Am Samstag, 25. August, erinnern bundesweit organisierte Demonstrationen in Rostock an eines der schäbigsten und finstersten Ereignisse in der jüngeren deutschen Geschichte. Vom 22. bis 26. August 1992 herrschte in dem Rostocker Stadtteil Lichtenhagen Ausnahmezustand. Gewalttätige Randalierer belagerten ein Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter, die am 24. August von der Polizei evakuiert werden mussten. Und 3.000 Neugierige applaudierten dem Gewaltexzess auch noch.

Was jetzt im Vorfeld der Demonstrationen am 25. August in Mecklenburg-Vorpommern geschieht, wird vielen Sachsen vertraut vorkommen. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) versucht das beteiligte Bündnis “20 Jahre nach den Pogromen – Das Problem heißt Rassismus” und die Demonstranten zu kriminalisieren. Er befürchte “linksextremistische Übergriffe” beim Gedenken an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Deshalb werde ein Großaufgebot der Polizei vor Ort sein. “Es wird nicht passieren, dass wir zu wenige Einsatzkräfte haben. Da bin ich ein gebranntes Kind”, wird Caffier zitiert.

“Mit dieser Anspielung auf das Polizeiversagen von 1992 stellt Caffier den antirassistischen Protest bewusst auf eine Stufe mit den Pogromen von Nazis und Rassisten. Der Minister sollte noch einmal darüber nachdenken, wer vor 20 Jahren in Rostock-Lichtenhagen tobte: Nazis und ein rassistischer Mob und nicht Linke”, erklärt dazu das Bündnis. “Lorenz Caffier beweist mit seiner Äußerung, wie wenig in den letzten 20 Jahren in Deutschland dazugelernt wurde. Diejenigen, die gegen Rechts aufstehen, werden kriminalisiert und die tödliche Gefahr, die von Nazis ausgeht, verharmlost.”

Es ist der alte Eiertanz deutscher Politiker, die um ein harmonisches und weltoffenes Außenbild ihrer Regierung mehr besorgt sind als um die Gefahren des latenten Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus – übrigens alles “Tugenden”, mit denen sich Ressentiments und Ängste schüren lassen. Die dann wieder irgendwie dem politischen Machterhalt nutzen.

Das war 1992 in Rostock so, als die Polizei nicht frühzeitig eingriff und den Spuk mit Verhaftungen beendete. Das ist selbst in einer so weltoffenen Stadt wie Leipzig so – Thema Unterbringung der Asylbewerber. Eine Diskussion, die das Sozialdezernat ganz sachlich und fachlich in den gewählten Gremien vorgesehen hatte, und die durch den Auftritt seltsamer Zeitgenossen binnen weniger Tage sehr fremdenfeindliche Töne bekam.

Da passte natürlich die Veröffentlichung der Ergebnisse aus der Bürgerumfrage 2011 gut, die genau nach diesen Ressentiments fragte, dabei die in der Soziologe etablierten Fragestandards anwandte, die für den friedlichen Leser natürlich befremdlich klingen.

Bedienen Fragen, die das Argumentationsmuster vor allem rechtsextremer Parteien aufgreifen, diese Ressentiments oder legen sie nur offen, was sowieso da ist und jederzeit von Leuten, die keinerlei Rücksicht auf Leben und Frieden der Mitmenschen nehmen, mobilisiert werden kann? Eine durchaus ernst zu nehmende Frage. Denn woher nahm die NPD in Sachsen ihre Wahlergebnisse von teilweise über 10 Prozent wie 2004?

Rostock-Lichtenhagen war auch deshalb so nachhaltig, weil sich im Nachgang die bundesdeutsche Asylgesetzgebung immer mehr verschärfte. Bis heute ist nicht untersucht, ob und inwieweit die Anschläge von 1992 nicht sogar inszeniert waren – nicht um die rechtsextremen Parteien in die Parlamente zu hieven, die nach Lichtenhagen einige heute längst wieder vergessene Erfolge vor allem in Westdeutschland feierten, sondern um von den misslungenen ersten Schritten im deutsch-deutschen Einigungsprozess abzulenken. Denn 1992 wurde sichtbar, dass es im Osten keine blühenden Landschaften geben würde, sondern dass es – gegen die üblichen politischen Versprechungen – erst einmal ein wirtschaftliches Tabula rasa geben würde.Und wenn es um Geld und Arbeit und gesellschaftliche Akzeptanz geht, hört bei vielen Zeitgenossen ganz schnell die Friedfertigkeit auf. Diverse Umfragen und Studien behaupteten in den Folgejahren, dass der Rechtsextremismus im Osten in Folge der jahrelangen Diktaturerfahrungen ein besonders fruchtbares Feld gefunden habe. Aber die Studien der Leipziger Forscher Oliver Decker und Elmar Brähler für die Friedrich-Ebert-Stiftung haben mittlerweile recht deutlich gezeigt, dass chauvinistische und rassistische Einstellungen kein Privileg des Ostens sind und auch nicht nur der bildungsferneren und arbeitslosen Schichten.

