Krimi, Bluff und Geschäft mit Beginn der Partitur und der ersten Töne aus dem Orchestergraben in Aaron Stiehls Leipziger Inszenierung. Nach seiner Leipziger Wagner-Inszenierung geht es hier nun um einen ganz anderen "Liebestraum". Amerikanischer Mariner sucht Spaß und markiert den Weltmann. Wer Geld hat, findet Helfer und Gehilfen. Betrug und Heiratsschwindel, davor ein Saal voller stummer Zeugen. Alles Oper!

Zur Vorbereitung auf die Ehe war die junge Japanerin schon in einer Mission der „amerikanischen Religion“, so steht es in einer so was von freien www-Schwarm-Intelligenz-Enzyklopädie. Drei Jahre wartet sie auf ihren Helden. Der kommt auch, allerdings mit seiner neuen Frau und will den Sohn abholen.

In einer Gebrauchsanweisung formuliert die Oper Leipzig, dass „Puccini ein fatales Bild vom unangemessenen Umgang mit fremden Kulturen gezeichnet hat.“ Da steht auch: „Madama Butterfly“ gehört in den Kanon der Opernhäuser, schreibt die Oper Leipzigs werbend. Kurt Tucholsky bemerkte dereinst sachlich: „Das Publikum will mit dem überrascht werden, was es kennt.“

Vom Roman zum Drama zur Oper …

Literarische Stoffe bilden seltsame Netzwerke: Am Anfang war da der Roman „Madame Chrysantheme“ von Pierre Lotis, den schon André Messager als Opernsujet nutzte. Aus dem Roman machte John Luther Long einen Fortsetzungsroman für die Zeitschrift „Century Magazine“. Der Amerikaner David Belasco schuf ein Drama, dessen Aufführung Puccini in New York sah. So wurde aus der Chrysantheme dann Butterfly… Fern der Symboliken der Klassen und Arten aus Flora oder Fauna. In Leipzigs Oper wird mit deutschen Übertiteln am Bühnenportal italienisch gesungen von internationalem Ensemble.

Im Musiktheater der letzten Jahrzehnte bekam die Oper „Madama Butterfly“ Konkurrenz durch das Musical „Miss Saigon“, hervorgegangen aus der gleichen Literatur, Musik: Claude-Michel Schönberg. Aber die Handlung wird dann im amerikanischen Vietnamkrieg angesiedelt.

Bei allem Wandel in Opernhaus und Musikalischer Komödie würde diese Musical-Produktion mit andersartiger Musikproduktion Leipzigs Musiktheater gut in Repertoire und Tradition passen.

Heiratsschwindel bringt das Opernbühnenbild in Schieflage. Foto: Karsten Pietsch
Heiratsschwindel bringt das Opernbühnenbild in Schieflage. Foto: Karsten Pietsch

Warten auf Pinkerton

Internationales Ensemble: die 15-jährige Cio-Cio-San ist mit Karah Son besetzt, Susanne Gritschneder als Dienerin Suzuki, und Gaston Rivero als Pinkerton sind für sich und zusammen mit Dirigent Anthony Bramall in der erlebten Vorstellung stimmlich als Sänger und spielerisch als Darsteller auf der Höhe des Geschehens, das zu erspielen beim Warten auf eine der Hauptfiguren eine Herausforderung ist. Dazu Sharpless (Mathias Hausmann) und Goro (Keith Boldt), die in dem faulen Spiel die Fäden ziehen, teils als hemdsärmlig-kaugummikauender Schnösel, teils als fadenscheinige Vertrauensperson… In all der Warterei auf Pinkerton könnte Samuel Beckett eines Tages seinen „Godot“ gefunden haben…!

Nagasaki oder New York?

Asiatisches Flair zeigt das Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann, nach üblichen westeuropäischen Vorstellungen, mit mützenartigen Frisuren und Kimonos für die Damen, Flachdachhaus, seidenpapierbezogenen Schiebetüren. Wie passend dazu gibt es artige Verbeugungen liebreizender Menschen. Und man zieht die Schuhe aus, bevor man ins fremde Zimmer geht. Eine Truhe und das Bett genügen, und die Bühne ist leerer als ein japanischer Garten, sogar der Fernseher steht auf dem Fußboden. Guckt man aus dem Fenster, sieht man N.Y.-Manhattan mit Empire State Building. Aber wir wollten doch laut Puccini eigentlich in Nagasaki sein?!

Zu Beginn erblickt man nur – wie so oft auf Opernbühnen der letzten Jahre – einen chrom-glänzenden Straßenkreuzer. Dort gehen die für die falsche japanisch-amerikanische Hochzeit nötigen Geldscheine von Hand zu Hand, bevor das Spiel seinen Lauf nimmt und das Drama beginnt.

