„Keine Zeit für Zärtlichkeit“ las ich zuletzt in einer Überschrift einer großbürgerlichen Tageszeitung. Nanu? Was ist denn das für ein Signal, dachte ich im ersten Moment. Sind es nicht gerade die Zeiten im aufkommenden Rechtspopulismus und Demokratiebedrohungen, in denen man enger zusammenrücken und -halten sollte?

Mehr Empathie (ein großes Wort) wagen, dem Hass entschieden entgegenzutreten, wie auf den immer noch anhaltenden Demonstrationen in Wort und Transparent gezeigt wird. Mehr Empathie wagen, ja – um es mit Brecht zu sagen – ist eben das „Einfache, das schwer zu machen ist.“

Sie habe endlich ein gutes Gefühl unter den Menschen, wenn sie auf eine Demo gegen rechts geht; es sei doch gut, dass sich so viele Menschen endlich für ein überindividuelles Ziel und den Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung einsetzten. Sagte mir zuletzt eine etwas verwundert fragende Abiturientin, als ich diese zivilgesellschaftlichen Willensbekundungen in den Städten und ländlichen Kommunen – leicht skeptisch – erwähnte. Und ich hätte doch im Geschichtsunterricht immer darauf verwiesen, dass die erste deutsche Demokratie nach 1919 am Mangel an Demokraten zugrunde gegangen sei. Oder nicht?

Alles richtig. Bis dahin. Nur versuchte ich ihr und ihren Kursmitgliedern auch zu verdeutlichen, dass in der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung der Weimarer Republik stets und ständig der Keim eines rechtsgerichteten Autoritarismus vorhanden war. Wie eine potenzielle Energie unter der demokratischen Oberfläche, die nur darauf wartete, in „Bewegung“ zu geraten, zu einer mächtigen politischen Bewegung zu werden. Das fatale Initial war die „große Krise“ 1929/30, welche rasend schnell die gesamte Weltwirtschaft erfasste und katalysierende Wirkung für den heraufziehenden Faschismus entfaltete.

Und der war kein deutsches Phänomen allein. Beinahe alle deutschen Nachbarstaaten waren von der nationalistischen, zerstörerischen Ideologie des Turbokapitalismus, in verbrämter Form „Nationalsozialismus“ genannt, in den 1920er und -30er Jahren erfasst worden.

Polen steckte unter Marschall Jozef Pilsudski (der „Held“ im Kampf gegen die „bolschewistische Diktatur“ Lenins und Stalins) ab 1926 in einer Art Militärdiktatur, Nachbar Österreich erlebte selbige unter Engelbert Dollfuß ab 1934. In Italien war der sozialistische Renegat Benito Mussolini bereits 10 Jahre zuvor in Rom einmarschiert, Spanien und Frankreich hatten mit starken faschistischen Bewegungen teils erfolgreich, teils unterlegen, zu kämpfen.

Ja, selbst im „Mutterland der Demokratie“ England traten im Zuge dieser bedrohlichen Entwicklung in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts die Mosley-Faschisten immer dreister und brutaler auf. Der Faschismus war ein aggressiver und nationalistischer, attraktiver Trend nach einigen wenigen Jahren demokratischer
Emanzipationsbemühungen nach dem Ersten Weltkrieg geworden. Hitler wurde 1938 vom „Time Magazine“ zum „Man oft he Year“ erkoren, schließlich habe er ja der Welt „den Frieden gebracht“.

Wahnsinn. So urteilte, ja, die bürgerlich-konservative Welt des Westens, die sich nach den Niederlagen der Deutschen in den russischen Winterkriegen dann langsam zum gemeinsamen Kampf gegen den europäischen Faschismus entschloss.

Lassen wir es mit dem Geschichtsunterricht. Denn Historie wiederholt sich ja nicht, zumindest nicht in der gleichen Form, im gleichen Ablauf, und in den seltensten Fällen mit den gleichen Beteiligten. Vergleiche mit der Vergangenheit führen zumeist in die Irre. Schließlich würden wir heute in einer gefestigten Demokratie leben, mit den schrecklichen Erfahrungen vom noch entsetzlicheren Zweiten Weltkrieg.

