Amazon, Seattle, Sherlock Holmes, Nepal, Literaturbertrieb, Knasterfahrung und noch viel mehr kommt zur Frage im ellenlangen, epischen Interview mit David Gray. Viel Lesestoff. Aber extrem unterhaltsam. Wie ein gutes Leben: lang und unterhaltsam. Und kaum zu bremsen. Ein Meilenstein der Journalistikgeschichte, kein Kiesel, nein, ein Berg.

Hallo David Gray. Hier vor mir liegt Dein Krimi “Kanackenblues”, herausgekommen beim umtriebigen Pendragon-Verlag. Ein hartes Stück Dichtkunst. Uff. Aber Krimi, Alter. Muss das sein? Macht das nicht jeder? Was unterscheidet Deine Krimis von der Dutzendware auf den Ramschtischen des Literaturbetriebs?

Gegenfrage, Volly, was soll so mies an Krimi sein? Heute ist doch der Begriff “Krimi” ungefähr so breit gefächert wie Belletristik, ich glaube, ein Kollege hat mal ausgezählt, dass es bei dem Onlinehändler, zu dem wir, wie ich fürchte, später noch kommen werden, exakt 23 Unter- und Hauptkategorien für all das gibt, was man so als Krimi oder Thriller bezeichnet. Das ist schon irre. Und löst bei mir manchmal schon auch Kopfschütteln aus, wenn es da in der Kategorie heißt “Weibliche Detektive”, die ich dann aber noch mit Liebesschnulze und/oder Erotik kombinieren kann und sogar auch noch ein weiteres Mal auffächern und mein Buch dann sogar noch unter “lesbisch” oder “hetero” eintakten könnte.

Also Krimi ist inzwischen wahrscheinlich echt fast schon ein  Bläh-Begriff geworden. Regen ist nass. Das ist eine Erkenntnis, die keinen mehr aus den Socken haut. In Krimis gibt’s Verbrechen. Das ist alles. Aber das ist andererseits auch verdammt cool. Denn, auch das muss mal gesagt werden, abgesehen davon, dass du ein Verbrechen benötigst, um deinen Text zum Krimigenre zu qualifizieren,  kannst du im Krimi machen, was Du willst.

Man kennt ja auch andere Kollegen, die  für andere Genres schreiben. Weißt du, was es alles für – neuhochdeutsch – No-Gos zum Beispiel im Liebesroman gibt? Da wird dir als Kreativdirektor deiner eigenen Kreativität aber anders. Schwul geht da nur unverheiratet. Wehe, wenn da die beste schwule Kumpeline der Bridget-Jones-mäßigen Hauptfigur sich mit einem verheirateten Kerl einlässt und eine gute klassische Ehe zu zerstören droht! Das geht gar nicht. Und schwarz und weiß oder gelb und weiß oder grün und gelb oder blau und orange  zwischen den Laken geht da auch nicht und bisexuell ist eben auch so eine Sache über die man in den Verlagsmarketingabteilungen die Näschen über den gelben, grünen und rosa Schlipsen rümpft.

Oh Mann, so habe ich das glücklicherweise noch nie sehen müssen, David.

Ich sage da doch: Krimi? Na was denn sonst?! Neben dem Liebe-und-Gedöns-Fach (ja, ich freue mich auch auf all die Kommentare, die sich über diese Begriffswahl beschweren!) ist Krimi immerhin auch noch das, was sich am besten verkauft. Selbst wenn auch wieder jeder in der Branche gerade wieder lauter über fallende Umsätze meckert.

