Die Geschichte könnte aus einem Film Martin Scorseses sein, verwickelt genug ist sie obendrein. Am 19. Mai 2013 wird auf den Bahngleisen in Leipzig-Leutzsch der Dealer Diego M. (23) erschossen. Seit Anfang Februar 2014 müssen sich seine Geschäftspartner, die Brüder Jan (33) und Frank S. (25) sowie Mario B. (33), vor dem Landgericht verantworten. Der Getötete Diego M. schuldete dem Dresdner Pizzeria-Mitarbeiter Vincenzo G. 70.000 Euro. Für die Schulden sollten anschließend Diego M.s Freunde gerade stehen. Diese planten nach Erkenntnissen der Kriminalpolizei als Reaktion auf den Tod Diego M.s, den Italiener selbst zu beseitigen.

Für die Staatsanwaltschaft ist der Tatvorwurf anhand der polizeilichen Ermittlungen klar: Verabredung zum Mord. Darauf stehen bis zu 15 Jahre Haft. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe. “Ich wollte niemanden eine Kugel in den Kopf schießen”, teilte Jan H. über seine Anwältin mit. “Ich wollte nie, dass jemand eine scharfe Waffe für mich besorgt.”

Die Anklage in dem Fall stützt sich auf drei Grundannahmen. Jan H. sei von Vincenzo G. bedroht worden und wollte den Italiener daraufhin persönlich beseitigen. Sein Bruder Frank habe sich bereit erklärt, den Dresdner auszukundschaften. Mario B. soll versucht haben, die Tatwaffe zu organisieren.

Die drei Angeklagten zeigten sich auch nach ihrer Verhaftung gegenüber den Ermittlern aus guten Gründen nicht besonders redselig. Deren Erkenntnisse stützen sich in weiten Zügen auf Observations- und Abhörmaßnahmen. Wie in jedem Indizienprozess verläuft die Beweisführung dabei mosaikartig. Viele Puzzleteile sollen nach der Beweisaufnahme ein großes Ganzes ergeben, der Kammer zumindest aber die Interpretation in irgendeine Richtung ermöglichen. Strategie der Verteidiger ist es, in den Aussagen der Zeugen, unter ihnen erfahrene Kriminalisten, Widersprüche aufzudecken, für die Kammer sichtbar zu machen, Ermittlungsmaßnahmen und -methoden kritisch zu hinterfragen, und andere Deutungsmöglichkeiten der vielen Beweis-Stückchen aufzuzeigen.

Deswegen schleppte sich die Verhandlung gegen die drei Angeklagten von Beginn dahin. Aus anfangs sechs anberaumten Terminen sind längst 14 geworden. Die Verteidiger pflückten die Zeugen regelrecht auseinander, die Hauptbelastungen stammen aus den Kreisen der Ermittler. Doch schon jetzt wartete der Prozess mit ersten Überraschungen auf. Am Montag dieser Woche stellte sich heraus, dass Jan S. und Frank S. zu den Letzten zählten, die Diego M. lebend gesehen haben sollen. Um 18 Uhr trafen sich die Männer auf ein Getränk in der Südvorstadt. Um 19.15 Uhr war der Luxemburger tot.
Am Freitag, 21. März, erfuhren die Prozessbeobachter von dem leitenden Ermittlungsbeamten, dass sich die angeklagten Männer im Umfeld der “Hells Angels” bewegen würden und quasi jeder jeden gut kannte. Diego M. soll mit Vincenzo G. einen Deal über 40 Kilo Marihuana abgeschlossen haben. Einmal sollen sich Diego und Frank mit Vincenzo darüber hinaus zu Geschäftsbesprechungen in Dresden getroffen haben. Der Italiener würde planen, eine Security-Firma aufzubauen. Da die Leipziger bereits in dem Gewerbe tätig seien, wäre es um einen Erfahrungsaustausch gegangen.

Mario B. hingegen hatte wohl laut der Ermittler mindestens die Möglichkeit, an eine scharfe Schusswaffe zu gelangen. Ins Visier der Ermittler geriet er durch eine Telefonüberwachung, welche den Verdacht verstärkte. “Er kennt Leute, die in jüngsten Verfahren mit scharfen Waffen geschossen haben”, berichtet der Polizist vor Gericht. Deren Namen dürfe er allerdings nicht nennen, da die Ermittlungen noch laufen würden.

Über die Umstände von Diegos Tod berichtete der Ermittler hingegen nichts, da auch dieses Ermittlungsverfahren im Hintergrund der bereits stattfindenden Gerichtsverhandlungen weiterläuft. Durchgesickert ist dennoch, dass der junge Mann regelrecht hingerichtet worden sein soll. Völlig unklar bleibt die Rolle von Vincenzo G. in der sächsischen Unterwelt. Auch dazu darf der Kriminalist nicht aussagen. Aufgrund abgehörter Gespräche waren sich die Ermittler aber sicher, mit den jetzt in Leipzig Angeklagten drei angehenden Mördern auf die Schliche gekommen zu sein.

“Wir wussten nicht, ob die Waffe schon da war”, räumte der Beamte ein. Dennoch schlug die Polizei zu, als sich die Brüder auf den Weg in die Landeshauptstadt machten. “Das Risiko war zu groß”, so der Ermittler. “Wir schauen zu und in Dresden wird jemand ums Leben gebracht.”

Verteidiger Ingo Stolzenburg fasste nach der dreistündigen Aussage des Ermittlers nach. Wie müsse er sich eine Telefonüberwachung vorstellen? Säßen dort Polizisten mit Kopfhörern im stillen Kämmerlein und protokollieren die Gespräche? Wieder verweigert der Beamte die Aussage. Kein Wort zur Polizeitaktik. Was ist mit den Drogengeschäften von Jan H.? Auch dazu keine Aussagegenehmigung. Immerhin: Der Ordnungshüter räumte ein, dass Stolzenburgs Mandant Mario B. ein polizeibekannter Drogen-Konsument sei. In der Polizei-Datenbank finden sich entsprechende Einträge.

Die Angeklagten lutschten derweil rote Bonbons. Die Männer machten nicht den Eindruck, von den Anschuldigungen besonders betroffen zu sein. Zu größeren Einlassungen wird es wohl ebenfalls kaum kommen, von Behörden und Gerichten scheinen alle drei Angeklagten nicht viel zu halten. Selbst in dem Moment, als sich in einer durch die Ermittler abgefangenen “WhatsApp”-Kommunikation zwischen den Dreien laut Aussage des Polizeibeamten “Endzeitstimmung” aus Angst vor weiteren Aktionen seiten Vincenzo G. breitmachte, planten sie laut Anklage lieber das Komplott, als sich mit ihren Informationen an die Polizei zu wenden.

Die Planungen dazu waren nach Lesart der Behörden weit fortgeschritten. Bei einer Hausdurchsuchung entdeckten Ermittler einen Kartenausdruck. Darauf markiert: Mögliche Anlaufstellen des Italieners.

Mit einem Urteil ist voraussichtlich im Juni zu rechnen.

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