Mit Ende der letzten Spielzeit schloss die "Skala" ihre Pforten. Für immer. Die Immobilie in der Gottschedstraße, die dem Schauspiel Leipzig gehört, soll demnächst den Besitzer wechseln. Weil der Stadtrat das Geld für die Errichtung einer Zweitspielstätte in den Räumen der ehemaligen Disko "Schauhaus" noch nicht bewilligt hat, findet das kleine, experimentelle Theater vorerst auf Hinter- und Probebühne statt. In der "Diskothek", so der Name der kleinen Bühne im Dachgeschoss, feierte am Donnerstag "Der Lärmkrieg" seine umjubelte Premiere.

Die Auftragsarbeit der Berliner Dramatikerin Kathrin Röggla umreißt den Kampf Frankfurter Bürger gegen den Ausbau ihres Flughafens. Mit journalistischer Obsession durchleuchtet ihr Text die Argumente von Befürwortern wie Gegnern, um schließlich den Konflikt als kleinbürgerlichen Milieukrieg zu konterkarieren.

Auf der einen Seite stehen die Anwohner gutbürgerlich geprägter Viertel. Die Aktivisten, in dem Fünf-Personen-Stück durch die Schauspielerin Dorothea Arnold repräsentiert, gehen wegen des Fluglärms auf die Barrikaden. Sie klagen, demonstrieren, intervenieren – ohne Erfolg. Ihr Gerechtigkeitssinn steht Kopf, ihr Demokratieverständnis gerät aus den Fugen. Auf der anderen Seite verkörpert Andreas Keller den Flughafenmenschen. Die Personifizierung des Konzerns “Fraport”, der das internationale Drehkreuz im europäischen Markt mittels Wachstum wettbewerbsfähig halten will.
Die Akteure werfen sich amüsante Wortschöpfungen an den Kopf, die ohne den Zwist wohl nie das Licht der Welt erblickt hätten: Alt- und Neubetroffene, Regionalverträglichkeit, Verhinderungsmentalität, Wirtschaftsfaschismus, Arbeitsplatzkannibalismus. “Sie sitzen auf der Insel der Glückseligen. In Deutschland geht es uns einfach zu gut”, resümiert der Flughafenvertreter nach gut einer Stunde hin und her. In Istanbul würde der Airport erweitert, ohne dass die Anwohner gefragt würden. “Wer nicht mitwächst, den gibt es bald nicht mehr.” Ohnehin sei der Lärm nur vorgeschoben, um mit Montagsdemos eine neue Protestkultur zu zelebrieren.

Hier liegt der Anknüpfungspunkt für das Leipziger Publikum. In der Messestadt trommeln seit Jahren Anwohner des Großflughafens für Nachtflugverbote. Bürgerinitiativen gründen sich in Sachsen aber auch gegen die Ansiedlung von Asylbewerbern. Vermutlich würden sich dieser Tage auch Menschen gegen den Bau des City-Tunnels engagieren, wäre er nicht schon vollendet.

Ob Stuttgart, Frankfurt, Gorleben oder Leipzig. “Der Lärmkrieg” erzählt von einer neuen, bisweilen radikalen Protestwelle, die seit einigen Jahren unser Land erfasst hat. Vom Wir-hier-unten gegen Die-da-oben. Dieter Boyer bezieht in seine Inszenierung die Zuschauer aktiv mit ein. Das Publikum sitzt in Dreierreihen in vier, mittels weißen Metallgerüsten stilisierten, in U-Form angeordneten Häuschen. Ein Fünftes dient als Bühne (Bühnenbild: Ralph Zeger).

Der Text schafft das Setting einer Konferenz, bei der beide Parteien vor versammelten Auditorium ihre Argumente austauschen. Wie einst in der griechischen Agora. Der Zuschauer darf sich nach eineinhalb Stunden harter Debatte, wenn alle Lichter ausgehen, in aller Stille sein Urteil bilden. Die Premierengäste waren begeistert. Schauspieler, Team und Autorin ernteten frenetischen Applaus.

www.schauspiel-leipzig.de

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