Frauentag ist in Leipzig immer so ein bisschen wie Wahlkampf. Insbesondere die Parteien aus dem linken Spektrum nutzen den Tag in der Regel, um daran zu erinnern, dass Politik auch weiblich ist. Oder sein sollte. Und dass in vielen Bereichen der Gesellschaft Gleichberechtigung noch längst nicht selbstverständlich ist. Aber 2014 ist natürlich Wahljahr. Da geht's auch zum 8. März etwas turbulenter zu.

“Stellen Sie sich vor, 82 Prozent der Frauen machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch! Stellen Sie sich weiter vor, die Wahlbeteiligung liegt insgesamt bei etwas über 83 Prozent”, sagt Eva Brackelmann, Landesvorsitzende der SPD-Frauen Sachsen und SPD-Landtagskandidatin in Leipzig, zu diesem nach wie vor wichtigen Tag.

“Diese Zahlen sind keine Utopie, sondern geschehen vor 95 Jahren, bei der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919. Frauen durften in Deutschland damals zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht ausüben”, ergänzt Katharina Kleinschmidt, SPD-Stadtratskandidatin im Leipziger Südwesten.

“Der Internationale Frauentag ist nicht nur ein Tag, um gleichstellungspolitische Forderungen aufzustellen, sondern sich auch der Stärke und der Vielfalt von uns Frauen bewusst zu werden”, so die zweifache Mutter Brackelmann weiter. “Gleichstellung kommt nicht von selbst. Wir brauchen in Sachsen sowohl gesetzliche Regelungen als auch einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wie Chancengleichheit für Frauen und Männer verwirklicht werden kann.”

In Sachsen, der Wiege der Frauenbewegung, und gerade in Leipzig, der Stadt, in der Frauen wie Louise Otto-Peters und Clara Zetkin wirkten und ihre Spuren hinterlassen haben, müsse es möglich sein, über den 8. März hinaus, Frauen in den Mittelpunkt des politischen Geschehens zu stellen.

Frauen stemmen einen Kern der gesellschaftlichen Arbeit, die konkreten Lebensumstände von Frauen sind für die sächsische Staatsregierung jedoch weiter Nebensache. Frauen sind auch in Leipzig vielfältig: Töchter, Mütter, Großmütter, berufstätige Frauen, alleinstehend, jung oder alt.

“Wir nehmen den Internationalen Frauentag 2014 zum Anlass, um die ganz Vielfalt der Frauen zu motivieren, ihr Wahlrecht zu nutzen: Zur Kommunal- und Europawahl und zur Landtagswahl”, betonen Kleinschmidt und Brackelmann. “Wir zitieren gerne Elly Heuss-Knapp, 1919: ?Frauen werbt und wählt, jede Stimme zählt, jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt!?”

In Leipzig sind die SPD-Frauen am Sonnabend, 8. März, in verschiedenen Stadtteilen unterwegs und verteilen Rosen. Start ist um 11:00 Uhr am Straßenbahnhof Angerbrücke. Aber nicht nur Rosen verteilt die SPD. Und das sorgt seit ein paar Tagen für einen gewissen Wirbel.

Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März veranstalten SPD-Stadtrat Tino Bucksch und Stadtratskandidatin Katharina Schenk (SPD) zwei gemeinsame Infostände im jeweiligen Wahlgebiet. Ab 9:30 Uhr werden auf der Grassistraße, Ecke Haydnstraße (Höhe Konsum) Kita-Plätzchen verteilt, um auf die Herausforderungen der Kommune in diesem Bereich aufmerksam zu machen. Um 11:00 Uhr wird die Aktion im Wahlkreis Nordost am Rabet (Höhe Aldi-Markt) fortgesetzt.

Unterstützt wird diese Aktion von der SPD-Bundestagsabgeordneten Daniela Kolbe, dem SPD-Landtagsabgeordneten Holger Mann und den Jusos Leipzig. Daniela Kolbe und Holger Mann werden die beiden jungen Kandidat/-innen bei ihrer Aktion auf der Haydnstraße begleiten. Die Jusos Leipzig sind bei beiden Aktionen u.a. durch ihren Stadtvorsitzenden Frank Franke vertreten.

“Der Internationale Frauentag ist ein Tag, den es zu würdigen gilt. Er sollte uns immer daran erinnern, wie viel noch auf allen Ebenen in Sachen Gleichstellung zu tun ist”, so Bucksch zu seiner Motivation. “Immer noch müssen sich vor allem Frauen zwischen Karriere und Kind entscheiden. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen, ausreichend Kita-Plätze und Schulen – es gibt viele Dinge wo die Kommune gezielt anpacken kann. Auf diese Handlungsfelder wollen wir mit unserer Kita-Plätzchen-Aktion aufmerksam machen”, so Schenk weiter.

