Der Blick ist stur geradeaus gerichtet: Es gilt, Liebertwolkwitz zu erreichen. Auf dem Weg dorthin gelange ich in eine Siedlung, wie ich mir eine Trabantenstadt vorstelle. Etwa das britische Milton Keynes. Dabei hat man mir hier nichts getan und es gibt sogar einen Weg, auf dem ich, ohne mich hier groß aufhalten zu müssen, aus der Stadt gelange ...

Es ist unfassbar, aber ich muss schließlich auf einen großen Discounter zurückgreifen, um mein Hungergefühl zu stillen. Die Sonne scheint mittlerweile heiß, weswegen ich schlicht nur Energie brauche und nichts, was mich unbedingt ordentlich satt machen soll. Lust, mich hinzusetzen, habe ich sowieso nach wie vor nicht. Und schon beim Anblick der Waffelröllchen und der Schokokekse weiß ich, dass deren letztes Stündlein bald geschlagen haben wird.Auf der Prager Straße will ich nicht bleiben. Das Teilstück kenne ich gut genug, biege stattdessen in die Crednerstraße ein. Logisch, dass der Parkplatz am Berufsschulzentrum komplett leer ist. Selten genug kommt es vor. Auch hier, in Probstheida, ist es ruhig. Eine Rentnerin zieht ihre mobile Einkaufstasche hinter sich her, ansonsten ward auf der engen Crednerstraße, deren Altbauten zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Architekten Carl James Bühring entworfen wurden, niemand gesehen. Bühring ließ vorwiegend aus Backstein bauen, der hier im Gegensatz zu den Bauten in der Lößniger Straße, in der Weidenhofsiedlung in Mockau oder der Bärenburg im Leipziger Zoo, kaum in Erscheinung tritt.

Von den Gedanken an den Baustil Bührings muss ich mich wenig später frei machen. Ich erreiche die Franzosenallee. Die Gebäudeensembles empfinde ich als Trabantenstadt. Der moderne Wohnungsbau mit seinen verwendeten Werkstoffen und den hellen Farben wirkt so steril, so glatt. Dazu trägt auch die akkurate Anordnung der Straßen bei, die es gewiss auch in anderen Siedlungen gibt. Wohlfühlatmosphäre kommt in mir nicht auf. Vielleicht entwickelt das Wohngebiet in 50 Jahren den Charme, den ich in Altbausiedlungen wie in der Crednerstraße spüre. Vielleicht bin ich aber auch einfach schon zu müde, um für das Fluidum empfänglich zu sein. Letztendlich bin ich froh, dass ich die Vielzahl der Wohnhäuser, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass die Einwohnerzahl Probstheidas seit der Wende um die Hälfte gestiegen ist, umgehen kann.
Von der Franzosenallee geht ein kleiner Pfad ab, der um eine Pferdekoppel führt. Ein Warnschild weist darauf hin, dass der Zaun elektrisch geladen ist, die Pferde beißen und Füttern verboten ist. Schade für all die Eltern, deren Kinder zu gern mal ein Pferd streicheln wollen. Aber so ist sie, die Natur. Und von ihr bekomme ich so langsam wieder mehr mit. Es wird ländlicher. Nachdem ich im Süden einmal die Wohnhäuser hinter mir gelassen habe, liegt ein großes Feld zwischen mir und dem Beginn des Ortsteils Holzhausen. Noch ist es ein weiter Weg bis dorthin, aber auf dem Pfad kommt man gut voran. Nördlich davon ist ein kleiner Wasserlauf, südlich ein klitzekleiner Hügel, auf dem sich eine Frau sonnt. Von hier hat man einen herrlichen Blick auf den längsten Wohnblock Leipzigs. Oder sogar Deutschlands? 1970 lebte ein Drittel der Bevölkerung Probstheidas in diesem Wohnblock, unter anderen hatte auch der leider mittlerweile verstorbene Fußballtrainer Jörg Berger eine Wohnung dort. Angeblich kann man mit Mofas durch die Gänge fahren, was sich ob der unglaublichen Länge sicher auch lohnen würde.

Ein Ponyhof beginnt genau im Grenzgebiet zwischen Probstheida und Holzhausen. Ich hatte auf dem Stadtplan nicht bemerkt, dass die Feldstraße mich eher ohne große Überraschungen in die Siedlung führen wird. So bleibt mir ein wenig Zeit, den für kurze Zeit unkonzentrierten Blick über die Kornfelder schweifen zu lassen. Ursprünglich wollte ich noch einen Schlenker über Zuckelhausen machen, aber das spare ich mir. Mein Fuß schmerzt, es wird auch so noch ein langer Weg nach Liebertwolkwitz werden. Vielleicht ist irgendwann einmal Zeit für eine Tour durch die Dörfer rings um Leipzig.

In Holzhausen, das laut Gemarkungsgrenzen hier eigentlich Zuckelhausen genannt werden müsste, wohnt man vorwiegend in Ein- und Zweifamilienhäusern und man sagt wahrscheinlich auch, dass man in Holzhausen wohnt. Zumindest bezeichnet auch ein Schild an der Feldstraße den nun betretenen Ortsteil als Holzhausen. Die Internetrecherche ergibt aber, dass das “echte” Holzhausen eigentlich nordöstlich von hier liegt.

Die Siedlung hier kenne ich schon länger, aber trotzdem kenne ich niemanden von denen, die nun im Vorgarten stehen, am Haus werkeln, sich über ihre Zäune hinweg unterhalten oder an ihrem Pool liegen – der im übrigen aufgrund der Temperaturen immer einladender wird – persönlich. Ob man erwartet, dass ich grüße? Ich werde jedenfalls schräg angeschaut. Aber ob das am Gruß liegt oder am Outfit?

Ich brauche seit der Crednerstraße wieder meinen Stadtplan, sehe folglich aus wie ein Tourist. Aber was will schon ein Tourist hier? Ein BMW fährt gleich dreimal an mir vorbei. Ist der Fahrer eine Art ABV, der sich kundig machen will, wer in sein “Revier” kommt? Er spricht mich jedenfalls nicht an, obwohl ich ihm einiges erzählen könnte. Zum Beispiel von meiner Sehnsucht nach Liebertwolkwitz, was ich wegen einer spontanen Wegänderung doch erst mit Verspätung erreichen werde …

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