Krimi, wenn er richtig gemacht ist und eben nicht nur aus dem Schreibbürofließband kommt, wie – leider! – aktuell ziemlich viele Titel, gibt dir die Chance, deine Hauptfiguren während ihrer Ermittlungen am selben Tag für den Leser absolut glaubhaft und nachvollziehbar durch die Gossen zu schleifen, wie sich in den Verwaltungs- und/oder Firmenpalästen zu tummeln. Das zeige mir mal in einem anderen Genre! Und da ist noch ein Aspekt, den ich persönlich am Krimi sehr schätze. Es nimmt dir da keiner übel, wenn Du dem Volk wirklich aufs Maul schaust und da so O-Töne und Sprüche aus dem wahren echten tosenden Leben verbaust. Das kommt mir als Dialogvielschreiber enorm entgegen und macht unheimlich Freude.

Gut, Krimi ist zum Bläh-Begriff verkommen. Aber früher hieß es schließlich auch: Der König ist tot! Es lebe der König! Der Krimi ist zum Allerweltsgenre heruntergekommen. Na und? Es lebe der Krimi. “End of Story”, wie Detective Chief Inspector Gene Hunt aus meiner Lieblingskrimiserie “Life on Mars” gesagt hätte.

Was meine Krimis besser oder anders als die der sehr verehrten und geschätzten Kollegen macht? Um die Frage NICHT mehr selber beantworten zu müssen bin ich doch zu einem Verlag gegangen, Volly! Die können das besser als ich und die werden dort auch dafür bezahlt, das besser zu können.

In Deiner Vita las ich folgenden Satz: David Gray ist Autor des Kindle Hits “Wolfswechsel”. Was ist denn ein Kindle-Hit? Von was für Zahlen und Umsätzen reden wir bei einem Kindle-Hit eigentlich?

So, da wären wir dann bei “The Elephant in the room”, dem bösen Kraken aus Seattle, dessen kulturimperialistischen Tentakel unsere Buchwelt hier im schön beschaulichen Deutschland innerhalb von knapp vier Jahren mal einfach so vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Und, nein, ich hab da gerade keinen Metaphernbruch begangen, sondern meine das so: Amazon hat mit seinem Kindle eReader die Buchwelt vom Kopf wieder auf die Füße gestellt. Es haben nur noch nicht alle gemerkt. Oder, falls sie es doch bemerkt haben sollten, dann beißt man sich eher die FAZ-kampfbegriffsgestählte Zunge ab, bevor man es dann doch irgendwann leise nuschelnd eingestehen würde.

Oh Mann, David, ich weiß, wovon Du redest, bin ja auch gerade deshalb aus dem Sächsischen Literaturrat raus. Diese ganzen Elite-Diskutanten in den Fördergeld-Verbrenn-Anstalten haben doch überhaupt keinen Zugang mehr zur Realität.

Eben, alles ideologischer Mist. Denn bei den Menschen aus Seattle stehst Du erst mal in deiner Rolle als Autor im Vordergrund. Punkt. Was die brauchen und wollen um ihren eReader Käufern deren Investition in die eReader und die Kindle-App schmackhaft zu machen, sind jede Menge Schreiber, die ihre Texte bei denen hochladen und anbieten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Doch das allein, so simpel das scheinen mag, hat die Branche inzwischen revolutioniert.

In den klassischen Großverlagen spielen Spitzenautoren die Hauptrolle. Als Midlistschreiber warst du da manchmal nicht immer nur auf Rosen gebettet.  Und, klar, bestätigen hier auch wieder die Ausnahmen die Regel. Schöne Grüße ans “Heyne Hardcore”- Team und einige andere. Aber der Sinneswandel in den Managerstuben der Großverlage, wieder mehr hin zum Autor, hat erst vor relativ kurzer Zeit begonnen. Und der Zeitpunkt dafür fällt eben mit dem Moment zusammen, als absehbar war, dass eBooks sich auch hierzulande durchsetzen werden.

