Zum Jahreswechsel sollte Zeit und Muße sein, zurückzublicken und in sich zu gehen, die Gedanken auf Reisen zu schicken und vielleicht auch eigene Sichten zu hinterfragen. Um dann ausgeruht und gestärkt weiterzumachen. Oder etwas zu ändern. Tanner fragte bei Menschen nach und ließ sie reden, frei nach Heinrich Böll (im Aufsatz "Die humane Kamera" 1964) "...dass die Menschen nicht überall gleich, sondern überall Menschen sind, deren Menschwerdung gerade erst begonnen hat."

2015 bimselt ja gerade aus. Welches Thema hat Dich denn in diesem Jahr besonders bewegt und warum?

Natürlich ist immer das letzte Ereignis das, was gerade am meisten bewegt. Und ja, ich habe nach bzw. schon während der Terroranschläge in Paris weinend vorm Fernseher gesessen und danach gefühlt tagelang auch kein Auge zugemacht. Aber es gab viele Ereignisse in diesem Jahr, die mich geschüttelt haben. Positiv und auch negativ.

Und von Deinen ganz persönlichen Erlebnissen. Welches war das Einschneidenste?

Am euphorischsten bin ich momentan über die Tatsache, dass ich Tante werde. Meine “kleine” Schwester ist nämlich schwanger. Und da wir beide ziemlich schwere Zeiten zusammen durchstehen mussten, freue ich mich wie Bolle, dass dieser große Wunsch für sie endlich in Erfüllung geht. Und hey – ich bin sowieso die coolste Tante der Welt. Außerdem bin ich frei. Ich habe eine Trennung hinter mir, die für mich das Ende einer großen Qual bedeutet. Ich mag gar nicht ins Detail gehen, aber ich bin mir selbst irgendwie dankbar, dass ich den Mut hatte, auszubrechen. Mut ist überhaupt die Lösung. Für alles.

Zum Leben gehört ja auch Entwicklung, wenn’s gut geht, sogar Geistige. Befindest Du Dich da gerade auf einem Weg? Besonders, da zwischen den Tagen und im Jahresumbruch ja gerne auch Zeit ist für Tiefgang? Berausch uns bitte mit Deiner Sicht der Dinge.

Da sind wir wieder beim Mut. Man muss Mut haben, das Herz auf der Zunge zu tragen. In jeder Hinsicht. Das fängt bei diesem elenden braunen und weltfremden Pack an, das ich zutiefst verachte und endet im “Kleinen”, bei der Liebe zum Beispiel. Da ist das “Herz auf der Zunge” ja irgendwie aus der Mode gekommen, so scheint es mir zumindest. Jeder ist derart mit sich beschäftigt, damit, den Job nicht zu verlieren, damit, den schönen Schein zu wahren, dass Prioritäten an der völlig falschen Stelle sitzen. Und dabei ist das Leben so schnell vorbei, wir müssen den Menschen, die wir lieben, das doch so oft und so schnell wie möglich sagen, oder?

Aber nein, wir Menschen warten ab, wägen ab, zweifeln, checken Hintergründe noch mal sorgfältig und dann … ist die Chance vertan. Und dann denke ich darüber nach, wie man Menschen vermitteln kann, dass sie wahrscheinlich mit 90 nicht daran zurückdenken, wie großartig lange Tage im Büro waren. Aber ich glaube, das kann man nicht. Entweder, man bekommt vom Leben teils schmerzhafte Lektionen und lernt es, oder man wird immer einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn die Steuererklärung ein paar Tage überfällig ist. Gut, meine Mutter würde jetzt sagen: “Kind, dir scheint zu oft die Sonne aus dem Hintern!”, aber ich kann’s nicht ändern. Ich lasse gern andere an meiner Lebensfreude teilhaben und nehme viele Dinge einfach leicht.

Was wünschst Du Dir von Deinen Mitmenschen im neuen Jahr und warum?

