Politiker, Plakate und Parteibanner: Auf den ersten Blick wirkte eine kleine Versammlung um 9 Uhr am Dienstagmorgen vor dem Amtsgericht Leipzig wie eine Veranstaltung zum aktuellen Kommunalwahlkampf. Dabei ging es jedoch nicht um das Erringen eines Wahlsieges, sondern um einen Freispruch für Margitta Hollick. Die linke Stadträtin war angeklagt worden, weil sie im Juni 2012 den damaligen NPD Stadtrat Rudi Gerhardt als Nazi bezeichnete. Eine nicht strafbare Handlung nach Richterin Kniehase, deren Begründung die Staatsanwaltschaft in einem sehr langen und ungewohnt bekennenden Plädoyer geliefert wurde.

Unter der gängigen Rechtssprechung gegenüber Zivialcourage gegen Nazis ist man in Sachsen zur Zeit eher darauf eingestellt, dass die Staatsanwaltschaften mit großen Eifer Ermittlungen anstellen und auf Amtsgerichtsebene absurde Urteile fallen. Mit dieser Erwartung waren wohl auch die meisten Unterstützerinnen von Margitta Hollick zum Amtsgericht gekommen. Ihr wurde eine Handlung zur Last gelegt, die sie am 20. Juni 2012 am Rande einer Stadtratssitzung begangen haben sollte. In der damaligen Sitzung sprach der Parteikollege Gerhardts, Klaus Ufer (NPD) zum Thema Asylbewerberheim und provozierte die üblichen Reaktionen: Die Stadträte der anderen Fraktionen empörten sich und es kam zum Wortentzug durch den Bürgermeister. Die Stadträte Rudi Gerhardt (damals NPD, jetzt parteilos) und Frau Hollick (Die Linke) waren beide anwesend.

Aufgrund der erhitzten Debatte im Stadtrat und gesundheitlichen Problemen verließ Gerhardt die Sitzung. Außerhalb des Saals begann er ein Gespräch mit einem Zuschauer. Kurze Zeit später lief Hollick vorbei und fragte den Zuschauer im lauten Ton, warum er sich mit einem Nazi unterhält. Gerhardt reagierte gelassen auf die Äußerung, aber wollte es nicht auf sich beruhen lassen und erstattete Strafanzeige wegen Beleidigung.

Mit langer Verzögerung fand nun heute der Prozess wegen dieser Tat statt. Für Margitta Hollick kam im Vorfeld nur ein Freispruch in Frage. Sie, als Tochter eines Leipziger Antifaschisten im Widerstand gegen Nationalsozialismus, wollte und konnte es nicht verstehen, warum sie angeklagt wurde. In der Hauptverhandlung versuchte ihr Verteidiger zunächst aufzuzeigen, warum man Mitglieder der NPD und damit auch Gerhardt als Nazi bezeichnen dürfte und kam dadurch immer wieder in Konflikt mit Richterin Kniehase.Für Erheiterung im Saal sorgte dann die Vernehmung des Geschädigten Rudi Gerhardt. Dieser wich immer wieder direkten Fragen aus und ergänzte seine Aussage mit allerlei philosophischen Weisheiten und Anekdoten. Sichtlich erzürnt darüber, dass Hollick seine Ehre verletzt habe, erzählte er über sein Leben.

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Bei Nachfragen zu seiner Parteimitgliedschaft und Tätigkeit innerhalb der NPD stellte er sich jedoch als sehr unbedarft dar. “Ich distanzierte mich von Rassismus und Inhumanität” wiederholte er mehrmals. Weiterhin ist er mittlerweile aus der NPD ausgetreten, um ein Zeichen zu setzen. Er habe sogar Mitgliedszahlungen an die NPD eineinhalb Jahre lange nicht mehr gezahlt, weswegen er einem Prozess entgegensehe. Die Rede seiner Parteikollegen hätte er meist gar nicht zu lesen bekommen und sei öfters damit nicht einverstanden gewesen. Zu seinen Beweggründen in die Partei einzutreten, schwieg er hingegen. Sichtlich zur Erleichterung der Richterin wurde er aus dem Zeugenstand entlassen.

Der Staatsanwalt sorgte mit dem Antrag des Freispruchs für die eigentliche Überraschung. Ungewohnt deutlich wurde er dabei: “Nationalsozialisten darf und muss man auch Nazis nennen”. Im Folgenden wurden die juristischen Details bis ins Kleinste erörtert. Dabei offenbarte sich der grundlegende Dissens zwischen Verteidiger und Staatsanwalt. Für die Anklage war die Bezeichnung Nazi eine Beleidigung. Weil diese jedoch im unmittelbaren zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit Ufers Rede stand und für andere auch gut hörbar ausgesprochen wurde, ist von einem öffentlichen Statement im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung auszugehen. Damit war es zwar eine Beleidigung, aber eine mögliche, die als solches nicht strafbar ist.

Der Verteidiger sah indes den Gegenstand einer Beleidigung nicht gegeben, weil es eine Form der Zivilcourage sei, dass menschenfeindliches Denken von Nazis zu benennen und darauf hinzuweisen.

Hollick sah sich nach der Urteilsverkündung in ihrer Einstellung bestärkt. Sie als selbstbewusste Frau war nicht mit allzu viel Zuversicht in die Verhandlung gegangen, jedoch habe ihr das Urteil etwas Hoffnung in die sächsische Justiz zurückgegeben. So hoffe sie nun auch auf den glücklicheren Ausgang weiterer Verfahren gegen Antifaschisten im Zusammenhang mit dem Naziaufmarsch 2012 im Dresden. Das Amtsgericht setzte nach Margitta Hollick Meinung ein antifaschistischen Zeichen auch im Rahmen der anstehenden Wahlen zu Stadtrat in Leipzig. Ein Grund zum Feiern sei es für sie dennoch nicht.

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