Viele Diskussionen und Entrüstung hatte es in den letzten Wochen um die umstrittenen Orgien von Hermann Nitsch gegeben. Auch Morddrohungen gegen ihn waren dabei. Doch wer nach der vor allem im Netz stattfindenden Empörung massive Proteste vor Ort erwartet hatte, sah sich am ersten von drei Tagen enttäuscht. Nur fünf, sechs Menschen standen mit einem Plakat vor dem Eingang des Hauses. Drinnen wie draußen war der gestrige Abend im Angesicht der Kontroversen im Vorfeld eher banal.

Es ist schwer, die multiple Debatte um Nitsch auf ein Plakat zu bringen. Mit: “Auch Kunst hat ihre Grenzen – Wir geben den Tieren eine Stimme” versuchten es die fünf Protestierer am gestrigen Freitag dennoch und konnten so die Gesamtdebatte auch nur schwer zusammenfassen. Was am Freitag noch ruhig verlief, soll am heutigen Samstag, 22. Juni in lautstarken Protest münden. Eine Demonstration ist bereits angemeldet, über 500 Zusagen sammelten die Gegner Nitschs bislang im Netz.

Apropos Netz, hier scheint sich das eigentliche Schlachtfeld der Kontroverse zu finden. “Sowas armseeliges wie sie ist mir selten unter die Augen gekommen! Ich wünsche selten einem Menschen etwas schlechtes, allerdings Ihnen wünsche ich einen Tod wie sie es den Tieren antun!” So postet beispielsweise eine Frau bei Facebook, andere Kommentare haben ähnliche Richtungen.
Ob die eigentlich richtige und wichtige Debatte um die Nitsch-Aufführungen dadurch an Wert gewinnen oder verlieren, von Sachlichkeit ganz zu schweigen, liegt damit in der Perspektive der Beteiligten. Leider haben sich in den letzten Monaten die Fronten so stark verhärtet, dass nun der Höhepunkt am Samstag zu erwarten ist. Und leider, das ist vielleicht das Schlimmste, beschränkt sich alles auf Empörung über Nacktheiten und perverse Aktionen. Den Protestierenden auf der anderen Seite wird Kleinbürgerlichkeit vorgeworfen. Ähnlich populistisch – die Auseinandersetzung im Netz ist längst gekippt und findet wohl auch keine echte Tiefe mehr.

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Bei dem als Konzert inszenierten Teil 1 gab es dann stehende Ovationen, Hermann Nitsch saß direkt neben dem Orchester und man konnte ihm die Begeisterung ansehen. Die Musik, begleitet von einem durchgängigen hohen Ton war 90 Minuten lang chaotisch konzipiert. Wie das Leben der organisierten Zivilisation, die Ruhe und Klarheit verspricht, aber alle zu Wort kommen lässt. Mehr oder eher weniger. Ein Anfang, der noch nicht viele Schlüsse auf Kommendes am heutigen Abend zulässt. Dann erst wird sich wohl zeigen, wie viel Intensität und Leidenschaft, wie viel “Jetzt” der Aktionskünstler erschaffen kann.

Und ob der Protest der Gegner von Nitsch es überhaupt aus dem Netz heraus und wirkungsvoll auf die Bosestraße und ins Centraltheater schafft.

Teil 2, Samstag, 22. Juni 2013: Aktion, 17 Uhr, Festspielarena
Teil 3, Sonntag, 23. Juni 2013: Dionysisches Fest, ab 13 Uhr, Bosestraße/CT

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