Leipzigs Kulturbürgermeister Michael Faber (Die Linke) ist sich zwar sicher, dass das Sächsische Oberlandesgericht der Stadt Leipzig im Verfahren um den Wettbewerb für das Freiheits- und Einheitsdenkmal irgendwie zu zwei Dritteln Recht gegeben hätte. Aber ganz so ist es nicht. Und es war ja nicht irgendwer, der geklagt hatte: Es waren die Sieger des Wettbewerbs, die sich da gewaltig über den Löffel balbiert fühlten.

In einem Brief an alle Stadtratsfraktionen, an die Verantwortlichen in Bund und Land sehen sich jetzt ANNABAU und M+M genötigt, die Adressaten darüber aufzuklären, was das Gericht tatsächlich entschieden hat und warum sie nicht vollkommen Recht bekamen. Denn dazu hätten sie die Rüge für den neu eingeführten Wettbewerbsschritt aufrecht erhalten müssen. Dann wäre es nicht zum zweiten Verfahrensschritt gekommen, in dem am Ende das Wettbewerbsergebnis völlig auf den Kopf gestellt wurde.

“Weiterentwicklungsphase” nannte es die Stadt. Und irgendwie scheint man im Rathaus tatsächlich zu glauben, dass man hier einfach wieder ansetzen, ein bisschen pflastern und dann zum Ziel kommen könne.

Aber die Wettbewerbssieger sehen nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts diesen Weg nicht mehr.

“Wird die Weiterentwicklungsphase nun wiederholt, wird ein offensichtlich – wie die Vergabekammer ausdrücklich bestätigt – regelwidriges Verfahren fortgesetzt, das lediglich aus den genannten formellen Gründen gerichtlich nicht insgesamt gestoppt werden konnte”, schreiben sie in ihrem Brief. “Dies wird dem Verfahren insgesamt und dem damit verbundenen Anliegen nicht gerecht. Der Bau eines Denkmals, welches den Mut und die Zivilcourage der Bürger/-innen beim Einsatz für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte 1989 würdigen sollte, droht damit durch politisches Taktieren beschädigt zu werden. Ein solcher Schaden betrifft nicht nur die Denkmalkultur in Leipzig, sondern die gesamte Denkmaldiskussion im deutschen und europäischen Kontext.”

Etwas, was Leipzig eigentlich vermeiden wollte, in dem es ein klar geregeltes Vergabeverfahren wählte. Und mit der Jury-Entscheidung im Juli 2012 wurde auch sichtbar, dass so ein Verfahren sehr wohl zu einem Ergebnis kommen kann. Keinem explizit künstlerischen – aber das lag an der Formulierung der Ausschreibung, wo die Stadt zum ersten mal taktierte und irgendwie eine eierlegende Wollmilchsau bestellte – ein Denkmal, das auch gleichzeitig ein Stadtplatz sein sollte, aber auf keinen Fall mit traditionellen künstlerischen Mitteln. Womit die eigentlichen Künstler, insbesondere die Bildhauer, von vornherein aus dem Rennen waren. Erstaunlich, dass der Bund bildender Künstler nicht schon an dieser Stelle auf die Barrikaden ging.Wer im Juli 2012 die Ausstellung der Wettbewerbsergebnisse sah, konnte auch sehen, dass die Jury sehr wohl die drei besten Einreichungen ausgewählt hatte. Und mit dem Entwurf “70.000” von ANNABAU / M+M landete auch durchaus ein Entwurf auf Platz eins, der ein gewisses Etwas hatte: Warum nicht in einem bunten Platz-Mosaik die 70.000 Mutigen vom 9. Oktober würdigen? Als Laie hätte man noch vorschlagen können, die Sache mit den Alu-Hockern wegzulassen und lieber den ganzen Platz bunt zu machen, gar mit 100.000, 150.000 farbigen Kacheln. Warum nicht? Demokratie braucht immer so viele Mitstreiter wie möglich.

Aber dann warf sich eine Tageszeitung als Meinungsmacher in die Bresche, kürte den drittplatzierten Entwurf zum Liebling ihrer Leser. Und danach schien Leipzigs Verwaltung nur noch bemüht, diesen Entwurf unbedingt durchzubringen. In diesem Moment begann die Verbiegung des Wettbewerbs.

Und so stellen die Wettbewerbssieger in ihrem Brief jetzt fest: “Die Verantwortlichen für den aktuellen Verfahrensablauf haben durch ihre Vorgehensweise nicht nur die Wettbewerbsteilnehmer getäuscht, sondern auch alle engagierten Teilnehmer, die an der Vorbereitung des Wettbewerbes beteiligt waren und nicht zuletzt alle engagierten Bürger, die sich für ein angemessenes Denkmal zur friedlichen Revolution eingesetzt haben.”

Ob die in Leipzig Verantwortlichen jetzt noch die Kurve kriegen, daran zweifeln ANNABAU /M+M: “Der vollkommene Mangel an Einsicht und das weitere Beharren auf die Fortsetzung eines intransparenten Verfahrens, das offensichtlich nicht mit dem Vergaberecht konform ist, lässt uns an dem Willen und der Fähigkeit des Auslobers, die Entstehung des Denkmals in einer würdigen und rechtlich einwandfreien Art zu betreuen, zweifeln.”

Einzige Chance, den jetzigen Wettbewerb zu retten, wäre der vollkommene Verzicht auf eine “Weiterentwicklungsphase” und ein obskures “Bewertungsgremium”.

Die Wettbewerbssieger in ihrem Brief: “Eine Lösung des Problems könnte nach unserer Einschätzung darin bestehen, dass die Stadt Leipzig die von ihr initiierte Weiterentwicklungsphase freiwillig zurücknimmt, d.h. das Verfahren in den Stand nach der ursprünglichen Preisgerichtsentscheidung zurückversetzt und auf die Durchführung der rechtswidrigen Weiterentwicklungsphase verzichtet. Dies würde selbstverständlich nicht bedeuten, dass eine Überarbeitung der Entwürfe ausgeschlossen ist. Eine Bereitschaft hierzu haben alle Verfahrensbeteiligten mehrmals bekräftigt. Durch die Weiterentwicklung darf eben nur nicht das Ergebnis des Wettbewerbs, welches durch das Votum des Preisgerichts zum Ausdruck gekommen ist, auf den Kopf gestellt werden.”

Eine mögliche Lösung: “Wir schlagen zudem vor, die Leitung des weiteren Verfahrens treuhändlerisch an eine unabhängige Institution abzugeben. Dringend notwendig wäre nun auch, alle Beteiligte an einen Runden Tisch zu laden, um die Möglichkeiten zu erörtern, wie man das Einheits- und Freiheitsdenkmal doch noch auf einen guten Weg bringen kann.”

Nur die Rückkehr zu einem ordentlichen und transparenten Wettbewerbsverfahren bietet jetzt noch die Chance, den laufenden Wettbewerb zu retten. Da hilft kein Tricksen und Hinbiegen mehr.

Der Offene Brief in voller Länge als PDF zum Download.

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