Es ist ziemlich sicher, dass die Diskussion um solche Einstellungen in Deutschland längst weiter wäre und offener geführt würde, wenn nicht auch und gerade die so genannte “Mitte der Gesellschaft” mit diesen Haltungen so ihre Probleme hätte.

Und so finden sich die ausländerfeindlichen Einstellungen auch in Leipzig in allen Gesellschaftsschichten, mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Selbst 7 Prozent derjenigen, die mit mehr als 2.000 Euro im Monat honoriert werden, äußerten die Ansicht, dass man Ausländern jede politische Betätigung verbieten sollte. Bei denen, die weniger als 1.400 bzw. weniger als 800 Euro verdienen, stieg dieser Wert auf 16 Prozent. Es gibt über die meisten Einkommensgruppen hinweg rund ein Viertel der Befragten, die mit “teils / teils” dazu ihre Position diffus lassen. Die Mehrheit aber in allen Gruppen lehnte die Aussage ab. Genauso, wie die meisten die Aussage ablehnen “Die Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg”.

Dieser Aussage stimmen selbst bei den ganz Armen nur 13 Prozent zu. Dafür ist die Stellungnahme zu “Die in Leipzig lebenden Ausländer sind eine kulturelle Bereicherung für die Stadt” meist im Wischiwaschi-Bereich – rund die Hälfte der Befragten antwortet mit “teils / teils”. Was dann wirklich die Schnittstelle benennt, an der in Deutschland seit 20 Jahren tatsächlich Schweigen herrscht. Politisch gewolltes Schweigen. Man schwatzt zwar viel über Integration, fordert sie meistens aber von den anderen. In der Befragung kam das in der Aussage zum Tragen “Die Ausländer sollten ihren Lebensstil an den der Deutschen anpassen …”

Ist natürlich eine mehr als unsinnige Frage. Denn auch Leipzigs Statistikern fiel auf, dass man selbst als in Deutschland Geborener mit dieser Frage Probleme bekommt: An den Lebensstil welcher Deutscher soll man sich da anpassen? An den der Lederhosenträger oder den der kleinen Möchtegern-Nationalisten? Dass hier 38 Prozent aus Verzweiflung “teils / teils” ankreuzten, versteht man gut. 52 Prozent stimmten der Aussage dann aber mehr oder weniger zu. Was ein Schlaglicht wirft auf die jüngste Leipziger Asyldebatte: Was nicht ausdiskutiert wird, wird zur Keule. Und die wird von seltsamen Leuten geschwungen.

Nein. Niemand muss sich irgendeinem Lebensstil anpassen. Reich wird eine Stadt durch die Vielzahl ihrer Lebensstile. Kultur ist der Reichtum dieser Stile, nicht das, was einige Leute als homogene Sozialstruktur oder ähnlichen Humbug bezeichnen. Und die lebendigsten Städte weltweit sind diejenigen, in denen die Kulturen miteinander kommunizieren – London, New York, Berlin.

Mal abgesehen davon, dass die innovativsten Wirtschaften immer diejenigen sind, die weltoffen sind und die klügsten Köpfe aus aller Welt anziehen können. Womit wir in Sachsen wären und in Leipzig, wo die Integrationsmodelle auch nicht so wunderbar funktionieren, wie mancher glaubt.

Deutlich wurde aber auch durch die “Bürgerumfrage 2011”, dass die Ängste und Vorurteile abnehmen, je mehr und je öfter die Befragten mit Ausländern zu tun haben. Regelmäßigen Kontakt zu Ausländern haben übrigens 55 Prozent der Leipziger. Je jünger, umso mehr. Und je mehr Kontakt sie zu Ausländern haben, um so seltenerer pflegen sie rassistische oder chauvinistische Ressentiments. Die natürlich etwas mit Selbstbild und Selbstbewusstsein zu tun haben – mit Bildung auch. Wer Angst hat vor allem Neuen, allem Fremden und allen unerklärlichen Veränderungen, der sucht häufiger Sicherheit hinter den Plakatwänden von Nationalstolz, provinzieller Überheblichkeit und Abwehr alles Unbekannten.

Rostock-Lichtenhagen ist dieser Tage wieder so ein Jubiläum, das daran erinnert, wieviel in Deutschland unausgesprochen vor sich hin gärt. Dann und wann schwappt es – wie im Fall der Terrorzelle “NSU” – an die Öffentlichkeit. Aber man kann den Politikern dabei zuschauen, wieviel Mühe sie darauf verwenden, das unleidige Thema so schnell wie möglich wieder vom Tisch zu kriegen und lieber nicht zu genau in die Akten zu schauen. Oder schauen zu lassen.

Eine Kundgebung gibt es in Rostock am Samstag, 25. August, 11 Uhr im Stadtzentrum. Um 14 Uhr beginnt eine Demo vom S-Bhf. Rostock Lütten Klein.

Mehr zu den Demonstrationen in Rostock: stopitkampagne.blogsport.de

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