Es ist ein kurzer Satz. Aber er sagt alles. Und er enthüllt einen der wesentlichen Gründe dafür, warum ein 34-jähriger Arbeitsloser im Mai im Jobcenter Leipzig eine Mitarbeiterin mit dem Hammer angriff und schwer verletzte. Das Jobcenter Leipzig betitelt sein Statement zum Urteil des Landgerichts Leipzig am Freitag, 15. November, mit "Wir tolerieren keine Gewalt in unserem Haus". Wir natürlich auch nicht, aber wo liegen die Gründe für so eine Tat?

“Das Gericht hat sein Urteil gefällt und dem Recht damit genüge getan. Für uns als Jobcenter geht es jetzt darum, den Blick wieder nach vorne zu richten. Unsere Aufgabe ist es, für die Menschen da zu sein, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind”, wird darin Dr. Simone Simon, Geschäftsführerin im Jobcenter Leipzig, zitiert.

“Natürlich haben wir im Nachgang dieser Tat, die für uns alle ein schwerer Schock war, unser Sicherheitskonzept auf den Prüfstand gestellt. Dabei haben wir einige Dinge verändert und erweitert, um die Sicherheit in unserem Haus für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Besucherinnen und Besucher weiter zu verbessern. Bei alledem wissen wir, dass es 100-prozentige Sicherheit in einem Jobcenter ebenso wie in jeder anderen öffentlichen Einrichtung nicht geben kann”, erklärt Simon. Und sagt dann den Satz, der alles, was als sich als Missverständnis und Ignoranz zu dem Gebilde “Jobcenter” entwickelt hat, bündelt: “Ich sage aber ganz deutlich: Wir tolerieren keine Gewalt, keine Bedrohungen, Beleidigungen oder dergleichen in unserem Haus, dagegen gehen wir konsequent vor.”

“Dass diese Tat bei unserer Kollegin äußerlich und vor allem innerlich Spuren hinterlässt, kann sich jeder ausmalen”, sagt sie noch. “Es ist zu früh, jetzt darüber zu spekulieren, wann und wo sie wieder ins Berufsleben zurückkehren kann – das wird erst die Zukunft zeigen.”

Die Leidensgeschichten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern Deutschlands aufzuarbeiten, ist eine eigene Geschichte. Sie sind die Rädchen in einem bürokratischen System, das 90 Prozent seiner Energie und seiner Ressourcen nicht in die – schnelle – Vermittlung von Menschen in Arbeit investiert, sondern in Nötigung, Sanktion und Gängelei verschwendet.
Darüber, wie sehr das einst von der von ihm geleiteten Kommission ausgedachte Reformpaket im politischen Prozess verdreht und ins Gegenteil verkehrt wurde, erzählte Peter Hartz ja gerade am 15. November in der “Süddeutschen”. Es ist zu einem System geworden, das Menschen eben nicht nach kurzem Aufenthalt im “ALG II” wieder in einen anständig bezahlten Broterwerb bringt, sondern deutschlandweit Millionen zu Langzeitarbeitslosen gemacht hat. Fast hätte ich geschrieben “auf dem Niveau von Sozialhilfe”. Aber das wäre falsch gewesen. Mit den finanziellen Sanktionierungen werden viele von ihnen deutlich unter das Sozialhilfeniveau gedrückt, teilweise wird ihnen über Monate jede finanzielle Unterstützung entzogen. Und das, obwohl für viele Betroffene gar keine Arbeitsplätze auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Oft werden diese Menschen genötigt, unter Bedingungen eine Arbeit anzunehmen, die sie auch weiter zu Bittstellern beim Jobcenter macht. Die so genannten “Aufstocker” gehören hierher.

Aber auch die öffentlichen Beschäftigungsprogramme werden nicht dazu genutzt, die zum Teil seit Jahren aus dem Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen für diesen wieder fit zu machen, wie das so schön heißt. Hunderte von Leipziger Betroffenen haben schon mehrere Runden durch diese an Dantesche Höllen erinnernden Beschäftigungsprogramme hinter sich. Und nur die Wenigsten haben noch die Kraft, sich überhaupt noch auf irgendeine Art für die Bewahrung ihrer simpelsten Menschenrechte einzusetzen – indem sie zum Beispiel einen Anwalt nehmen, um gegen die durch kein Grundgesetz abgedeckten Sanktionen vorzugehen.

Viele dulden nur noch, leiden, grämen sich im Stillen oder lassen ihre Verzweiflung an Mensch und Mobiliar aus. Die über die Jahre immer weiter verstärkten Sicherungsmaßnahmen an den Einrichtungen des Jobcenters haben doch ihre Ursachen. Die Verantwortlichen wissen ganz genau, in welche Verzweiflung sie all die Menschen treiben, die Woche für Woche zu ihnen kommen, um Unterstützung bei der Rückkehr in eine tragfähige Beschäftigung zu suchen.

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Doch statt Hilfe bekommen sie Druck und Sanktionen. Auch der Mann, den die Presse jetzt so vollmundig “Hammertäter” nennt, hat eine lange Sanktions(vor)geschichte beim Jobcenter Leipzig. Nur hat er augenscheinlich keine Hilfe bei einem Rechtsanwalt gesucht, sondern seine Verzweiflung mit dem Hammer ausgetobt. Und zwar an dem Menschen, den er für sein Schicksal für verantwortlich hielt – seiner Sachbearbeiterin.

Die bestenfalls auch nur ein kleines Rädchen ist in einem System, in dem auch die Leipziger Verwaltung und die Leipziger Stadträte ihre Aktie haben. Die L-IZ hat nun schon mehrmals über die Berichte des Jobcenters und die darin festgeschriebenen Zielparameter berichtet. Nicht nur der Bund, auch die Stadt Leipzig hat ein einziges Ziel wirklich in den Mittelpunkt gerückt: die Kosten drücken, die Zahlen runter. Um jeden Preis.

Kein Wort davon, was eine solche Maschinerie für Folgen hat – vom psychischen Druck auf die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, denen gar keine Spielräume mehr bleiben, ihre Klienten tatsächlich wie hilfesuchende Menschen zu behandeln, bis hin zum Pressing auf die Jobsuchenden, die eben leider selten bis nie die Voraussetzungen für eine einfache Vermittlung haben. Doch statt ihnen zu helfen, ihre Handicaps zu mindern, werden sie sanktioniert.

Die Gewalt, die in deutschen Jobcentern längst präsent ist, hat sehr viel mit dieser unmenschlichen Intoleranz zu tun. Und die ist politisch gewollt. Leider, muss man sagen. Peter Hartz deutet es nur recht zurückhaltend an, aber was die Verantwortlichen aus dem Reformpaket von 2002 gemacht haben, ist ein menschenverachtendes Instrumentarium. Vom “Fördern” ist fast nichts übrig geblieben. Jetzt die Null-Toleranz auch noch zur wichtigsten Handlungsmaxime im Jobcenter Leipzig zu erklären, erzählt im Grunde auch von der längst vollzogenen Vereinsamung der Handlungsebene. Die Verantwortlichen sind augenscheinlich allesamt schon so lange in diesem gnadenlosen System, dass sie gar nicht mehr wahrnehmen, was sie anrichten.

Peter Hartz zur “Hartz”-Reform in der “Süddeutschen”:
www.sueddeutsche.de/wirtschaft/peter-hartz-im-interview-wir-muessen-aus-dieser-gleichgueltigkeit-raus-1.1819060

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