“Natürlich können wir als Stadträte nicht allein an den großen Stellschrauben drehen. Es geht aber auch darum, ansprechbar zu sein und die Themen gegebenenfalls weiter zu geben. Daher freuen wir uns auf viele gute Gespräche mit den Leipzigerinnen und Leipzigern”, so Bucksch.
Aber das mit den Plätzchen fanden dann die Grünen nicht so toll. Wie kann man so ein ernsthaftes Thema wie fehlende Kita-Betreuungsplätze mit Plätzchen verniedlichen?

“Zum einen ist die Kita-Platz-Suche kein Frauen-Problem! Die Kita-Platz-Suche ist eine Herausforderung für Väter und Mütter gleichermaßen”, kommt die Kritik von den Grünen. Die SPD verstärke damit das veraltete Bild der Frau, die scheinbar immer noch für die Kindererziehung zuständig ist, und ist damit vom Rollenverständnis der CDU nicht weit entfernt.

“Warum sich die SPD gerade den Internationalen Frauentag für diese Aktion ausgesucht hat, ist schleierhaft und zeigt deutlich die verkrusteten Rollenbilder in der SPD. Kindererziehung und Betreuung betrifft beide Elternteile, das sollte inzwischen auch bei der SPD angekommen sein. Frauen werden in unserer Gesellschaft immer noch benachteiligt, sei es bei der Bezahlung oder bei den Aufstiegsmöglichkeiten – Gleichstellungsprobleme gibt es viele. Warum sieht die SPD die schwierige Situation bei der Kinderbetreuung allein als ‘Frauenproblem’ und verhärtet eingeschliffene Rollenbilder (alternativ Muster?)? Warum macht sie keine solche Aktion am Männertag?”, meint Stephan Stach, Stadtratskandidat für Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis Leipzig Ost.

Zum anderen verkenne die Aktion den Ernst der Lage: Die SPD Leipzig stelle mit Prof. Fabian den Sozialbürgermeister, der maßgeblich für den Kita-Ausbau verantwortlich sei und in den letzten Jahren den Ausbau regelrecht verschlafen habe.

“Was nützen Kita-Plätzchen? Es fehlt an Kita-Plätzen! Das ist eine Farce für alle Eltern, die jetzt auf der Suche sind, Kitas abtelefonieren und abklappern. Die SPD steht in der Verantwortung der Eltern – statt Plätzchen zu verteilen, sollte man den Ausbau vorantreiben”, meint Christin Melcher, Vorstandsmitglied der Leipziger Grünen. “Diese Aktion muss ein Schlag ins Gesicht vieler Eltern sein. Außerdem verklärt die SPD damit ihre eigene Verantwortung gegenüber den Eltern.”

Es sei Zeit für eine verantwortliche Gleichstellungspolitik. Diese beinhalte auch eine verantwortliche Familienpolitik – in der Frauen und Männer gleichermaßen für die Kinderbetreuung zuständig seien. Dazu gehöre es eben auch, dass genügend Kita-Plätze vorhanden seien. Da könnte die SPD ansetzen, anstatt Süßigkeiten zu verteilen.

Aber das lässt Eva Brackelmann so nicht im Raum stehen. “Wahlkampfaktionen einzelner Personen repräsentieren nicht zwangsläufig die ganze SPD Leipzig. Kitaplätzchen haben die sächsischen SPD-Frauen im Bundestagswahlkampf als starkes Zeichen gegen das Betreuungsgeld verteilt. Das ist der Ursprung der Idee”, sagt sie zur Plätzchen-Debatte. “Am Internationalen Frauentag 2014 haben wir SPD-Frauen nun entschieden, die Frauen in ihrer Vielfalt in den Mittelpunkt zu stellen: Von der berufstätigen Mutter, über die alleinstehende Frau bis zur Alleinerziehenden, von der Großmutter bis zur Tochter. Die Lebenslagen von Frauen in Leipzig und Sachsen sind bunt und lassen sich nicht auf ein Rollenbild reduzieren. Wir SPD-Frauen wissen aus eigener Erfahrung, dass die Wege von Frauen sich immer verändern und das ist auch gut so.”

