Der Preis hat es nicht einfach, obwohl er sich ein edles Ziel gestellt hat. "Die Rössing-Stiftung hat vor allem den Zweck, besonders begabte Textautoren und Fotokünstler für das schönste Buch über Leipzig bzw. seine Region auszuzeichnen", heißt es auf der Website der Stiftung, die aus dem Lebenswerk des Leipziger Fotografen-Ehepaars Roger und Renate Rössing hervorgegangen ist. 2014 bekommt ein Fotoband über Grünau den Preis.

“Die Rössing-Stiftung verleiht den Rössing-Preis 2014 für das schönste Fotobuch über die Region Leipzig an Antje Stumpe für ihr Buch ‘Paradise lost?: Auf der Suche nach dem Paradies im Plattenbau'”, teilte die Stiftung am Donnerstag, 17. April, mit. Erschienen ist der Fotoband schon 2011 beim Pro Leipzig e.V.

Aber der Preis wird nur alle zwei Jahre vergeben – und zwar im Wechsel zwischen Fotografen und Buchautoren. Der Grund dafür ist in der doppelten Beschäftigung der Rössings zu finden, die ihre Heimatstadt nicht nur fotografisch würdigten, sondern ihr auch mehrere eindrucksvolle Bücher widmeten. Im Ergebnis bekamen 2010 erstmals zwei Foto-Bände den Preis: die “Leipziger Wasser- und Parklandschaften” von Bernd Sikora und Peter Franke (Edition Leipzig 2009) und “Weltnest. Literarisches Leipzig 1970 – 1990” von Helfried Strauß und Peter Gosse (Mitteldeutscher Verlag 2008). 2012 wurde der Leipziger Dichter Andreas Reimann für seinen Leipzig-Gedichtband “Bewohnbare Stadt” gewürdigt.

Diesmal fiel die Entscheidung der Jury für Antje Stumpes “Paradise lost?: Auf der Suche nach dem Paradies im Plattenbau”, ein Fotobuch, das im Grunde aus einem Forschungsprojekt hervorgegangen ist. Denn Grünau, die Plattenbausiedlung im Leipziger Westen, stand jahrelang – medial betrachtet – irgendwie auf der Kippe. In DDR-Zeiten ein heißbegehrter Ort zum Wohnen, verlor der Stadtteil nach 1990 massiv an Einwohnern. Auch 2011 war noch nicht wirklich klar, ob die über Jahre reichenden Stabilisierungsvorhaben fruchten würden. Grünau verlor auch dann noch Einwohner, als sich andere Leipziger Problemviertel längst wieder auf Wachstumskurs befanden.

Das Buch – 2011 mit einer Crowdfunding-Aktion co-finanziert – erschien an einem Wendepunkt, den Antje Stumpe selbst so beschreibt: “Erinnertes Paradies. Verlorenes Paradies. Aber was ist geblieben? Was hat sich geändert? Was wird sein? Das sind die Fragen, die sich mir stellten und mir Anlass gaben, als Diplomthema meine Heimat zu wählen, unter dem fotografischen Fokus: ‘Paradise lost?’ Die Dualität der eigenen Erinnerungen an das Kindheitsparadies und der scheinbar verlorene Ruf der Plattenbausiedlung bilden die Thematik meiner Arbeit: eine fotografische Spurensuche nach dem Paradies …”

Antje Stumpe, geboren 1979 in Leipzig, ist selbst in Grünau aufgewachsen und erlebte selbst etwas, was man als Abiturient selten erlebt: Wo die Schule stand, wächst eine wilde Wiese. Verschwunden ganz ohne Krieg. Der “Stadtumbau Ost” hat seltsamste Spuren hinterlassen. Antje Stumpe ist ausgebildete Fotografin und hat ihr Diplom an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle im Fachbereich Kommunikationsdesign erworben.
“Ich habe über ein Jahr an diesem Projekt gearbeitet. Es hat Schweiß, Blut und Tränen gekostet, so dass es zu schade wäre, es einfach in der Schublade verschwinden zu lassen”, schrieb sie 2011, als es ums Geldeinsammeln für das Buchprojekt ging. “Viel zu viele Menschen haben mir geholfen, mir Rede und Antwort gestanden, mir Türen geöffnet. Es ist ein Buch entstanden, was dem negativen Image der Plattenbausiedlung entgegenwirken könnte. Es ist ein Buch über das Paradies entstanden.”

Ein Buch, das auch zeigt, dass sich Außen- und Innenwahrnehmung eines Stadtteils radikal unterscheiden können. Oft sind es tatsächlich diejenigen, die in den heiß diskutierten Orten aufgewachsen sind, die den oft oberflächlichen Diskussionen erst Tiefe und Gehalt geben können. Wenn sie sich den einmischen und die Diskussion nicht immer nur “denen da oben” überlassen.

“Antje Stumpes Blick ist anwaltlich und tritt ein in einen angespannten Diskurs um die Lebensqualität und die Zukunftschancen eines Quartierstyps”, schrien Dr. Katrin Großmann 2011. “Herablassend und verständnislos die eine Seite, defensiv und wütend die andere. Kann man diesem Quartierstyp eigentlich noch neutral begegnen?”

Ganz geklärt ist die Zukunft Grünaus noch nicht. Denn auch wenn der Bevölkerungsverlust gestoppt ist und in den nächsten Jahren die Bevölkerungszahl wieder wachsen sollte, ist noch längst nicht beschlossen, dass in Grünau nicht jene soziale Konfliktfelder entstehen, die aus dem Herzen der Stadt Leipzig so nach und nach verdrängt werden.

Katrin Großmann: “Mein Blick auf Grünau ist nicht mehr so offen wie der meiner Kinder. Als Soziologin schaue ich mit Sorge auf manche soziale Entwicklungen und frage mich, ob irgendwann die negativen Bilder vom sozialen Brennpunkt doch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden. Und ich ärgere mich maßlos über andere, auch Wissenschaftler, die undifferenziert, unachtsam oder respektlos von den Slums des 21. Jahrhunderts reden. Denn neben dem sprichwörtlichen Blick der Kinder ist noch etwas ganz sicher immer offen: die Zukunft.”

Und genau das, diese offene Zukunft, die aus einer keineswegs versperrten Vergangenheit wächst, zeigt der Foto-Band von Antje Stumpe.

Die feierliche Preisverleihung findet am Freitag, 25. April, um 19:30 Uhr im Haus des Buches (Gerichtsweg 28) statt.

Die Rössing-Stiftung – gegründet aus dem Vermächtnis der bekannten Leipziger Fotografen und Buchautoren Renate und Roger Rössing – hat sich als Aufgabe gesetzt, besonders begabte Textautoren und Fotokünstler für das schönste Buch über Leipzig bzw. seine Region mit dem Rössing-Preis auszuzeichnen. Diese Preisvergabe erfolgt alle 2 Jahre. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert.

www.roessing-stiftung.de

Zur Facebook-Seite:
www.facebook.com/pages/Paradise-lost/284417521596789

Zur Crowdfunding-Kampagne:
www.startnext.de/gruenau-buch

proleipzig.eu

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