Sicher, bei den kleinen, aber sehr feinen Verlagen war man früher und ist es auch heute noch, sehr an Literatur und deren Autoren interessiert. Bei Pendragon bist du wer als Autor und warst das auch früher schon. Nur haben die Kleinen und Feinen es traditionell besonders schwer am Markt.  Geld zu verdienen ist da als Autor nur bedingt. Mein Vermieter und der Bäcker und die Kontrolettis der Bahn oder Bimmel interessiert es aber nicht, wenn ich denen stolz verkünde, ich sei zwar zu pleite um ein Ticket zu bezahlen, aber ich sei eben auch Literat und zwar bei einem verdammt guten, branchenweit hoch angesehenem Verlag. Die werfen mich trotzdem an der nächsten Station hinaus und stellen mir dann noch dazu einen ansatzunverschämten Geldbetrag als Strafe fürs Schwarzfahren in Rechnung.

Die Leute  aus Seattle lassen mich mein Geld verdienen. Verkaufe ich Bücher, dann landen meine Tantiemen dafür so pünktlich auf meinem Konto, wie das Gehalt vom öffentlich verwalteten städtischen Hauptrasenmäherpfleger auf dessen Konto landet.

Der Autor – beinah schon in der Rolle als kleiner Angestellter.

Nun ja, ein Angestelltenverhältnis ist aber auch nicht immer das Erstrebenswerteste.

Ja, stimmt, mehr als das tun die Jungs und Mädels aus Seattle natürlich auch nicht für Dich. Da sind Verlage dann doch schon anders aufgestellt, die sorgen dafür, dass Dein Buch in jeder Buchhandlung, wenn schon nicht im Verkaufsregal steht, dann aber bestellbar ist und in der Regel da im Laden um die Ecke auch innerhalb von 24 Stunden lieferbar bleibt, solange die Auflage reicht. Das ist definitiv nicht zu verachten. Und, man sollte es wiederholen, eure Buchhandlung um die Ecke hat ihre Buchlieferung schneller im Kasten, als die von Amazon bei euch landen kann.

Trotzdem kannst Du als Autor mit denen aus Seattle eben rechnen. Vorausgesetzt, dass Du Zeit, Talent und Chuzpe genug hast, dich um deine selbstpublizierten eBook-Titel auch marketingtechnisch zu kümmern.  Das ist, was ich meine, wenn ich behaupte, die eBook Revolution hat die Buchbranche vom Kopf wieder auf die Füße gestellt.

Wieso nochmal genau?

Weil zu lange nicht die breite Masse an Autoren in der Branche im Vordergrund stand, sondern nur die Marketingstrategen der Buchhandelsketten, die Verkaufsjongleure der mittleren und größeren Verlage und dann erst mal – nach einer ganzen Weile Nichts – auch die Lektoren und Autoren. Dabei sind und bleiben die es, die der ganzen unüberschaubaren Maschinerie erst das Grundnahrungsmittel Text in den ewig gefräßigen Rachen hinein produzieren.

Jetzt will ich aber auch Zahlen hören, was ist denn nun ein Hit?

Was ein Kindle-Hit sei, fragst Du? Na vor zwei, bis zweieinhalb Jahren hatte ich mit meiner Holocaustfluchtgeschichte “Wolfswechsel” mal einen. Die hat sich innerhalb von eineinhalb Jahren reichlich 30.000 Mal verkauft. Und das war mein Versuch, anspruchsvolle Literatur zu verfassen. Soviel dazu, dass sich sperrige Themen und niveauvolle Texte nicht verkaufen ließen. Heute ist die Welt der selbstpublizierten Bücher so schnell geworden, dass 30.000 gar keine echte Größe mehr darstellen.

Im Februar wurde die sehr sympathische Kollegin Poppy J. Anderson mit ihrer Sportler- und Liebesstoryserie zur ersten eBook-Millionärin in Deutschland. Das bedeutet nicht, dass sie ihre erste Euro-Million mit eBooks verdient hätte, wie mancher zu glauben scheint. Sondern, dass sie wortwörtlich über eine Million eBooks an die Leser gebracht hat.  Gemessen daran sind meine Zahlen dann doch sehr, sehr bescheiden.

Teil zwei des ellenlangen, epischen Interviews auf L-IZ.de

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