Sie ist junge Mutter, kümmert sich in der Villa um Musikprojekte, singt selbst und hält bei allen Projekten, die ihr Leben im soziokulturellen Zentrum an der Lessingstraße bestimmen, auch die Leser der L-IZ seit Herbst 2010 auf dem Laufenden. Doch 2010 hat sich in Zeiten von Spardebatten ein wenig Angst eingeschlichen.

In einer Zeit, in der es jedem leicht fällt aufzubegehren, erstickt im Jahresübergang der Schnee doch ein wenig das Feuer. Ruhe bis das große Krachen vorüber gegangen ist, auf ein Neues, ihr Neuen. Wenn ich die Augen schließe, und ich weiß um meine Naivität und “Märchenwald-Allüren”, aber wenn ich sie schließ dann scheint die Sonne, es ist Sommer.

Im Klarapark finden sich Musiker zusammen, Djs, Familien es ist bunt und vor allem ungeplant. Es wird laut, Kinder spielen, Elektronik mischt sich mit Akustik, glückliche Gesichter, Bässe und Gitarrenriffs. Und da hinten am Rande der Wiese, wippen die Ordnungsämtler mit den Knien, manche von ihnen sitzen auf der Parkbank und essen ihre Mittagsbrote. Oh ja ,ein buntes Westpaket im Zentrum und alle freuen sich. Ein großbürgerlicher Kindergeburtstag. Und dass in Sellerhausen Nazis maschieren – interessiert keine Sau, sind ja alle hier, im Klarapark! Überlassen wir dass unseren linken Autonomen, am Abend kommt jemand und räumt den Müll weg, beiderseits.

2010 hat müde gemacht, als Musikerin, als Mitarbeiterin des Villakellers, als Mutter, als Mensch. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich konnte die Augen nicht verschließen. Was passiert mit meiner Stadt?
Ihr reißt mir meine Blechbüchse weg und baut mir ein Einkaufszentrum. Oh vielen Dank, bei all der Groschendreherei werde ich sicherlich nicht vergessen, mit meinem Kind ein Eis essen zu gehen. Ist doch auch viel schöner, als eine beruhigte Grünfläche mit Spielplatz. Und vielen Dank, dass ich um meinen Arbeitsplatz bange, weil sich unsere Oberen einen Dreck um unsere Zukunft scheren. Wozu brauchen unsere Kinder geschützte Lebensräume, in denen sie sich frei entfalten können, Leipzig hat doch genügend Wald und Tankstellen.

Ich saß ohnmächtig in so vielen Gesprächen, über Protestaktionen, Gegenmaßnahmen und Kürzungsdiagnosen, dass mir auch jetzt noch Kopf schwirrt. Es fällt schwer zuzuhören, und noch viel schwerer hinzusehen. Alles dreht sich im Kreis und es ist immer nur eine Frage der Zeit. Aber es bleibt wie ein Verkehrsunfall, man kann nicht wegschauen.

Was wäre wenn wir all diese Zeit sinnvoll nutzen könnten? Was wäre, wenn Leipziger Musiker endlich für ihre harte Arbeit entlohnt würden und wir sie nicht mit einem Hungerlohn nach Hause schicken müssten? Was wäre, wenn jedes Kind von Geburt an in seinen Grundbedürfnissen gesichert wäre? Was wäre, wenn all die schillernd, bunten Ideen nicht schon in ihrer Umsetzung scheitern müssten? So viele Ideen sah ich dieses Jahr im Keim ersticken. Denn dass unser Beamtenschimmel sich nicht im Ansatz die Mühe macht, über das geschriebene Wort hinaus zu blicken, hat er uns eindrucksvoll bewiesen. Dass es dort scheinbar niemanden mehr interessiert, wenn Menschen gute Ideen zu haben, mit Leidenschaft und Engagement, ohne großes finanzielles Interesse.
Und dennoch – Ich bin stolz, dass es in meiner Stadt noch genügend Wahnsinnige gibt, die darauf nichts geben. Danke an all Jene, die nicht aufhören! Ich gelobe weiterhin selbst wahnsinnig zu bleiben!

Ich wünsche mir mehr Offenheit. Ich wünsche mir wache Augen in der Straßenbahn und im Einkaufszentrum. Ich wünsche mir mehr gute Musik und wahre Wertschätzung. Ich wünsche mir offene konstruktive Kritik anstatt destruktiver Zerstörungspolemik. Ich wünsche mir mehr Zeit für mein Kind und mich. Ich wünsche mir, dass Ideen auf fruchtbaren Boden fallen und genügend Raum für Kunst und Kultur. Ich wünsche mir ehrliche, warme Gemeinschaft und mehr Wahnsinnige. Ich wünsche mir Mut und Kraft für alles, was da noch kommen mag. Ich wünsche mir Liebe in den Herzen aller, so kitschig es klingen mag.

Wir haben Angst vor den Menschen. Wir haben Angst um unsere Beziehungen, um unseren Job, um die Zukunft unserer Kinder. Wir haben Angst nicht verstanden zu werden, Angst davor nicht dazu zu gehören oder gehört zu werden. Ich wünsche mir weniger Angst. Was für ein Feuerwerk wird es geben, wenn wir die Angst verlieren. Wie viel Zeit wir plötzlich hätten, unsere Augen endlich für das Wesentliche zu öffnen.

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