Ganze 100 Euro bleiben ihm erspart. Die hätte Hans-Jörg K. (42) zahlen sollen, weil er am 18. November 2015 in eine Polizei-Einkesselung von etwa 50 Demonstranten geriet und sich aus der unerlaubten Ansammlung nicht entfernt habe, so der Bußgeldbescheid. Die Gruppe hatte damals vor dem Landgericht gegen eine Kundgebung der „Alternative für Deutschland“ protestiert, die auf dem gegenüberliegenden Simsonplatz stattfand.

K. wollte das nicht hinnehmen, legte Einspruch gegen den Bescheid ein. „Ich habe vorsätzlich keine Ordnungswidrigkeit begangen“, beteuerte er. „Ich wollte die Demos beobachten, es war nicht mein Ziel, an einer teilzunehmen.“ Nachdem er, wie einige andere Gegendemonstranten auch, zunächst auf dem Simsonplatz gestanden hatte, verwiesen ihn Polizeibeamte „aus Sicherheitsgründen“ auf die andere Straßenseite, vor das Landgericht. Dieser Aufforderung leistete er Folge.

Die Behörden legten jedoch nach, verlangten nun von den lautstark, aber friedlich protestierenden AfD-Gegnern, sich zu einer genehmigten Versammlung in der Beethovenstraße zurückzuziehen. Der Versuch, eine Spontankundgebung vor Ort anzumelden, blieb erfolglos.

Die meisten Demonstranten verharrten dennoch auf der stadteinwärtigen Seite der Harkortstraße, wohl nicht zuletzt, weil sie sich hier in Hör -und Sichtweite zur AfD befanden. Die Polizei umzingelte die Menge schließlich und nahm die Personalien der Eingekesselten auf. Darunter auch die des Betroffenen, der sich erinnerte, in einer der hinteren Reihen gewesen zu sein: „Ich stand mit dem Rücken buchstäblich zur Wand.“ Er habe die Ansammlung daher nicht verlassen können, zudem auch die entsprechenden Direktansprachen und Lautsprecherdurchsagen der Polizei akustisch nicht verstanden – oder schlicht nicht mitbekommen.

Bereitschaftspolizist Stefan F. (37) äußerte im Zeugenstand dagegen Zweifel: „Wenn man den Worten Aufmerksamkeit schenkt, versteht man das.“ Die Versammlung sei aus Polizeisicht sehr laut, aber nicht gewalttätig gewesen, räumte der Zugführer ein. Dennoch müssten die Ordnungshüter intervenieren, wenn eine erlaubte Kundgebung wie die der AfD nicht mehr richtig durchführbar sei. Sein Kollege Markus K. (33) argumentierte ähnlich, sprach von einer Sicherheitsgefährdung. Immerhin hätten die Demonstranten den ganzen Fußweg blockiert, den durchfahrenden Autoverkehr und damit auch sich selbst einem Risiko ausgesetzt.

K.s Anwalt Jürgen Kasek widersprach dieser Darstellung. Keineswegs sei der gesamte Bürgersteig voll gewesen. Videoaufnahmen scheinen dies zu untermauern. Kasek, der damals selbst vor Ort war, hält die Maßnahme der Behörden für rechtswidrig. Zwar soll den Protestierenden an jenem Tag eine Ausweichmöglichkeit auf die nahe Kreuzung Harkortstraße/Straße des 17. Juni offeriert worden sein. Für Kasek jedoch keine Alternative: „Die Verlegung einer Demo um 15 Meter ist nicht geeignet, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu unterbinden.“ Zudem sah er die ohnehin nicht gegeben.

Wegen wachsender Zweifel an einer vollständigen Aufklärung des Sachverhalts entschied Amtsrichterin Sonja Schumann auf Anregung Kaseks schließlich, das Verfahren einzustellen. Für Hans-Jörg K. ist der Zahlungsbescheid damit endgültig aus der Welt – die Entscheidung lässt sich juristisch nicht mehr anfechten.

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