Die Geburtenzahlen in Leipzig sind in den letzten 12 Jahren permanent gestiegen. Jahr für Jahr müssen neue Kindertagesstätten gebaut und eröffnet werden. Werden sie auch. Doch nicht so schnell, den wachsenden Bedarf aufzufangen. Mit dem Ergebnis, dass jetzt augenscheinlich schon im September 2012 alle Plätze bis September 2013 ausgebucht waren. Die Stadt müsse schnellstens handeln, forderte die OBM-Kandidatin der Linken, Dr. Barbara Höll. Aber wie? - Die L-IZ fragte nach.

Sehr geehrte Frau Höll, für junge Eltern ist es natürlich ein Schock, jetzt zu erfahren, dass alle Kindergartenplätze bis zum nächsten September vergeben sind. Aber hat die Stadt jetzt überhaupt noch Handlungsoptionen? Denn selbst wenn sie “schneller baut”, wie Sie fordern, wird das ja den Überhang an Kindern, die nicht mit einem Platz bedient werden können, nicht wirklich abbauen.

Die Situation gleicht in der Tat einem Dilemma. Die schlechte Planung der letzten Jahre schlägt katastrophal zu Buche. Für die Eltern ist das schwer bis gar nicht zu ertragen. Es gibt aber keinen anderen Weg, als noch schneller und mehr neue Tagesstätten zu bauen. Wenn die Stadt verstärkt als Bauherr auftritt, sind die Einflussmöglichkeiten natürlich größer. Dafür ist zusätzliches Personal im Hochbauamt notwendig.

Mancher spricht ja jetzt von Container-Lösungen. Aber selbst dafür fehlt der Stadt ja sichtlich das Geld. Sollte sich die Stadt für die Kitas nicht lieber verschulden?

Bürgermeister Bonew erklärt, dass das Geld nicht das Problem ist. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Denn mit dem Argument der mangelnden Finanzen wurde die Situation ja erst erzeugt. Jetzt ist es leicht zu sagen: Das Geld ist da. Aktuell fehlt das Personal, um die Bauprojekte zu verwalten, fehlen geeignete Flächen, um bauen zu können. Die Stadt ist aufgefordert, umgehend ein Konzept vorzulegen, wie der Investitionsstau schnellstmöglich abzubauen ist.

In den nächsten Jahren ist ja in Überlegung, dass die Stadt verstärkt wieder Bauträger wird. Aber das ist auch noch weder beschlossen noch mit Geld noch Grundstücken untersetzt. Ist Leipzig da in eine selbst gestellte Falle gelaufen, die im Grunde seit zehn Jahren absehbar war?

Ja. Aber wie gesagt, wenn die Stadt als Bauherr tätig wird, könnte es schneller gehen, weil der Einfluss direkt ist.

Oder haben andere Instanzen versagt? Thema Fördermittel. Denn der Freistaat Sachsen, der hier in der Pflicht wäre, gewährt ja eher nur Gnadentropfen.

In der Tat hat Leipzig in den letzten Jahren Fördermittel beim Freistaat in Millionenhöhe nicht abgerufen. Das Argument war immer: Die Stadt könne den Eigenanteil nicht stemmen. Nun aber hat Jung Fördermittel für die Schulen herausgehandelt und dabei billigend in Kauf genommen, dass der Freistaat in den nächsten beiden Jahren kein Geld für Kitabauten zur Verfügung stellt. Aktuell wird nachverhandelt, aber größere Summen sind nicht zu erwarten.

Glauben Sie, dass die vom Bund gewährten zusätzlichen Mittel für den Kita-Ausbau auch in Leipzig ankommen?

Sie kommen nicht an, der Freistaat behält sie ein und verrechnete sie bislang mit den eigenen Fördermitteln. Wie er das in den nächsten beiden Jahren erklären will, wenn er selbst kaum etwas einstellt, ist fraglich. Der Druck in Leipzig ist offenbar in Dresden noch nicht hinreichend angekommen.Glauben Sie, dass Leipzig überhaupt eine Chance hat, das Dilemma zu lösen? Immerhin sprach ja auch Sozialbürgermeister Thomas Fabian davon, dass die Lücke in der Kita-Platzversorgung frühestens 2020 abgebaut sein wird.