Wie unser Bundespräsident Steinmeier vor einigen Wochen feststellte, Zweckoptimismus erbreitend. Die Demonstrierenden gegen rechts und die Demokratiefeinde in ihrem Vorhaben bestärkend. Warum aber werden dann auf den Kundgebungen beharrlich immer wieder die Parallelen zur Vergangenheit gezogen – „Nie wieder ist jetzt!“? Gute Frage.

Offenbar gibt es ein gesellschaftliches „Klima“, das autoritäre Herrschaftsformen und diktaturähnliche Regierungsmethoden sich entwickeln und eine Art Funktionslogik in den Köpfen vieler Menschen entstehen lässt. Das sind dann die „Demokratiefeinde“ und „Unbelehrbaren“, die nichts „aus der Geschichte gelernt“ und von ihr begriffen haben.

Nur – möglicherweise wollte man auch von politisch gestaltender Seite nichts aus der Geschichte lernen? Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen kontinuierlich gestiegenem, neoliberalem Leistungsdruck und gestresst-gedrückt wirkender Bevölkerung, die den Leistungszwängen ausgesetzt ist? (Von wem stammte eigentlich die geniale Idee des „Niedriglohnsektors“?)

Dass es eine logische Verbindung gibt zwischen dysfunktionaler Bürokratie und maroder Infrastruktur in den nichtproduzierenden Sektoren, die in der Leistungs- und Alltagshatz nichts anderes zu bieten hat als den gewerkschaftlich errungenen „Inflationsausgleich“?

Dass es schwer ist, Menschen „für die Demokratie“ zu begeistern, wenn gleichzeitig demokratiefördernde Projekte für Bildung und Erziehung zusammengestrichen werden? Wenn Vielfalt oft nur eine konsumistisch-individualistische – sozial-systemisch ungefährlich – ist, weniger auf freien Meinungsdiskurs und vorgetragene Alternativen setzt?

In dem Zusammenhang: Man erkennt bei den aktuell Regierenden in der Diskurshaltung kaum einen Unterschied zur früheren Merkelschen „Alternativlosigkeit“ politischer Vorhaben, oder? So ist in den letzten 10–15 Jahren ein innenpolitischer Luftdruck entstanden, der sich derart bedrohlich entwickelt hat, dass sich kaum noch etwas getraut wird, außer man ist bei den „ungefährlichen“, alternativlosen Korrektheiten des bürgerlichen Mainstreams.

Oder man hält sich in seiner sozialen „Bubble“ des Protestes gegen „die da oben“ auf, schlägt protofaschistische „Lösungen“ vor, übt sich in neoliberal-gesteigerter Propaganda und Demagogie.

Doch nichts aus der Geschichte gelernt, Herr Steinmeier. Beispiel: Dass die AfD „Frieden in der Ukraine“ fordert, ist ein Treppenwitz der jüngsten Geschichte, als wären Nazis gegen den Krieg – aber solche Statements von Weidel, Chrupalla und Co. sind verheerender für eine progressive Orientierung einer Gesellschaft, als man denkt.

Hier wird ein richtiges, dringendes und notwendiges außenpolitisches Ziel raffiniert für rechtspopulistische Wahlkampfzwecke missbraucht und scheidet damit als Handlungsoption für
universell humanistisches Denken aus.

Was bleibt als „logischer“ Ausweg für die seinerzeit friedensbewegte Sozialdemokratie, den friedlich koexistierenden Liberalismus und den grünen Pazifismus? Was von Nazis gefordert wird, kann nur falsch sein. Das ist die ganze Tragik, dass dann Frieden mit immer mehr Waffen geschaffen werden soll, wie die Kiesereiters und Hofwetters fordern und gegen „Lumpenpazifisten“ wettern. Verrückte Welt.

Es stimmt. Nie wieder ist jetzt. Und war schon immer. Wir haben es nur zu wenig gesehen. Nun scheint „keine Zeit mehr für Zärtlichkeit“ zu sein.

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