Katharina Kleinschmidt und und Eva Brackelmann werden also am Samstag ab 11:00 Uhr an der Angerbrücke stehen und Pl… – nein: Rosen verteilen. Als minimale Geste an die Leipzigerinnen, sagt Eva Brackelmann und als Angebot, sich selbst zu definieren. “Seid Ihr schon mal als Zicke, Diva oder Biest bezeichnet worden, weil Ihr Euch klar positioniert habt oder einfach anders seid, als sich das so manch andere Partei wie die CDU wünscht? Es gibt Buttons ?Zicke, Diva, Biest? – es können auch alle drei mitgenommen werden.”

Und natürlich habe dieser Frauentag auch nach 95 Jahren noch eine Menge mit Politik zu tun. “Am Internationalen Frauentag 2014 setzen wir den Schwerpunkt auf die Stärke von Frauen und dass sich Frauen genau diese Stärke bewusst machen sollen. Eine Möglichkeit diese Stärke einzusetzen, ist das Wahlrecht. Und von diesem Wahlrecht können Frauen 2014 vielfach Gebrauch machen: Bei der Kommunal- und Europawahl am 25. Mai und bei der Landtagswahl am 31. August. Die Frauen können ihre Lebensumstände durch ihre Wahlentscheidung beeinflussen.”

Traditionell feiert auch die Linke diesen Tag. Ohne Plätzchen, dafür mit Rosen.

Am Samstag, 8. März, werden Leipzigs Linke an insgesamt 50 Stellen 6.000 Nelken und 6.000 Postkarten verteilen und darauf aufmerksam machen, dass sich ihre Partei seit vielen Jahren innerhalb und außerhalb des Parlamentes für Frauenrechte einsetze. “Auch in Leipzig werden nach wie vor Frauen sozial benachteiligt und für die gleiche Tätigkeit wesentlich schlechter bezahlt als Männer”, betont Kreisvorsitzender Volker Külow.

Eine Frauentags-Postkarte mit fünf Forderungen gibt’s auch:

1. Die Aktualisierung und konsequente Umsetzung von Frauenförderplänen in allen Bereichen der Stadtverwaltung, städtischen Betrieben und Unternehmen mit städtischer Beteiligung.

2. Die Einführung einer Frauenquote für die Besetzung von Leitungsfunktionen.

3. Die Vergabe von städtischen Aufträgen nur an Unternehmen, die das Prinzip “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” zu einem Stundenlohn von mindestens 10 Euro einhalten.

4. Den Erhalt und die finanzielle Absicherung bestehender Kinder- und Frauenschutzhäuser.

5. Die Zurückdrängung von sexistischer Werbung im öffentlichen Raum der Stadt Leipzig.

Und auch die FDP taucht diesmal mit einem Infostand mit Stadtführung “Engagierte Frauen in Leipzig” auf.

Am Samstag, 8. März, findet der nächste Infostand der FDP Leipzig zur Stadtratswahlwahl ab 10:00 Uhr in der Petersstraße/ Ecke Markt (am Hugendubel) statt. Anlässlich des Frauentages bietet die Stadtführerin Sylvia Kolbe, Mitglied der FDP und Kandidatin für die Stadtratswahl im Wahlkreis 6, für Interessierte einen Innenstadtrundgang zum Thema “Engagierte Frauen in Leipzig” an. Der Stadtrundgang beginnt um 13:30 Uhr am Infostand der FDP Leipzig.

Ganz unpolitisch hingegen ist ein Angebot im GRASSI Museum für Völkerkunde: “Zwischen Mythos und Realität: Die Macht der Frau”.

Frauen scheinen oft benachteiligt: In einigen Gesellschaften in der Welt ist Frauen die Teilhabe an zeremoniellen Zusammenkünften untersagt, in Männerhäusern ist die Weitergabe von Wissen streng nach Geschlechterzugehörigkeit getrennt und wichtige Entscheidungen werden vom Häuptling oder vom Dorfältesten gefällt. Doch wie zeigt sich die Macht der Frau?

Das Leipziger Völkerkundemuseum lädt auf einen Streifzug durch verschiedene Erdteile und Zeiten ein. Die starke Rolle der Frau wird anhand von Beispielen beleuchtet und hinterfragt.

Die Faitradetown-Gruppe wird den Museumsbesuchern zum Internationalen Frauentag fair gehandelte Rosen schenken, die von Fairtrade Deutschland zur Verfügung gestellt wurden. Der Hintergrund soll die Solidarität mit den Frauen im globalen Süden sein, die oft unter schlechten Arbeitsbedingungen arbeiten.

“Zwischen Mythos und Realität: Die Macht der Frau”, am Samstag, 8. März, 15:00 Uhr mit Museumspädagogin Sylvia Wackernagel im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig (Johannisplatz 5-11). Eintritt: 2 Euro + Eintritt Dauerausstellung.

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