"Jeder Traum, an den ich mich verschwendet/ Jeder Kampf, wo ich mich nicht geschont/ Jeder Sonnenstrahl, der mich geblendet/ Alles hat am Ende sich gelohnt..." Mit diesen ermutigenden Zeilen des Dichters Louis Fürnberg und eigenen Schreibversuchen im Gepäck verließ ich die heimatlich-beschauliche Provinzstadt Dresden, um in Leipzig zu studieren. Ich war 18, und mich lockte der Faust - das Streben nach Wissen und durchaus auch die Studentenkeller. Die Messestadt schien mich mit offenen Armen zu empfangen, mit pulsierendem Leben, mit Charme und Seele. Und ich gestehe: Leipzig war für mich Liebe auf den ersten Blick. Und diese Liebe hat gehalten bis heute.

Diesen Augenblick der staunenden Ankunft vergesse ich nie, denn er entscheidet. Und ich teile ihn mit vielen Ankommenden, den Studenten, den vielen Kreativen, die hier ihren Traum als Maler, Musiker oder Unternehmensgründer verwirklichen wollen, aber auch mit Menschen aus aller Welt, die aus Not ihre Heimat verlassen haben und hier Schutz und Hilfe suchen. Ich möchte, dass Leipzig seine Arme für alle ausbreitet.

Nach dem Studium erhielt ich eine Stelle an der Universität. Ich durfte nicht nur das Mittelalter erforschen, sondern auch Studenten unterrichten und Begabungen fördern. In der Mensa oder in der mb führten wir hitzige Debatten über die Grünen als neuer politischer Kraft, über eigentlich verbotene Demos gegen die Stationierung von Atomraketen und schließlich über die Verbesserung unseres Landes.

Kann man noch mehr erträumen? Wie wär’s mit einer eigenen Wohnung in Leipzig, für mich und meine größer werdende Familie? Bezahlbar war der Wohnraum wohl, jedoch nur schwer zu haben. Jahrelang pendelte ich zwischen der Leipziger Uni und einer 300-Seelen-Gemeinde nahe des Böhlener Braunkohlewerkes, wo wir bei Verwandten lebten. Das bedeutete, in aller Frühe mit dem Schichtbus oder per LKW los zu trampen, um möglichst pünktlich in der Vorlesung zu sein. Abends war das ein langer Weg (von Zwenkau aus) zu Fuß. Damals begann mein Traum von einer Verbesserung des ÖPNV. Auf diesem Gebiet bleibt auch heute noch viel zu tun…
Den Tag des Einzugs in die erste, mit Hilfe von vielen Freunden und Kollegen selbst ausgebaute Leipziger Wohnung mit Kachelofen begehe ich noch heute als persönlichen Feiertag. Dabei freue mich über das Wiederaufleben dieser schönen Idee des individuellen Selbstausbaus in Gestalt der AusBauHäuser, die es seit 2011 ergänzend zu den Wächterhäusern in Leipzig gibt – als Einladung an junge kreative Leute und Familien zum Verweilen.

Die beste Nachricht zum Jahresende ist auch diesmal für mich: In Leipzig werden wieder mehr Kinder geboren (ganz entgegen Meldungen über allgemeine “Gebärunlust” in Gesamtdeutschland). Kinder kommen an – auf der Welt, hier bei uns. Ich sehe sie schon toben auf den Spielplätzen im Clarapark oder jubeln auf dem Riesenrad am Weihnachtsmarkt.

Für mich selbst war immer klar: Zu meinem Leben gehört beides, Beruf und Kinder. Ich konnte noch auf ein gut ausgebautes Netz von Kindergärten und -krippen zurückgreifen, bis weit in die 90er Jahre. Den jungen Frauen, die heute vor der Entscheidung stehen, wünsche ich ungebrochenen Mut, für ihren Traum zu kämpfen (mit Kinderwagen vorm Rathaus oder in Initiativgruppen), aber auch kluge Politiker, die rechnen können und sich bei der Kita-und Schul-Bedarfsplanung nicht “verschätzen”. Die sich dafür einsetzen, dass alle Kinder, unabhängig vom Einkommen der Eltern, gute Startbedingungen in Einrichtungen und später Schulen vorfinden.

Als meine Tochter Jugendweihe hatte, pflanzten wir für sie einen Baum im Clarapark. “Lebe deine Träume” steht auf dem kleinen Schild auf der Stele daneben und “für eine baumstarke Stadt”. Das Bäumchen sagt: Hier hast du deine Wurzeln, nun kannst du wachsen – bis in die Wolken.
Tausende solcher Bäume sind in den letzten Jahren gepflanzt worden, an allen Ecken und Enden Leipzigs. Es kann nicht grün genug werden in der Stadt der Träumer, Radfahrer und Spaziergänger. Manchmal winke ich dem wachsenden Baum, wenn ich laufe, quer durch den Park, vorbei am Glashaus – von der Parkbühne weht Musik zu mir herüber – und über die Brücken. Auf der Sachsenbrücke habe ich – wie viele Leipziger – meinen Platz gefunden. Ich sehe gern den Kanuten und Ruderern beim Training zu, freue mich über jeden Erfolg, den sie für Leipzig erringen.

