Was hat sich Dr. oec. publ. Felix Meiner eigentlich gedacht, als er am 1. April 1911 in Leipzig seinen Verlag gründete? Oder war ihm das Datum gar nicht so wichtig? Hauptsache der Ort stimmte, die Zeit und die Gelegenheit? - Er nutzte seine Chance. Seinen Verlag gibt es heute noch. Und gefeiert wurde der 100. Verlagsgeburtstag auf besondere Weise.

“Wir wollten keine große Verlagsveranstaltung wie zum 75.”, erzählt Manfred Meiner an einem sonnigen 2. April im Vortragssaal der Universitätsbibliothek Leipzig. Soeben war man in der aktuellen Sonderausstellung der Bibliothek gewesen: “Tischendorf und die Suche nach der ältesten Bibel”. Da war auch Manfred Meiner beeindruckt – und sah sich bestätigt in der gemeinsamen Familienentscheidung, kein großes Fest zu feiern, sondern den Ursprungsort des Verlages zu besuchen und die Spuren seines Großvaters zu erkunden.

Die sind durchaus zu finden, auch wenn die Fliegerbomben, die im Dezember 1943 das Grafische Viertel zerstörten, auch den Verlagssitz des Meiner Verlags in der Inselstraße 23 – 25 auslöschten. Das Gebäude stand vis-à-vis zum Reclam-Gebäude. “Das war schon eine besondere Atmosphäre damals”, malt sich Manfred Meiner aus. “So unter lauter namhaften Kollegen.” Aber das war nur ein Teil der Welt des Felix Meiner. Er war Mitgründer der Gartenstadt Marienbrunn, wo die Familie auch bis 1951 in der Dohnastraße 5 lebte.
“Er fuhr jeden Tag mit den Fahrrad von Marienbrunn in die Inselstraße zur Arbeit”, weiß Enkel Manfred zu erzählen. Auch wenn von den Bomben 1943 das komplette Verlagsarchiv vernichtet wurde, haben sich – in mehreren dicken Ordnern – die Erinnerungen und Gedächtnisprotokolle der Familie bewahrt, aufgeschrieben nach dem Neuanfang nach dem Krieg.

Felix Meiner, immerhin schon 62 Jahre alt, versuchte den Neubeginn – wie viele der alten Leipziger Verleger – natürlich in der zerstörten Verlagsstadt. Ein Fragebogen hat sich erhalten, in dem er Auskunft gibt über sein Verhalten in der NS-Zeit, als er weder Parteimitglied war noch in einer staatsnahen Stellung. 1947 bekam er eine Verlagslizenz der SMAD. Doch ein ganzer Ordner enthält allein die Korrespondenz mit der Zensurbehörde der Sowjetischen Besatzungszone.

“Die Zensurmaßnahmen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Leipziger Verlagsgeschichte zu Ende gegangen ist”, erzählt Prof. Dr. Thomas Fuchs, Leiter Sondersammlungen der Universitätsbibliothek. Auch er hatte am Samstag, 2. April, seinen Auftritt, durfte einige der papiernen Schätze vorstellen, die der Meiner Verlag aus Anlass seines 100. Geburtstages der Universitätsbibliothek schenkte. 160 Ordner, Kästen und Karteien. Das Verlagsarchiv der Jahre nach dem 2. Weltkrieg, als Felix Meiner noch einmal ganz von vorn begann – und 1951 frustriert die sowjetische Besatzungszone verließ, um in Hamburg neu zu beginnen.

In Hamburg ist der Verlag heute noch zu Hause. Und Manfred Meiner, der Enkel, kommt bei diesem Jubiläum schon ins grübeln: “Wie konnte das passieren?” Gerade die Leipziger wissen es ja am Besten, dass es keineswegs mehr normal ist, dass Verlage ihren 100. feiern und dann auch noch im Besitz der Gründerfamilie sind.
Vielleicht liegt es am ganz besonderen Profil des Verlages, der auch heute noch als einer der herausragenden Verlage für philosophische Literatur gilt. Er stellt insbesondere den deutschen Hochschulen die notwendigen historisch-kritischen Ausgaben sowohl der antiken Philosophen als auch der großen deutschen Philosophen zur Verfügung. Hegel, Leibniz und Schelling sind mit Werkausgaben im Programm.