Bunt und geblümt

Sven Bindseils Kostümwelt verfällt nicht in Galaroben, asiatisch anmutende Gewänder für die Frauen, auch die Offiziersuniform bleibt eine solche und spielt nicht Operette. Matrosenhemd und Uniformmütze auch für den Jungen, weißes Hemd für den Teddybär, für die anderen Alltagskonfektion, quasi passend zum Baujahr des Fernsehgeräts. Geradezu verschwenderisch bunt sind die Stoffe für die Damen des Chores und ihre Einheits-Kimono-Schnitte, bunt und geblümt, als ob DDR-Dederon-Faltbeutel auflebten.

Für die Leipziger Inszenierung wird kaum die Hälfte der Bühnentiefe benötigt, vom weggedrehten Auto abgesehen. Programmierte Schattenspiele ergeben sich auf den weißen Wänden, die angereiste Amerikanerin und die japanische Kindesmutter ziehen an des Kindes Armen wie im Gerichts-Sinnbild vom Kreiskreis.

Zwar gerät die asiatische Villa kraft Bühnentechnik immer mal in Schräglage, ob sie aber hier wie nach einem Vulkanausbruch oder Tsunami aufbrechen und in zwei Teilen nach oben aufbäumen muss, ist eine andere Frage. Sie tut es aber, was den Theaterwerkstätten ein Arbeits-Fest gewesen sein dürfte.

Puccinis Partitur ist gespickt mit Themen, Motiven, Emotion, Spannung, Steigerung, Entladung. Unendlich viele Einfälle und Übergänge, die andere Komponisten vielleicht später zu weitaus größeren Bögen ausgearbeitet hätten.

Dirigent Anthony Bramall verschaffte den Sängern Luft und dem Gewandhausorchester, so wie gehört, ein furioses Finale, dann als die Sänger die Bühne verlassen hatten. Ein anderes Temperament als da, wo das langsame Fallen des Vorhangs mitkomponiert wurde.

Puccinis Welt vor 111 Jahren

Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ spielt in Nagasaki. Und Ostasiatisches war in Europa große Mode. Zur Zeit der Uraufführung 1904 im Teatro allo Scala Milano wirbelten die Strömungen der europäischen Kultur. Im verhallenden Historismus schien das Nachahmen erlaubt, der Jugendstil trieb wundersame Blüten, Künstler erträumten sich die Natur oder sahen die Welt geometrisch, Industrialisierung hatte mit Maschinen Schwung in die Verarbeitung von Rohstoffen gebracht, Zukunftsforscher dachten nicht fünf Jahre voraus sondern einhundert. Im Buch „Die Welt in 100 Jahren“ waren Kinoübertragungen aus Opernhäusern schon beschrieben.

Auf einem Gemälde kann man „Die Seeschlacht bei den Tsushima-Inseln“ im russisch-japanischen Krieg betrachten, und dort findet man ein wellenschlagendes dampfendes Stahlungetüm im Vordergrund, dahinter ziehen Dampfsegler ihre Bahnen auf ruhiger See.

Im Buch „Kulturspiegel des 20. Jahrhunderts“ krachen 1905 als Aufmacher Albert  Einsteins Relativitätstheorie herein, und dann auch noch Sigmund Freud. Die kommentierende Überschrift sieht eine „Provokation der Psychoanalyse“, wobei er gerade mit nur drei Veröffentlichungen die Welt „aufmischte“ mit seiner „Hysterie-Analyse“ und außerdem „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ hervorgetreten war. Sigmunds Freuds Praxis ist in Wiens Berggasse längst Museum geworden.

Uraufführung gefloppt?

Puccini soll sich seiner Sache sicher gewesen sein, als „Madama Butterfly“ zunächst zu floppen schien! In einem Bericht über die Premiere ist von Rivalen die Rede, die den „Misserfolg inszeniert haben“.

Im Buch „Kulturspiegel des 20. Jahrhunderts“ wird referiert: „Auf dem Gipfel seines Ruhms wird dem die Verdi-Tradition fortführenden Meister das exotisch-lyrische Kolorit zum Vorwurf gemacht – damals waren es die übertriebenen dramatischen Effekte“ , „Japanische Volksweisen in Ganztonfolge mit übermäßigen Dreiklängen und Quintenparallelen zu einer mondänen, gefühlvollen Tonsprache verarbeitet“. Ja tatsächlich, es hieß zu dieser Zeit GEFÜHLVOLL und nicht GEFÜHLT!

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