten Assoziationen wieder zurück in das Archiv geleitet werden. Jede/r Hörer/in ist eingeladen ihre/seine Nibelungen-Assoziationen nach der Aufführung aufzunehmen und “friendly fire” zukommen zu lassen. Die hierzu nötige Technik stellt “friendly fire” bereit. Sukzessive werden so die Aufnahmen des Archivs überschrieben und durch neue überlagert. “Nibeliungen: Ring”, so betont die Gruppe, zielt auf Abänderung, Kritik und Dokumentation dieses Prozesses.

Die Mitte 2011 gegründete freie Theatergruppe “friendly fire” realisiert mit wechselnden Teams Arbeiten an den Schnittstellen von Text, Performance und Installation. Insbesondere Institutionen und Produktionsformen stehen im Zentrum ihres Interesses. “Nibelungen: Ring” ist nach Bildbeschreibung (2012) und Invisible Orange (2012) ihre dritte Inszenierung.

Freie Plätze der Aufführung von “Nibelungen: Ring” gibt es am Samstag, 21. Juli, um 19:30 Uhr, am Dienstag, 24. Juli, um 17 Uhr, oder ab Mittwoch bis Freitag jeweils 17 Uhr oder 19:30 Uhr.

Anmeldung unter: friendlyfire_info@yahoo.de

Mehr Informationen unter:
http://friendlyfire-friendlyfire.blogspot.com

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