Kinderwagenvollversammlung am Donnerstagnachmittag vor dem Neuen Rathaus. Die Leipziger Kita-Initiative hatte zur Demonstration aufgerufen. Justament an dem Tag, an dem alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben sollten, wurde die hiesige Familienpolitik an den Pranger gestellt.

Sie sind viele und sie sind laut. Über 50 Kleinkinder und Babys können richtig Lärm machen, sogar soviel Lärm, dass ein Megaphone zu leise ist. So mussten ihre anwesenden Eltern die Ohren spitzen, um zu hören, was auf der ersten Leipziger Kita-Demo verkündet wurde.

Während die Leipziger Presse die anwesenden Eltern umgarnte und für ein paar Sätze zu gewinnen suchte, beklagten zahlreiche Gastredner den desolaten Zustand in der frühkindlichen Bildung in Leipzig. Und die Eltern werden sich am Ende gefragt haben, warum es denn nicht vorangeht, wenn offensichtlich parteiübergreifend die Probleme erkannt wurden.

Problem eins: Die Vergabepraxis der Stadt ist intransparent und ineffizient. Laut dem Organisator, der Leipziger Kita-Initiative sind nur 4 Prozent aller 2012 vergebenen Kitaplätze über das Kitaportal der Stadt vergeben worden. “Das Geld, das in dieses Portal investiert wurde, ist rausgeworfenes Geld”, wetterte Markus Viefeld und schob nach: “3,8 Millionen Euro wurden für den Lindenauer Hafen und den Kanaldurchstich zuletzt ausgegeben und wir fragen uns hier, wo die Kita-Plätze sind. Das ist ein Armutszeugnis.”
Womit man bei Problem zwei, einem altbekannten Problem, ist: Es gibt zu wenige Kitaplätze. Aber warum eigentlich, fragt man sich in Leipzig. Warum gibt es auch zu wenige Plätze an Leipziger Schulen? Warum? Für Rico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der Linken im sächsischen Landtag ist der Grund schnell gefunden. “Die Stadt Leipzig hat Mitte der 90er Jahre viel zu viele Plätze abgebaut und seitdem sämtliche Bevölkerungsprognosen ignoriert.” Gebhardt wohnt in Dresden, in der Landeshauptstadt zeigte sich die Kommune ebenfalls unflexibel.

“Auch dort das Online-Vergabesystem nicht den gewünschten Erfolg gebracht, aber die Stadt hat dafür eher als Leipzig angefangen, Kitaplätze zu bauen.” Für seine Kinder hat Gebhardt mittlerweile einen gefunden, in Leipzig ist dies weiterhin problematisch. Der Zeitplan für das Mammutbauprogramm für Kitaplätze ist verrutscht. Kein Wunder für Christopher Zenker von der Leipziger SPD. Für ihn kommt das Programm, das in diesem Jahr 2.500 Plätze schaffen sollte, viel zu spät. “Das hätte man vor ein bis zwei Jahren machen müssen.” so der einstige Wahlkampfleiter des amtierenden Leipziger Oberbürgermeisters Burikhard Jung. Und so sind viele Eltern frustriert, wenn ihr Kind keinen Kitaplatz oder nur einen Platz in einem anderen Teil Leipzigs bekommt, wie Viefeld weiß. “Der Frust ist kaum in Worte zu packen.”

An diesem Donnerstag sollte sich eigentlich alles ändern, denn seit dem 1. August haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Aber den durchzusetzen, kostet Geld und löst das Problem der fehlenden Plätze nicht, auch wenn das Bundesfamilienministerin Schröder laut Süddeutscher vom Mittwoch anders sieht. “Sie rät den Eltern zu klagen, um den Rechtsanspruch durchzusetzen. Klar, wir klagen morgen und übermorgen ist ein Kitaplatz da. Wenn das nur so einfach wäre”, echauffierte sich Petra Cagalj Sejdi von den Grünen.

Sie selbst musste für ihr zweieinhalb-jähriges Kind Bewerbungen schreiben. “Mein Kind musste ich anbieten wie Sauerbier, um einen Platz zu kriegen. Und dabei hat Leipzig noch die bessere Ausgangsposition als andere Großstädte.” Hamburg sei beispielsweise aufgrund des Platzmangels deutlich benachteiligter. “Hier ist Platz zum Bauen.” Aber damit ist man auch schon bei Problem drei, das in der Sommerhitze vor dem Neuen Rathaus diskutiert wurde. Plätze bauen und Kinder betreuen kostet Geld. Geld, was das Land den Kommunen immer weniger überlässt.
“Im Jahr 2000 haben Stadt und Land die Kosten für einen Kitaplatz hälftig getragen, mittlerweile trägt die Stadt zwei Drittel”, rechnet Zenker vor. Darin begründet liegt auch das schlechte Betreuungsverhältnis zwischen Kind und Erzieher. “In der Krippe meines Sohnes kommen zwei Erzieher auf zwölf Kinder. Als ein Erzieher krank wurde, brach das Chaos aus”, so Cagalj Sejdi. Und hier ist dann der nächste Querverweis zu den Schulen. Auch hier sind die Klassen viel zu groß, um beispielsweise in Fremdsprachen fruchtbare Arbeit zu verrichten. “Es ist wissenschaftlich nachgewiesen geworden, dass das optimale Betreuungsverhältnis für Krippenkinder eins zu vier und für Kindergartenkinder eins zu zwölf ist, aber das wird von der Regierung ignoriert”, beklagt John.

Der Klagen gab es an diesem Donnerstagnachmittag also viele. Aber wie kann eine Lösung aussehen? Am Parteidenken scheint es nicht zu liegen, liegt es vielleicht an der Trägheit des Verwaltungsapparats einer 500.000-Mann-Stadt? Die Kinder, die jetzt einen Platz brauchen sind jedenfalls genauso wenig vom Himmel gefallen, wie die Kinder, die gern eine Grundschule besuchen würden.

Die Kita-Initiative verbuchte die Demo als Erfolg. “Dass trotz dieses Wetters bei dem man mit seinem Kleinkind eigentlich nicht die Sonne sucht, so viele Leute kommen, hat uns beeindruckt”, so Romy Schildhauer von der ehrenamtlich arbeitenden Leipziger Kita-Initative. Sie hat die nächsten Schritte schon im Kopf. “Ab September werden wir die Gespräche mit dem Sozialbürgermeister Professor Fabian und Jugendamtsleiter Schmidt wieder aufnehmen. So langsam nimmt man uns dort ernst. Dort wollen wir dann unsere Forderungen auch versuchen durchsetzen.”

Info: Eltern, die sich in der Initiative engagieren wollen, können mit dieser über die Website Kontakt aufnehmen.

leipziger-kita-initiative.com

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