Durch mehr Kontakte und Bildung kann die gesellschaftliche Integration der vier Millionen Muslime in Deutschland gelingen. So das Plädoyer des Osnabrücker Religionspädagogen Bülent Ucar im L-IZ-Interview. Professor Uçar diskutierte in der Vorwoche an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu "Islam. Mythos und Wirklichkeit".

Zur Person: Professor Bülent Uçar wurde 1977 in Deutschland als Kind türkischer Einwanderer geboren. Er lehrt Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. Seit 2010 ist Mitglied der Deutschen Islam Konferenz.

Professor Uçar arbeitet seit 2008 als Leiter des Zentrums für Interkulturelle Islamstudien der Universität Osnabrück. Die Gründung dieses und vergleichbarer Zentren erfolgte auf Empfehlung des Wissenschaftsrates. Sie dienen der Ausbildung von Religionspädagogen, die an deutschen Schulen islamischen Religionsunterricht erteilen sollen, und der Ausbildung islamischer Seelsorger.

Vier Millionen Muslime leben in Deutschland. Nach aktuellen Studien verbindet eine Mehrheit der Deutschen mit dem Islam Frauenfeindlichkeit, Fanatismus und Gewaltbereitschaft. Was ist aus Ihrer Sicht integrationspolitisch schief gelaufen?

Wir brauchen viel mehr Kontakte zwischen den Menschen; in Deutschland wird viel zu viel übereinander gesprochen statt miteinander: Der Islam muss von der Umklammerung der vielen Pseudo-Experten und der Integrationsindustrie befreit werden.

Sehen Sie in Ostdeutschland besonderen Handlungsbedarf?

Ja, bemerkenswert ist, dass im Osten besonders wenig Muslime leben und die Ängste und Ressentiments hier dennoch anscheinend höher sind als im Bundesdurchschnitt, wie die jüngste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt hat.

Integration gehört seit mehreren Jahren zu den Schwerpunktthemen der deutschen Politik. Sie selbst arbeiten seit 2010 in der Deutschen Islam Konferenz (DIK) mit. Wie bewerten Sie diese Bemühungen?

Es sind wichtige vertrauensbildende Maßnahmen zwischen dem Staat und den Muslimen. Die Ängste sind doch enorm auf beiden Seiten. Ich glaube folglich, dass die Richtung der Deutschen Islam Konferenz stimmt und die Gleise entsprechend aufgestellt werden. Allerdings werden die Entscheidungen auf Landesebene getroffen. Man darf der DIK aber auch nicht zu hohe Bürden auflegen.

Welche Bedeutung messen Sie der Religionspolitik im Rahmen der Debatte um Integration bei?

Sie ist wichtig. Jeder Staat hat eine Religionspolitik. Kein Staat kommt ohne eine Religionspolitik aus. Man darf das Thema weder hochstilisieren und alles islamisieren, noch ausklammern und das Feld damit anderen Akteuren überlassen.
An der Universität Osnabrück leiten Sie das Zentrum für Interkulturelle Islamstudien und lehren Islamische Religionspädagogik. Welchen Aufgaben und Themen widmet sich das Zentrum?

Wir bilden momentan Religionslehrerinnen aus und werden künftig auch Theologen, Nachwuchswissenschaftler und, wenn Sie so wollen, auch Imame und Seelsorger ausbilden. Zugleich organisieren wir zahlreiche wissenschaftliche Tagungen und publizieren zu diversen Forschungsfragen im Zusammenhang mit dem Islam in Deutschland.

Wie gestaltet sich das Verhältnis Ihrer neuen Disziplin zu etablierten Fächern wie Islamwissenschaften und Arabistik einerseits, zu den bestehenden Theologischen Fakultäten andererseits sowie zu den klassischen Geisteswissenschaften?

Wir ergänzen uns und lernen voneinander. Wir haben sicherlich unterschiedliche epistemische (wissensmäßige – die Red.) und ontologische Prämissen. Der interdisziplinäre Dialog und die gegenseitige Befruchtung sind jedoch enorm. Grundsätzlich nehmen wir die Binnenperspektive ein und reflektieren aus dieser Sicht, statt eine distanzierte Außensicht zu präferieren.

In Leipzig sind etwa zwei Drittel der Menschen areligiös. Wie würden Sie diesen Menschen die Vorzüge des deutschen Modells des Verhältnisses Staat – Kirche beschreiben, zu dem ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht an staatlichen Schulen und die Ausbildung von Religionspädagogen und Seelsorgern an staatlichen Hochschulen zählt?

Ein bekenntnisgebundenes Fach kann Extremisten vorbeugen und eine Kontextualisierung von Religion ermöglichen. Dass das deutsche Modell erfolgreicher ist, als etwa das amerikanische, zeigt die Erfahrung mit dem Christentum dort im Vergleich zu Deutschland. Manche sagen, dass Bildung Religion zivilisiert. Ich sage, dass Religion ohne Bildung nicht auskommt. Menschen ohne Bildung können eher zu Fanatismus neigen und lassen sich schneller manipulieren.

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