Dann träume ich von einer Paddeltour durch all die weit verzweigten Kanäle, bis in die immer weiter werdende Seenlandschaft. In wenigen Jahren schon wird man vielleicht vom Stadthafen aus durch die Auelandschaft bis zum Zwenkauer See fahren können. Fantastisch, denke ich und erinnere mich an die Zeit, als ich auf meinem täglichen Weg die “Mondlandschaft” der Tagebaue passieren musste.

Vieles, was Leipzig liebenswert macht und seinen Bewohnern ein Zuhause-Gefühl vermittelt, geschieht in Vereinen und Initiativen. Hier gibt es Rat und Hilfe, sportliche und kulturelle Aktivitäten, Anlaufstellen für Kinder und Senioren. Ein weites Feld, zu dessen Teil auch ich in den letzten Jahren immer mehr geworden bin. Auch hier wünsche ich mir trotz knapper Kassen von der Stadt (bzw. Bund und Land) mehr Unterstützung. In Vereinen zu arbeiten verlangt Kontinuität, vor allem des Personals, auch wenn ehrenamtliche Mitarbeiter sich oft bis zur letzten Kraftreserve engagieren.

Wenn ich mit Kindern einer Schule eine Bibliothek mit Begegnungszentrum aufbaue, wenn Vertrauen wachsen soll, dann braucht das Zeit und darf nicht, weil die Stelle endet, nach einem Jahr wieder abgebrochen werden. Erst recht, wenn es um junge Menschen geht, die in ihrem Leben vielleicht schon mal gescheitert sind und nun mittels Keramikausbildung, Computerunterricht und sozialpsychologischer Betreuung eine neue Chance erhalten sollen.

Kurz gedachte Maßnahmen und ein bisschen Geld aus Fördertöpfen helfen da nur wenig.

Das wichtigste, was ich gelernt habe, ist, jungen Leuten zuzuhören, ihre Träume zu verstehen und zu unterstützen. Sie gestalten die Stadt der Zukunft in ihrer ganzen Vielfalt. Ich finde es toll, wenn so etwas entsteht wie kürzlich die Gruppe “Essenz” – eine Gruppe von Schülern, die mit Unterstützung ihrer Lehrer Bücher und Gebrauchsgegenstände sammeln, um für Asylbewerber eine Bibliothek und mehr einzurichten. Mit dieser und anderen Aktionen wollen sie ein gemeinschaftliches Miteinander fördern. Die Offenheit der Bürger für die Bücheraktion erwies sich als einfach großartig. Und da war es wieder – dieses Leipzig, das die Arme ausbreitet und Ankommende freundlich aufnimmt.
Eine Fahrt mit dem sensiblen Leoliner der Straßenbahnlinie 7 will ich mir noch gönnen und der Georg-Schwarz-Straße einen Besuch abstatten. Dies ist wohl das Pflaster, wo sich derzeit am meisten bewegt wie zuvor in Lindenau und Plagwitz. Die Verbindungsstraße von Lindenau nach Leutzsch war nach 1990 eher ein Boulevard of broken dreams, nun schafft die Magistralenförderung die Chance, ein Stück weit den Traum der altansässigen und neu ankommenden Bewohner vom “Boulevard des Westens” oder “Broadway” zu gestalten. Kleine Cafés, Läden und Galerien entstehen, Fassaden werden begrünt, und das im Umbau begriffene Brunnenviertel soll zum nachbarschaftlichen Wohnen mit Gemeinschaftgärten einladen.

Ich schaue gerne mal rein in den Stadtteilladen des traditionellen BürgerVereins Leutzsch e.V., hier habe ich lange Zeit gern gearbeitet und hatte einen Chef, der Dienstbesprechungen mit neuen Texten oder eigenen Songs beginnt und nun bald zum 4. Mal mit Freunden das Musikfestival “Leutzsch rockt” im Wasserschloßpark auf die Bühne bringen wird. Da lebt sich’s gut, und junge Bands bekommen die Chance, sich zu präsentieren. –

Der Goethe sitzt mal wieder im PILOT am Centraltheater in der Gottschedstraße. Auch so ein Angekommener, wenngleich das fast 250 Jahre her ist. Er ist offenbar schon beim dritten Glas Merlot und sinniert über das gerade gesehene Stück “Mein Faust”. “Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder, was er mag” ruft er mir entgegen und lädt mich zum Verweilen ein. Ich glaube, ich bleibe jetzt noch eine Weile hier. Das kann ein gutes Gespräch werden.

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