Endet die Intendanz Sebastian Hartmanns in einem Skandal? Tierschützer wettern seit Wochen gegen das 3-Tage-Spiel, das Hermann Nitsch ab Freitag in der Bosestraße zelebrieren wird. Ihr Aufhänger: Der Aktionskünstler arbeitet mit tierischem Fleisch. Hermann Nitschs Aktionen werden seit über 50 Jahren kontrovers diskutiert. Das von ihm entwickelte Orgien-Mysterien-Theater möchte unter Einbeziehung aller Kunstformen die Sinne der Zuschauer etappenweise bis auf's Äußerste anspannen.

Am Höhepunkt soll den Besuchern die Erkenntnis des Lebensprozesses an sich ermöglicht werden: Die Wiederholung der Freud’schen “Totenmahlzeit”.

Nitschs Darbietungen bestehen aus einem exakt durchkomponierten Mischmasch aus Kunst und Ritual. Der 74-Jährige erzeugt, unter anderem mit Blut und Tierkadavern, Bilder, die den Betrachter abschrecken, ekeln, ja gar verängstigen sollen, um schließlich eine Katharsis zu bewirken. Vielfach hat Nitsch sein Orgien-Mysterien-Theater in Schriften niedergelegt. Die Partituren seiner Aktionen sind teils in Buchform erschienen.

Der Wiener ist ein international gefeierter Künstler, einer der größten seines Fachs. Nitsch in Leipzig erleben zu dürfen, ist für Freunde permormativen Theaters das, was ein Formel-1-Rennen auf dem Innenstadt-Ring für Motorsport-Enthusiasten wäre. Oder für Wagnerianer die Aufführung des Nibelungen-Rings der New Yorker “Metropolitan Opera” in der Messestadt.

Keine Frage: Hartmann gönnt sich, dem Haus und der Kulturstadt Leipzig zu seinem Abschied einen ästhetischen Sechser im Lotto. Allerdings macht er die Rechnung ohne die radikalen Tierschützer, die sich in sozialen Netzwerken unfreiwillig als Kunstbanausen outen. “Leipzig will dich hier nicht sehen”, schreibt “Divine Infekt”.
Thomas K. wird direkter: “Verrecke, du krankes und perverses Ding! Du hast die Bezeichnung ‘Mensch’ und auch die Bezeichnung ‘Tier’ nicht verdient!!!” Martina F. schlägt in dieselbe Kerbe: “Verhaftet gehört dieses kranke Individuum!! Von Mensch kann da keine Rede mehr sein! So ein perveser alter Drecksack!!!!”

Nitschs Facebook-Profil strotzt geradezu vor Beleidigungen. Nitsch gehöre ins Gefängnis, in die Psychiatrie, und manche seiner Gegner wünschen ihm gar den Tod. Viele Einträge sind hierzulande von strafrechtlicher Relevanz. Allein Nitschs Kunstverständnis schützt die Verfasser vor teuren Geldbußen.

Offenbar ist den Pöblern entgangen, dass der Aktionskünstler Tiere keineswegs quält, sondern seiner Umgebung mittels legal geschlachteten Fleisches auf der Bühne den Spiegel vorhält. Das ist keinesfalls verwerflich, sondern höchst begrüßenswert. Warum den Menschen nicht schemenhaft demonstrieren, wie das Steak auf ihren Teller kommt? Die Leipziger Debatte erinnert an ein kleinbürgerliches Possenspiel.

Die Grünen sprangen auf den Zug der Entrüstung auf und veranstalteten im Werk 2 am Mittwoch eine Podiumsdiskussion. Das Centraltheater argumentierte derweil sachlich: 1. Hermann Nitsch wird keine Tiere quälen oder gar töten. 2. Hermann Nitsch hat von den Behörden grünes Licht erhalten 3. Hermann Nitsch verwendet am Samstag Fleisch aus zertifizierter Tierhaltung. 4. Hermann Nitsch ist ein prägender Künstler des Wiener Aktionismus.

Alles spricht für, nichts gegen das Gastspiel. Dass Nitschs erklärte Feinde der Performance überwiegend nicht beiwohnen werden, um sich einer sachbezogenen Auseinandersetzung zu stellen, versteht sich von selbst.

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