Und mit Philosophie begann ja auch alles 1911. Ein Verlegervorbild gab es schon in der Familie: Arthur Meiner, Halbbruder von Felix, hatte 1890 das legendäre Verlagshaus Johann Ambrosius Barth, spezialisiert auf medizinische und naturwissenschaftliche Schriften, übernommen. In der Schilderung Manfred Meiners klingt es fast so, als hätte Felix nur auf seine eigene Gelegenheit gewartet. Studiert hatte er Ökonomie, promoviert zu einem durchaus modernen Thema, dem Stadtumbau.

Als sich 1911 – aufgrund von Erbstreitigkeiten – die Gelegenheit ergab, die “Philosopische Bibliothek” der Dürr’schen Buchhandlung zu erwerben, tat es Felix und formte aus diesem Grundstock den wohl wichtigsten philosophischen Fachbuchverlag in Deutschland.

Der Gedanke, das Verlagsarchiv nach Leipzig zu geben, war Manfred Meiner also gar nicht fremd. Und als dann auch noch der Leipziger Buchprofessor Siegfried Lokatis die alten Ordner aus den Jahren 1945 bis 1965 begutachten konnte, war auch klar: Das ist ein Schatz. Und in Leipzig wären die Ordner sogar gleich doppelt in guten Händen. Die Leipziger Buchwissenschatler um Siegfried Lokatis hätten wieder Originalmaterial zu einem wichtigen alten Verlag zur Forschung in Händen. Und die Universitätsbibliothek mit ihre Erfahrung im Konservieren würde dafür sorgen, dass die 150 Ordner nicht zu Staub verfielen.

Denn das ist dann bei der Vorführung von Dr. Thomas Fuchs schnell zu sehen: Man hat es mit billigem, säurehaltigen Nachkriegspapier zu tun. Wenn mit diesen Bänden voller Korrespondenzen und Abrechnungen gearbeitet werden soll, muss alle neu gepackt und entsäuert werden. Heil angekommen ist das Archiv schon am 28. März. Da hatte sich Thomas Fuchs kurzerhand in den Transporter gesetzt und hatte das ganze Konvolut aus Hamburg abgeholt.

Die Ordner müssen nicht nur neu gepackt und entsäuert werden, sie müssen auch katalogisiert und digitalisiert werden. In naher Zukunft soll es auch eine Ausstellung geben, die einen Einblick in das reiche Material gibt. Und was die Buchwissenschaftler dann daraus machen, ist wieder eine ganz andere Frage. Immerhin ist es ein nicht ganz unwichtiges Teilchen der Leipziger Verlagsgeschichte, das jetzt offiziell der Universitätsbibliothek gehört.

Den entsprechenden Schenkungsvertrag unterzeichnete Manfred Meiner ganz offiziell beim Besuch in der UB Leipzig. Mit Vorfreude schon auf die nächsten Termine seiner familiären Spurensuche. Die Deutsche Bücherei stand am Samstagnachmittag auf dem Programm, die heute Deutsche Nationalbibliothek heißt. Manfreds Großonkel Arthur Meiner war Mitbegründer der Deutschen Bücherei. Und im Grassi-Museum ging es auf den Spuren des Großvaters weiter, der auch die Liebe zur Stereoskop-Fotografie pflegte. Und im Grassi ist ja ein Teil der aktuellen Schau “Leipzig. Fotografie seit 1839” zu sehen.

Weitere Informationen
www.ub.uni-leipzig.de
www.meiner.de

VGWortLIZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar