„Geben ist seliger denn nehmen“. Bevor die Apostelmahnung des Paulus aus Kapitel 20 über Gebühr strapaziert wird, sei ihr Gehalt einmal bildungsbezogen betrachtet. Geben. Wer gibt im zähen Prozess der Bildung eigentlich? Logo. Der Lehrer dem Schüler. Er – oder, Pardon, natürlich auch Sie – empfängt vom Lehrer, Pardon, auch der Lehrerin, den Stoff. Klingt komisch. Ist aber so. Wie sollte es auch anders sein? Schüler empfängt Stoff vom Lehrer. Faltengebirge, Induktionsschleifen, Schwefelsäure, Goethe. Er nimmt es dann auf, also ihm wird es aufgeschwatzt. („Vermittelt“ klingt besser.) Sind Lehrer in allererster Linie Verkäufer? Pardon, VerkäuferInnen?

Jetzt kein Diskurs zu pädagogischen oder sogenannten „Gender“-Fragen. Dazu später. Bleiben wir zunächst beim Geben. Denen der Lehrer oder die Erzeuger oder der Herrgott etwas gegeben hat, praktisch schon während der Entbindung – die nennt man Begabte. Die haben etwas, was andere nicht haben, sind wirklich etwas Besonderes. Kleine Mozarts, Einsteins. Kleine Goethes findet man eigenartigerweise selten. (Woran das wohl liegt?) Egal. Begabte. Sind die in Hochform, sagt man auch schnell einmal Hoch-Begabte.

Ich traf zuletzt so einen von ganz oben. So einen Hochbegabten. Mathematiker. Teilnehmer an der Internationalen Mathematikolympiade. Unter den Top 6 seiner Altersgefährten in der Welt. Rechnet wie ein kleiner Gott. Schmunzeln musste ich, als er auf die Frage nach seiner „Lieblingsdisziplin“ mir schüchtern „Elementargeometrie“ nannte. (Ich bin froh, wenn ich so etwas überhaupt schreiben kann.) Auch für „Zahlentheorie“ könne er sich begeistern. Wenn ich mich an meine Oberstufenschulzeit erinnere, hätte ich wahrscheinlich die Flucht ergriffen.

Aber jetzt bleibe ich. Frage ihn nach seinen weiteren Plänen. Nach seinem Berufswunsch. Mathematiker wolle er werden. Klar. Dumme Frage aber auch von mir. Er wirkt keineswegs vorwurfsvoll, lächelt vielmehr verständnisvoll. Das scheint einer zu sein, den die Sache interessiert, der Gegenstand, das Problem, welches gelöst werden muss. Dazu sucht man sich immer wieder neue Herausforderungen. Macht es sich selbst immer schwerer. Misst sich an sich, weniger am Anderen. Mit wem sollte er sich denn auch rechts und links neben sich messen? Das imponiert mir.

Wie er die Förderung seiner Begabung erfahren habe, frage ich ihn. Bis jetzt klang mir alles zu glatt, zu einfach. Trotz Mathematik. Er lobt seinen Lehrer, der ihn unbürokratisch unterstützte, förderte, ihn nicht als Exponenten schlechten Gewissens vor den anderen Schülern gebrauchte. Das sei aber nicht die Regel, meinte er, macht mir damit mein Bemühen leichter, kritisch zu hinterfragen. Geniegefährten seines Alters hätten es schwerer, spürten den Neid, manchmal auch den Frust der Umwelt, wenn eine fachliche Herausforderung bevorstand, die gelöst werden sollte.

„Geben ist seliger denn nehmen.“ Das klingt so einfach. Das können wir, wenn zu Spenden für die Armen und Schwachen aufgerufen wird. Das können wir, wenn wir persönliche Wertschätzung empfangen. Das können wir, wenn unser Herz berührt wird. Dann fühlen wir uns noch besser. Warum sollte ich aber einem Genie überhaupt etwas geben? Der hat doch schon alles, was er braucht? Woher wissen wir das? Sind wir Hellseher? Und beim „Sozialamt für gerechte Komplimentenverteilung“ angestellt? Nein. Wir sind Menschen, die ihrer eigenen inneren Größe folgen und sich im Verhalten gegenüber anderen aktiv tolerant und wertschätzend verhalten können.

Wir sind Verkäufer. Freundlich. Offen. Auf den Mitmenschen gerichtet. Liefern Qualität. Alles klar soweit? Und wir haben es nicht zu eilig mit der Bezahlung.

Das Bildungsalphabet erschien in der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier von A-Z an dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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