Schmierereien, Farbbeutelwürfe, brennende Autos. NPD-Kandidaten leben in Leipzig dieser Tage gefährlich. "Heute Nacht erfolgte der 14. Anschlag auf einen Leipziger Stadtratskandidaten", beklagte Parteisprecher Jürgen Gansel am Samstag, den 10. Mai. Das Opferimage, welches den sonstigen klaren Forderungen der Partei entgegensteht, passt jedoch kaum zur NPD.

Für die NPD in der Messestadt zu kandidieren, ist einerseits durchaus die Chance am Ende im Stadtrat zu landen, andererseits ein Spiel mit dem Feuer. In keiner zweiten sächsischen Gemeinde leben so viele Rechtsextremisten wie in Leipzig. Und in keiner Gemeinde sind so viele linke Aktivisten beheimatet wie an der Pleiße. Das sagt zumindest der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht zum Jahr 2013.

Wenngleich die Zahlen des Geheimdienstes mit Vorsicht zu genießen sind, lässt sich kaum verleugnen, dass vor allem den jüngeren Kandidaten, die sich auf den NPD-Listen um Stadtratssitze bewerben, das persönliche Risiko bekannt gewesen ist, welches sie mit ihren Kandidaturen eingegangen sind. So wurde ein Wahlbewerber nach Angaben des linken Szene-Portals “Indymedia” schon vor Aufstellung der Kandidatenlisten von linken Aktivisten geoutet. Sowohl in seinem Wohnumfeld als auch in der Leipziger Hochschule, an der er studiert. Angegriffen wurde er hingegen nicht – ein Umstand, welcher auf etwas anderes hinweist.

Die Rechtsextremisten treten zur Kommunalwahl nicht mit lauter Mauerblümchen an, auch wenn die Werbe-Bilder in den Anzügen dies suggerieren sollen. Das mancher dabei eher wie hineingeborgt aussieht hat Gründe. Mehrere Kandidaten haben wegen Gewaltdelikten gegen politische Gegner Haftstrafen verbüßt. Zwei Bewerber entstammen eben dem Leipziger Fußball-Milieu, welches über Jahre nicht nur bei Fans gegnerischer Mannschaften für Angst vor Gewalt sorgte. Immer wieder waren dabei auch Aktionen mit rechtsradikalen Parolen, hoffähig geworden durch so manches Zögern nicht nur der Vereine, sondern auch der Strafverfolgungsbehörden.

Hinzu kommt, dass Gewalt und menschenrechtsfeindliche Vorhaben gegen Andersdenkende sowie Mitbürger mit Migrationshintergrund fester Bestandteil der neonationalsozialistischen Ideologie innerhalb der NPD ist.
So fordert die NPD in ihrem Programm nicht weniger als die zwangsweise Deportation hunderttausender Menschen, weil sie nicht dem deutschen Volk angehören. “Volk” definiert die Partei als eine rassisch-homogene Gruppierung, deren Mitgliedschaft allein aufgrund des Stammbaums, umschrieben als “Geburtsdeutsche” erworben werden kann. So heißt es wörtlich im aktuellen Programm: “Die NPD fordert deswegen eine gesetzliche Regelung zur Rückführung der derzeit hier lebenden Ausländer. Grundsatz deutscher Ausländerpolitik ist: Rückkehrpflicht statt Bleiberecht.”

Unverhohlen verlangt die NPD die Streichung der Paragraphen des Strafgesetzbuchs, die die Verherrlichung der Verbrechen verbieten, die während des Nationalsozialismus begangen wurden. Die NPD wörtlich: “Das politische Strafrecht schränkt die Meinungsfreiheit ein. Daher sind die §§ 86, 86a und 130 StGB ersatzlos zu streichen, und der politische Mißbrauch des § 131 StGB ist zu unterbinden.” Der Paragraph 130 regelt unter anderem die Holocaust-Leugnung und die Verherrlichung von NS-Verbrechen – die Schlagrichtung der Forderungen der NPD ist in diesem Bereich sicher auch als Einstieg in die Möglichkeit zu verstehen antisemitische Äußerungen weiter salonfähig zu machen. Mithin eh der kleinste gemeinsame Nenner des rechtsradikalen Milieus in der Bundesrepublik.