Die Stadt muss es mit dem höchstmöglichen Kraftaufwand versuchen. Eine andere Chance gibt es nicht. 2020 ist definitiv zu spät. Da sind die Kinder, die heute dringend einen Platz benötigen, längst in der Schule.

Bislang galt die Tagespflege als möglicher Puffer. Aber mittlerweile gibt es ja nicht nur ein Kita-Platz-Problem. Auch die verfügbaren Erzieherinnen und Erzieher werden knapp. Da kann man dann zwar schnell bauen – und kann die Kinder doch nicht versorgen. Und da ist das Thema mit dem Betreuungsschlüssel noch gar nicht angegangen …

Der Betreuungsschlüssel muss zwingend geändert werden. Das ist seit Jahren eine unerledigte Aufgabe des Kultusministeriums. Die Linke fordert gemeinsam mit den anderen Oppositionsfraktionen und den Freien Trägern sowie der Elternschaft ein Umdenken. Wir haben in Sachsen einen der schlechtesten Betreuungsschlüssel bundesweit. Es ist unerklärlich, wieso der Freistaat sich weigert, für bessere Bildungsbedingungen zu sorgen. Da müssen wir dran bleiben und den Druck erhöhen.

Die Attraktivität des Erzieherberufes muss zwingend erhöht werden. Die freien Träger sind angehalten, für eine bessere Bezahlung zu sorgen, insbesondere die kirchlichen Träger haben hier Nachholbedarf. Für die Erzieherinnen muss zudem die Möglichkeit bestehen, voll zu arbeiten. Sie dürfen nicht länger bei 30 Stunden gedeckelt werden. Dann relativiert sich auch die Suche nach Fachkräften und der Beruf wird für Männer ein Stück attraktiver. Auch Vor- und Nachbereitungszeiten müssen dringend anerkannt werden, deutlich über das aktuelle Maß hinaus. Im Moment besteht die Gefahr, dass die Qualität der Bildungsarbeit leidet. Das spüren auch die Erzieherinnen. Der Frust wächst.

Was halten Sie vom Grünen-Vorschlag, die Online-Kitaplatz-Vergabe gänzlich abzuschalten und die Vermittlung beim Jugendamt zu zentralisieren? Oder sehen Sie da auch die Freien Träger im Recht, die auf eigener Platzvergabe bestehen?

Über eine zentrale Vergabe kann man nachdenken, wenn das Platzproblem gelöst ist. Aktuell hilft diese kaum weiter. Denn die Form der Vergabe schafft keine Plätze. Wenngleich ich auch Eltern kenne, die von Freien Trägern subtil auf diverse Wünsche, wie Digitalkamera, zu pflanzende Bäume, größere Spielgeräte etc. hingewiesen wurden, mit der Bemerkung, dass nur engagierte Eltern einen Platz erhielten. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Er ist aus dem Mangel an Plätzen geboren. Deshalb muss zuallererst dieser Mangel behoben werden. Beginnen sollte man mit einer kommunalen Planung, die sich am tatsächlichen Bedarf orientiert und nicht an willkürlichen Prognosen.

Dass nicht genug neue Kita-Einrichtungen fertig werden, hat ja zum Teil nicht nur mit zu niedrigen Prognosen zu tun. Teilweise verzögern sich die Fertigstellungen aus technischen Gründen oder die Kita wird gar nicht erst geplant wie in den “Höfen am Brühl”. Braucht Leipzig nicht wirklich ein zentrales Planungsbüro auch für Kindertagesstätten, wie es das jetzt für die Schulneubauten geben soll?

Die Stadt ist in der Pflicht, alle denkbaren Optionen zu prüfen. Oberstes Ziel muss sein, schleunigst Plätze zur Verfügung zu stellen.

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