Ach, Volly, ich wünsche mir von meinen Mitmenschen gar nichts. Ich glaube, man sollte erstmal bei sich anfangen und Wünsche äußern. Unser gemeinsamer Freund Steffen Lukas meinte neulich: “Man sollte einmal am Tag mit sich selbst in den inneren Gottesdienst gehen.”. Und auch wenn ich nicht an einen Gott glaube, damit hat er Recht. Und ich wünsche mir von mir selbst im kommenden Jahr, dass ich noch viel öfter die Kraft habe, diesen “Check” mit mir selbst durchzuführen. Denn einfach ist es wahrlich auch nicht, sich selbst einzugestehen, dass man zum Beispiel einen Fehler gemacht hat und den jetzt besser schnell ausbügeln sollte.

Ich las gerade folgenden weisen Satz: “Dick macht nicht, was man von Weihnachten bis Neujahr isst, sondern was man von Neujahr bis Weihnachten isst.” Da sind wir beim Genusse. Wie ist’s mit dem Speisen und Trinken bei Dir an den Tagen? Was gibt es auf die Teller? Besonderheiten?

Das ist MEIN Thema! Ich kann es gar nicht oft genug erwähnen: Ich habe im fast vergangenen Jahr 35 Kilo abgenommen. Ich bin soooooo stolz! Das habe ich geschafft, weil ich wirklich diszipliniert Sport gemacht und gesund gegessen habe. Das ist mir mittlerweile auch so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich auch jetzt darauf achte, dass es nicht zu viele Marzipankartoffeln in meinen Einkaufskorb schaffen. Aber klar, ich genieße die Zeit trotzdem. Und Mamas Gänsebraten lass ich mir bestimmt nicht entgehen. Allerdings hab ich immer im Kopf: Wenn man weniger Energie verbraucht, als man zu sich nimmt, passen bald die Jeans nicht mehr. Ganz einfache Rechnung. Also gibt’s nach der Gans einen extralangen Spaziergang.

Und welche Wünsche möchtest Du Dir selber 2016 erfüllen?

Dazu muss ich sagen, dass ich manchmal ja gar nicht merke, dass ein neues Jahr anfängt. Ich finde Silvester einfach nur furchtbar. Deswegen ist es schon oft passiert, dass ich am Silvesterabend um 23 Uhr ins Bett gegangen bin und alles war wie immer. Ich brauch kein neues Jahr, um mir Wünsche zu erfüllen. Und überhaupt, wenn man ständig nur überlegt, was man sich wünscht, weil man’s nicht hat, dann läuft doch auch irgendwas schief. Nee, ich möchte auch mal wunschlos glücklich sein.

Bist Du glücklich? Fühlst Du Dich schön?

Ja, das bin ich eben! Ich habe eine unglaublich tolle Tochter, die jetzt hier in Leipzig arbeitet und studiert und die sich zusammen mit ihrem Freund eine Wohnung in dem Haus gemietet hat, in dem ich wohne. Wie geil ist das denn? Ich konnte im vergangenen Sommer nach ca. 15 Jahren endlich mal wieder kurze Sommerkleider anziehen, das bedeutet wohl auch, dass ich mich schön fühle. Damit hatte ich zugegebenermaßen ganz schön zu kämpfen, denn wenn man von dem Menschen, mit dem man zusammenlebt, jahrelang zu hören bekommt “Du bist alt, faltig, fett und hässlich”, sieht man sich selbst irgendwann auch so. Aber das ist, wie ich schon erwähnte, ein abgeschlossenes Kapitel und ich weiß jetzt wieder, dass das Leben herrlich ist. Ich habe großartige Freunde, einen fantastischen Job, unglaublich liebe Kollegen und die beste Familie der Welt – lieber Volly, ich bin so glücklich wie lange nicht mehr.

Danke für Deine Antworten.

Es war mir ein inneres Weihnachtsbutterplätzchen mit Vollmilchschokoladenüberzug und bunten Streuseln.

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