Sollte die Partei eines Tages an die Macht gelangen, wären eine abermalige Aushöhlung des demokratischen Rechtsstaates, Führermentalität, der Bruch elementarster Menschenrechte und die gewaltsame Verfolgung von ethnischen Minderheiten und politischen Oppositionellen zu erwarten.

Der Zorn vieler Leipziger über das öffentliche Agieren dieser Partei ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte allemal berechtigt. Aber rechtfertigt die Gegnerschaft zu Neonazis auch die Anwendung von Gewalt? Wohl kaum. Unfreiwillig begeben sich diejenigen, die glauben, die Rechten mit Anschlägen einzuschüchtern, auf das Diskussionsniveau mancher ihrer Gegner. Hinzu kommt, dass sich kaum ein rechter Wahlbewerber aufgrund von Gewalttaten von seinem Handeln abbringen lassen wird.

Wichtiger wäre, den Leipziger Wählern argumentativ näherzubringen, warum die NPD keine wählbare demokratische Alternative sein kann. Die Erfahrung zeigt, dass es selbst gestandenen Leipziger Parteigängern, die am Monatsende gern dem Stadtrat angehören würden, in inhaltlichen Auseinandersetzungen noch allzu oft an Argumenten fehlt.

Mit ihren Anschlägen gegen NPD-Stadtratskandidaten liefern die Täter den Strafverfolgern berechtigte Anlässe für Strukturermittlungen in der linken Szene. Zwar ist nicht erwiesen, dass die Angreifer dort zu finden sind. Aber der Verdacht liegt zumindest nahe, welchen die NPD natürlich weiter zu verstärken sucht. Die Partei erstattete bereits öffentlichkeitswirksam Anzeige wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Der Vorwurf dürfte zwar keinen Bestand haben, da die bisherigen Vorkommnisse nicht geeignet sind, um größere Bevölkerungsgruppen in Angst und Schrecken zu versetzen. Gleichwohl ermittelte die Dresdner Staatsanwaltschaft in der Vergangenheit bereits nach einer Reihe von Angriffen gegen Dresdner Neonazis wegen Bildens einer kriminellen Vereinigung im linken Milieu.

Zwei Beschuldigte dieses Verfahrens wohnen in der Messestadt. Beide Vorgänge und die Anzeige der NPD eröffnen den Staatsschützern umfangreiche Möglichkeiten ein ganzes Arsenal an Ausspähinstrumenten in Gang zu setzen. Aufgrund der Frage, ob in linken Kreisen Gewalt überhaupt in dem Umfang goutiert wird, wie es rechtsradikale Kreise dem Normalbürger weißzumachen suchen, gibt es bislang auch noch keine positiven Stimmen zur Anschlagsserie auf die braunen Stadtratskandidaten. Sollten die Täter tatsächlich aus linken Kreisen kommen, haben sie ihrer im Gegensatz zur rechtsradikalen Hierarchieordnung eher heterogenen Szene trotzdem einen Bärendienst erwiesen.

Die Ermittler fischen unterdessen zumindest in offiziellen Verlautbarungen anscheinend noch im Trüben. “Die Ermittlungen stehen erst am Anfang, so dass es gegenwärtig keinerlei Hinweise oder Anhaltspunkte zu tatverdächtigen Personen gibt”, so Polizeisprecher Uwe Voigt gegenüber L-IZ. Angaben seitens der Polizei in laufenden Ermittlungen sind allerdings immer mit Vorsicht zu genießen.

Genügend Raum für Interpretationen, den die NPD nun wiederum für ihren Wahlkampf zu nutzen gedenkt. Für den 18. Mai ruft mittlerweile Jürgen Gansel (MdL) zur Demo der Jungen Nationaldemokraten (JN) ab 13 Uhr an die Leipziger Angerbrücke. Thema des braunen Auflaufes: “Linken Straßenterror stoppen! Medien-Verharmlosung und Polizei-Untätigkeit beenden!”

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Im Namen des auch laut Verfassungsschutzbericht 2013 nicht-extremistischen Aktionsnetzwerks “Leipzig nimmt Platz” wurde für den 18. Mai mittlerweile eine Kundgebung in der Odermannstraße und damit in Hör- und Sichtweite einer Zwischenkundgebung der Nazidemo angemeldet.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar